Die Zeit für eine Modernisierung, eine neue Politur, sie war überfällig.
Nur wenige Helden der Film- bzw. der Literaturwelt sind so häufig Gegenstand von verschiedenen Versionen geworden, die sich dennoch im Wesentlichen zumeist an die vorgebenen und längst eingeprägten Standards halten, wie der Meisterdetektiv Sherlock Holmes, den man sich gar nicht anders vorstellen kann als mit Deerstalker-Hut und Inverness-Mantel aus Pagets Illustrationen.
Nun also eine neue Version: die endgültige physische Manifestation des Menschen Holmes, dargeboten ausgerechnet von Guy Ritchie, der sich mit Vorliebe der anderen Seite des Gesetzes mit seinen "small crooks" und seinen brutalen Schwerverbrechern verschrieben hat und ein Fachmann für ebenso komische wie absurd-brutale Gangsterfilme moderneren Zuschnitts ist.
Dargestellt von Robert Downey jr., einem jüngeren (jung für den Holmes-Schnitt) Mann mit traurigen, nachdenklichen Augen. Sein Holmes ist nicht mehr nur der vergeistigte beratende Detektiv, der sich den Menschen fern hält und seinen Geist mittels seine Fälle stimuliert, während er sonst eher misanthropische Charakterzüge zeigt.
Downeys Holmes führt diese manchmal spielerisch eingebrachten Züge konsequent zum Ende der Fahnenstange - seine Protagonist ist ein getriebener Outcast, der lediglich und praktisch nur noch für den Nervenkitzel lebt, den ihm komplizierte Fälle verschaffen; der oftmals Drogen zugeneigte Holmes sieht das Verbrechen als seine Droge, sonst kennt er nur verschiedene Abstufungen der Langeweile, die sich in seltsamen Verhaltensweisen manifestieren - sei es durch Trinken, mangelnde Körperhygiene oder sachlich vorgebrachten, aber offensiven Sarkasmus bis Zynismus. Er schlägt sich, er verkleidet sich, er registriert, analysiert und schlußfolgert in Sekundenbruchteilen, so daß die weitschweifigen Erklärungen, derer sich der Buch-Holmes später stets bedient, um seinen tumben Begleiter Watson aufzuklären, in Form von Zeitlupenvorausschauen oder nachträglich kompilierten Handlungsmontagen im besten CSI-Stil aufbereitet werden, um das Medium Kino mithalten zu lassen. Daß dabei Wissen, Schlußfolgerung, Deduktion und Forensik wild durcheinandergeworfen werden, wundert praktisch schon niemanden mehr.
Holmes 2009, das ist natürlich modernes Blockbusterkino, ungemein temporeich, und, obschon in der viktorianischen Zeit spielend, den modernen Gegebenheiten angepaßt. Zwar bemüht man sich, für all den okkulten Kram, die bizarre Verschwörung, die wilden Erfindungen stets eine rationale und zeitgemäße Erklärung zu bieten, aber ein Hauch von "Steampunk" umweht sogar diese Verfilmung, die sichtlich bemüht ist, ihr computererstelltes London um 1890 nicht allzu aufdringlich falsch erscheinen zu lassen.
Dafür sorgt aber auch die Tour de Force an Geschichte, die den Zuschauer wie die Sau durchs Dorf treibt, kaum jemals gab ein Holmes-Film ein dermaßenes Tempo vor, das einen nur selten und selbst dann mit verschärfter Tricktechnik kaum zum Verschnaufen kommen läßt.
Wenn eine Schwäche schnell und extrem ins Auge springt, dann das Fehlen eines narrativen Rahmens, einer Einführung, einer Vorbereitung der Figuren mit langsamer aber stetiger Steigerung.
Stattdessen werden so einige Gegebenheiten, wichtige Fakten, gewisse Conan-Doyle-Standards einfach vorausgesetzt, das Publikum praktisch ins Geschehen gekippt, so daß der Eindruck erweckt wird, man wohne einem Film innerhalb einer ganzen Reihe bereits existenter Filme bei, die man selbstverständlich schon alle gesehen hat. Das wird manchmal zum Bumerang, denn man muß seinen Helden schon von eigener Hand gelesen haben, um sofort im Film zu wissen, wer Rachel McAdams Charakter "Irene Adler" ist, von der man hier nur erfährt, das sie Holmes als eine von sehr, sehr wenigen zweimal übertölpelt hat. Daß es die Figur in den Geschichten wirklich gibt (z.b. in "Ein Skandal in Böhmen") ist eher unbekannt, anders als der unbeholfene Lestrade, den fast jeder kennt.
Sollte jemand in dieser Serie tatsächlich, wie momentan so oft, ein Prequel ins Auge fassen, so kann er das problemlos tun, denn selten bot ein Film so viele Anschlüsse wie dieser und ein bereits fertig ausgearbeitetes Verhältnis der Hauptfiguren zueinander.
Das ist dann auch Gegenstand vieler Diskussionen, die manchmal das Wörtchen "latent homosexuell" ruchbar werden lassen.
Doch auch wenn Holmes in diesem Fall zu Männergesellschaft und Männerfreundschaften tendiert und seine Eifersüchteleien bezüglich Watsons Verlobung etwas bezaubernd Teenagerhaftes an sich haben, findet sich im Film außer moderneren Frotzeleien kaum ein Hinweis auf solche "skandalöse Umarbeitung" der Vorlage. Und daß Holmes ggf. schwul gewesen oder angelegt sein sollte, ist nun wirklich keine neue Theorie.
Reizvoll ist das Gekabbel dieses alten Ehepaars, von dem einer sich verändern möchte und der andere eben nicht, natürlich durchaus, was vor allem an der vergnüglichen Spiellaune des sonst so blassen Jude Law liegt, der wie geboren für den hagersten Watson seit Menschengedenken ist. Nicht länger nur halbtrotteliges mechanisches Plotelement, darf Watson hier endlich mal sich vertreten, was gegen den megalomanischen Downey auch dringend nötig ist, hat doch schon McAdams Probleme, gegen ihn nicht zu verblassen. Im Stile des Buddy-Movie werden hier natürlich Klischees breitgetreten, aber mit todernstem Gesicht ausgespielt, immerhin.
Darunter ächzt dann doch der Plot ein wenig, der an manchen Stellen latent wie bei "Young Sherlock Holmes" entliehen zu sein scheint und der dann doch, trotz veritabel verkomplizierter Konstruktion recht schnell durchsichtig wird für moderne Verhältnisse und ein paar kernige Merkwürdigkeiten in der Konstruktion und Auflösung aufweist.
So ist der Showdown auch (endlich mal) nicht der übliche Schlagetot-Bombast, sondern viele kleine Szenen vorher, wirken da viel eher erhebend, so ein Todesballet von Holmes und Watson zwischen lauter explodierenden Fässern, das in Zeitlupe und enormen Detailreichtum, aber fast ohne Tonspur auskommt, weil die Beteiligten spontan taub geworden sind.
Genauso fehlt das familiäre Gefühl eines banalen Hollywoodscore, weil das Wunder eingetreten ist, das Hans Zimmer nach Jahren endlich mal was eingefallen ist, was nicht aus fünf seiner anderen Filme bekannt wirkt - ein beunruhigender, fast enervierender Violinenscore von der eher dissonant aufstachelnden Sorte.
Nicht ganz so locker kann ich dagegen den finsteren Kontrahenten (schon namentlich: Lord Blackwood) abfeiern: Mark Strong gibt sich in seinen Szenen zwar alle Mühe, satanisch ruhig und abgründig zu wirken, aber er hat nie das souveräne Format von Downey jr, der praktisch in seiner Getriebenheit zu ruhen scheint und nie wirklich aus der Fassung gerät.
Was Ritchie nicht gelungen ist, ist eine wirklich glatte Entwicklung der komplizierten, umständlichen Story, die in den mannigfaltigen Verschiebungen von Zeit und Erzählzeit an seine erfolgreichen Frühwerke wie "Snatch" erinnert, aber es sind genügend pointierte Mono- und Dialoge vorhanden, um für zwei Stunden erfolgreich darüber hinwegzutäuschen.
"Sherlock Holmes" wirkt gedrängt, uneben, holprig und bemüht rebellisch und wirkt meistens nur wie ein ungestümes Anrennen und Ausprobieren für eine spätere Verfeinerung, die man im letzten Drittel dann auch erwartungsgemäß und folgerichtig mit der Ankündigung eines weiteren bekannten Gegners einläutet.
Daher heißt es für die unvermeidliche Fortsetzung, die im letzten Satz nicht nur angekündigt, sondern schon eingeläutet wird: mehr Raffinesse, mehr Struktur, aber sonst schmeckt die neue Würzmischung durchaus ermutigend. (7/10)