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Spätestens mit dem Album "Fear Of A Blank Planet" hat sich Steven Wilson, Kopf der komplexen Rockband "Porcupine Tree", einen Namen über die Kreise seiner Hörerschaft hinaus gemacht. Mit seiner Anklage gegen die geistlose Jugendkultur und das verrohende Kunstverständnis trat er endgültig aus der introvertierten Kammer des Progmusikerdaseins und gelangte in das Bewusstsein seiner "iPod-Gesellschaft", die Künste wie Film und Musik laut Wilson zunehmend als schnelles Konsumgut begreift und die sich deswegen direkt angesprochen fühlen muss. Wo manche einen Propheten der Kultur in dem Musiker sehen, werfen ihm andere einen erhobenen Zeigefinger vor.

Obwohl man nicht den Fehler machen sollte, sein Schaffen auf das Propagieren traditioneller Werte zu reduzieren, so ist es doch die Entwicklung der Musikindustrie, die Wilson zum Zentrum seiner Dokumentation macht. Ob man "Insurgentes" nun als reaktionäres Pamphlet oder als längst nötigen Weckruf begreift, hängt auch wesentlich davon ab, wie man persönlich zum Thema steht. Fakt ist aber: Lasse Hoile, inzwischen langjähriger Begleiter von Porcupine Tree und Verantwortlicher der künstlerischen Präsentation der Band, spinnt gemeinsam mit Wilson aus der simplen These des Untergangs der Musikkultur ein komplexes Geflecht, das nach und nach zusammenhängende Fragen spannend abhandelt und dabei in hochinteressante Bereiche vordringt.

Während der Kunst inhaltlich ein Stück Wertigkeit zurückgegeben wird, verzichtet der dänische Filmemacher nicht darauf, selbst Kunst anzufertigen: keineswegs ist "Insurgentes" eine gewöhnliche Dokumentation, vielmehr dringen visuelle Konstrukte aus dem Handwerkskoffer des psychologischen Horrorfilms in das graue Faktengerüst. Grelle Farbfilter, unkonventionelle Schnitttechniken und unbehagliche Perspektiven verraten Hoiles filmische Idole: Negativbilder und hektisch auf die Kamera zurasende Gestalten mit Masken führen zu David Lynch, unheimliche Atmosphäre in normalen Bildern zu Ingmar Bergman, der Gebrauch von Symbolik und metatextuelle Bezüge zu Andrei Tarkovsky. Dabei fängt Hoile Szenarien ein, die zwischen malerisch und verstörend pendeln, in jedem Fall aber den Ursprung des Regisseurs als Fotograf verraten. Impressionen von leeren, angehäuften Särgen auf einem Feld oder einem Baum voller verrotteter Puppenfiguren, sie sind wie für die Leinwand gemacht. Weitere Aufnahmen von Carl Glover, der die Artworks für das Wilson-Nebenprojekt "Bass Communion" anfertigte, komplettieren die tollen Bilder. Eingeflochten werden sie in normal wirkende Behind-The-Scenes-Aufnahmen, wenn sich etwa Wilson mit seinen Freunden Mikael Åkerfeldt ("Opeth") und Jonas Renske ("Katatonia") zum Begutachten der Plattensammlungen trifft oder wenn ein Fan in der Einkaufspassage ein Foto haben möchte.

Höchst ansprechend geraten dabei vor allem die Momente, in denen die künstlerischen, also "gewollten" und "gestellten" Passagen in die Faktenwelt eindringen. So sitzt Steven Wilson beispielsweise in einer Szene zwischen seinen Eltern und schaut sich ein vor 25 Jahren entstandenes selbst gebasteltes experimentelles Tape an, womit er still und leise außerordentlich tiefe Einblicke in sein Privatleben gewährt. Das Zusammensitzen auf dem Sofa inszeniert Hoile allerdings im Stil des "Fear Of A Blank Planet"-Covers: drei Menschen, die wie Zombies vor einer flackernden Maschine sitzen und konsumieren.

Derartigen Eingriffen in die dokumentarische Objektivität zum Dank gewinnen die Szenen einerseits deutlich an Spannung, andererseits tauchen sie die Aussagen des britischen Künstlers aber auch in ein selbstironisch leuchtendes Licht. Hier und da lockert es die zwischen Horror und Melancholie wechselnde Atmosphäre auf und sorgt für Humor, wenn Wilson beispielsweise mit Mickey Mouse-Hut durch Disneyland wandert, um sich mit humorlosem Blick vor die Fahrgeschäfte zu positionieren und in die Kamera zu starren, während seine gruseligen Droneklänge die fröhliche Karussellmusik übertünchen.

Der Soundtrack verdichtet "Insurgentes" ohnehin zu einem surrealen Film, der mit der typischen Trockenheit üblicher Dokumentationen nichts mehr zu tun hat. Es versteht sich von selbst, dass die Ambient-, Prog-, Shoegaze- und Dronecollagen aus der Feder von Protagonist Steven Wilson stammen, zumal der Film begleitend zum gleichnamigen Soloalbum entstanden ist, das 2009 veröffentlicht wurde. Im hochorganischen Zusammenspiel von Bild, Ton und Inhalt wird überhaupt erst deutlich, wie dicht die Idee zur Dokumentation eigentlich ist und wie viel Geschichte sie hat.

Natürlich, Bilder eines Musikers, der aus lauter Wut über die Musikindustrie eifrig iPods zertrümmert, könnten bei Kritikern Steven Wilsons einen Schlüsselreiz ausüben. Auch pendelt Lasse Hoiles insgesamt stilsichere Inszenierung manchmal zwischen Aufgesetztheit und Kunstfertigkeit. Die teilweise aus Porcupine-Tree-Songs bekannte Symbolik – Züge, über den Boden kriechende Menschen mit Gasmasken, eine abgetrennte Hand, nicht zuletzt auch die iPods – erschließen sich in manchen Fällen auf den ersten Blick. Und doch bietet "Insurgentes" einen der tiefsten Blicke auf das Phänomen Musik, das ein dokumentarischer Film überhaupt je zustande gebracht hat.

Eine weitere Kritik, die stärker aus musikalischer Perspektive geschrieben wurde, habe ich bei Musikreviews.de hinterlegt:
http://www.musikreviews.de/reviews/2010/Steven-Wilson/Insurgentes-Film/

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