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Nach einem Jahr Aufenthalt in einem unfruchtbaren Reservat, unter katastrophalen Lebensbedingungen und nach vielen Jahren immer wieder gebrochener Versprechungen der weißen Herrenrasse, machen sich die verbliebenen Cheyenne auf, um in ihr eigentliches Heimatland zurückzukehren. 1.500 Meilen Wüste, Steppe und Prärie sind von Männern, Frauen und Kindern zu durchqueren, auf den Fersen die sie verfolgende US-Kavallerie, und außenrum nur weiße Männer, die in ihnen nichts anderes sehen als lebendige Zielscheiben.

Mitte der 60er-Jahre hatte es der US-Western klassischer Prägung nicht wirklich einfach. Der Zeitgeist änderte sich und machte aus den feindseligen Rothäuten unterdrückte Ureinwohner, aus Europa kamen zunehmend erfolgreichere Filme mit völlig eigener Sprache, und zuhause machten Regisseure wie Sam Peckinpah den alteingesessenen Regisseuren althergebrachter Pferdeopern mehr und mehr realistische Konkurrenz. Und ausgerechnet der große alte Mann des rechtslastigen Kavallerie-Westerns, der so viele, in ihrer Aussage oft stockkonservative, Western mit dem ebenfalls rechtsgerichteten John Wayne inszenierte und damit bis heute zur Kultfigur wurde, ausgerechnet John Ford hat 1964 einen Film über Indianer gedreht, in dem der weiße Mann alles andere als gut dasteht. In dem das bisherige Feindbild des blutrünstigen Wilden gründlich überarbeitet wird zugunsten des Edlen Wilden, der sich plötzlich von blutrünstigen Weißen umgeben sieht und um sein Überleben fürchten muss. Ob das funktionieren kann?

Als erstes fällt auf, dass es leicht wäre einen Vergleich zu ziehen zwischen dem verzweifelten Marsch der Cheyenne und den Todesmärschen, die die Juden am Ende des Zweiten Weltkrieges machen mussten. Und ich bin mir auch sicher, dass die Darstellung der Indianer in dem Schuppen absichtlich so aussieht wie jüdische Gefangene in einer Baracke. Und hey, wer sagt da unzuverlässiger Vergleich? Nein, es liegt überhaupt nicht in meiner Absicht den Holocaust zu relativieren, aber wir können uns glaube ich darauf einigen, dass der Krieg gegen die indianischen Ureinwohner ein Völkermord war, oder? Pff, Begriffsklauberei …

Trotzdem, der Gedanke drängt sich geradezu auf. Nebenfiguren wie der polnische Sergeant, der die glorreiche US-Kavallerie mit den Kosaken vergleicht, welche die Polen nur getötet haben weil sie eben Polen waren, und die jetzt die Indianer tötet, nur weil sie eben Indianer sind, solche Nebenfiguren ergeben einen sehr düsteren und tragischen Unterton mit starkem realistischen Anstrich, und gleichzeitig einen starken Bezug auf die europäische Geschichte. Dazu gehört vor allem auch der Befehlshaber von Fort Robinson, Captain Wessels, der stolz ist auf seine preußische Abstammung und darauf, dass er, wenn er einen Befehl bekommt, diesen auch ausführt. Seine Obrigkeitsglaube und sein unbedingter Gehorsam führen zu einer Katastrophe, nur weil er sich weigert sein Gehirn einzuschalten. Eine sarkastische Hommage auf die früheren Filme John Fords, in denen es vor guten und pflichterfüllten Soldaten nur so wimmelte? Auch die Nebenhandlung um Doc Holliday und Wyatt Earp, so unpassend und klamaukig sie aufgelöst wird, hat diesen finsteren Ton, wenn plötzlich aus allen Ecken der White Trash auftaucht und fordert, dass die Indianer endlich erledigt werden. Dass die dabei aufgetischten Lügen immer größer werden und die Abgründe immer widerlicher, macht aus dieser so heiter-grotesk beginnenden Szene ein Horrorkabinett ganz besonderer Art, welches seine Wirkung in Bezug auf das Aufputschen der gesunden Volksmeinung bis heute nicht verfehlt. Wie gesagt ist es schade, dass diese Handlung so läppisch endet, und man sich vorkommt wie in Andrew V. MacLaglans 40 WAGEN WESTWÄRTS, auch wenn der erst ein Jahr später entstand. Trotzdem könnte man, wenn man böswillig wäre, hier sicher eine Analogie zum obigen Absatz mit den Indianern und den Juden herstellen …

Auf der anderen Seite dann wiederum dieser Hang zur Folkloristik: Nach dem dramatischen und eindrucksvollen Stelldichein zwischen dem Innenminister (der als Vertreter der herrschenden Regierung natürlich ganz klar humanistisch und sympathisch angelegt ist) und den Indianern, wenn sich die Spannung gründlich aufgebaut hat, schwenkt die Kamera in der nächsten Szene über etwas, was auch ein Cheyenne-Abenteuerland für die ganze Familie sein könnte. Grüne Wiesen und pittoreske Musikinstrumente erfreuen die ganze Familie und geben einen so derben Kontrast zu den Bildern davor ab, dass es den geneigten Zuschauer mindestens ebenso gruselt wie bei den Tönen des weißen Abschaums im Saloon.

CHEYENNE ist ein bemerkenswerter ambivalenter Film, der einerseits den Blick auf ein Unrecht lenkt, welches (bis heute?) vielmals noch als Recht angesehen wird, denn aus genau dieser Frontier-Haltung heraus leitet sich schließlich der soundsovielte Zusatz zur amerikanischen Verfassung ab, der allen Bürgern das freie Recht auf Waffenbesitz zugesteht, und der andererseits genau diesen Blick, der mit vielen punktgenauen Details einen bissigen Kommentar zur Eroberung Nordamerikas abgibt, aufweicht, und mit Kitsch, Folklore und Komik ausschmückt. Gut, John Ford war natürlich kein Sam Peckinpah, und man kann davon ausgehen, dass er sich bei allem Geschichtsbewusstsein trotzdem an den überkommenen und bewährten Leitplanken erfolgreicher Filminszenierung festgehalten hat. Der Sergeant, dessen Dienstzeit seit 10 Tagen abgelaufen ist und der sich jetzt die Kante gibt, der aber trotzdem am nächsten Tag dienstbeflissen auf seinem Gaul sitzt, ist mindestens genauso klischeehaft in Szene gesetzt wie der übereifrige Lieutenant Scott, der beim ersten Aufeinandertreffen der Kontrahenten Männer und Ausrüstung opfert, nur um eine persönliche Rache zu erfüllen, der aber vom Captain dafür nicht einmal gemaßregelt wird, niemals in dessen Ungnade fällt, und schlussendlich sogar bei einer Meuterei mitmacht, nur um den Indianern Hilfe zukommen zu lassen. Oder der junge und aufmüpfige Häuptlingssohn, der denkt, dass er den Krieg alleine gewinnen kann - Alles Figuren, die im Western schon seit Jahren ihr Unwesen trieben, und auch hier überlebensgroß die Leinwand füllen. Und denen andererseits der erwähnte Captain Wessels gegenüber steht, der mit halb wahnsinnigen Augen ob des miterlebten Massakers in die Wildnis stolpert und nimmer gesehen ward.

Nein, die Figurenzeichnung ist teilweise schon sehr stereotyp, und sie füllt den Wilden Westen mit standardisierten Charakteren die mal mehr und mal weniger gern gesehen sind, doch den Film trotzdem, allen Ernstes, mit Leben füllen. Aber die Hauptfiguren sind es, die aus dieser merkwürdig hin- und herlavierenden Anklage letzten Endes ein beeindruckendes Drama machen.
Richard Widmark, sowieso abonniert auf die vom Leben gebeutelten Charaktere, ist Captain Archer, dessen Aufgabe es ist hinter den flüchtenden Cheyenne her zu reiten, und der in den Indianern sehr wohl Menschen sieht, nicht Feinde. Archer versucht beiden Seiten gerecht zu werden, merkt aber irgendwann dass er sich zu entscheiden hat, und sich dank der aufrüttelnden Worte seines betrunkenen First Sergeants über die Kosaken für die menschliche Seite entscheidet. (Und außerdem will er ja die schnuckelige Quäkerin heiraten – Als Indianerschlächter kriegt er die nie rum. Das aber nur nebenbei.)
Häuptling Kleiner Wolf, der sein Volk so gerne in die Heimat führen möchte, und der sehr wohl weiß, dass die Strapazen den größeren Teil seiner Leute umbringen werden. Der sich mit seinem Freund Stumpfes Messer sogar zerstreitet und die sowieso schon dezimierte Gruppe auch noch spaltet, nur um wenigstens einen Teil der Menschen zu retten. Der den Todesmarsch beenden will und vielleicht sogar ahnt, dass dieser Versuch das Ende nur noch schneller bringt, was dann aber auch ein Ende der Qualen bedeuten würde.
Und natürlich der bereits erwähnte Captain Wessels, der so sehr an seiner Pflichterfüllung hängt. Er deutet an, dass er einst einen Befehl nicht ausgeführt hat, und dass er diesen Fehler niemals wiederholen wird. Fast schade, dass wir nicht mehr erfahren – Im Vergleich denke ich da an den waidwunden Captain Bruhn aus André de Toths TAG DER GESETZLOSEN, der durch eine leise Anmerkung zu diesem Thema so unendlich viel Tiefe erhält: Rückzug hätte er befehlen sollen, und Feuer hat er befohlen, und das Drama hinter diesen Worten lässt sich erahnen. Diese Tiefe fehlt der Figur Wessels leider, aber Karl Malden hat die schauspielerische Klasse dies schnell vergessen zu lassen und eine Darstellung eines Beamten auf das Parkett zu legen, dass alle anderen Schauspieler in seiner Umgebung zu Stichwortgebern verblassen. Wessels ist jovial, ist höflich, ist freundlich, aber wehe er erhält einen Befehl, dann ist diesem Befehl sofort und umgehend Folge zu leisten bis auf den letzten Buchstaben. Der nette Captain mutiert innerhalb einer Sekunde zu einem Korinthenkacker und Untertan, wie ihn sich ein Thomas Mann nicht schlimmer hätte ausmalen können. Der sich hinter Befehlen und gegebenenfalls Paragraphen versteckt, und das Entsetzlichste, was so einem Menschen passieren kann ist, dass sich seine Untergebenen (Sic!) gegen ihn erheben. Fast aber noch grausamer ist, dass der meuternde Doktor ihm an den Kopf wirft, dass er, der Doktor, bereit ist, die volle Verantwortung für sein eigenes Handeln zu übernehmen. Etwas, zu dem Wessels vollkommen unfähig ist, denn dafür ist er ja Soldat und gehorcht Befehlen – Damit er nichts verantworten muss. Was für ein trauriges Bild von Mensch, und was für eine sagenhafte Darstellung Karl Maldens …

Caroll Baker als Quäkerin Deborah kann in diesem von Männern getriebenen Film naturgemäß nichts dagegen setzen, und vor allem der Vergleich zu der anderen großen Quäkerin im Western, Grace Kellys Amy aus 12 UHR MITTAGS, lässt Frau Baker recht farblos aussehen. Auch Gilbert Roland und Riccardo Montalban als Häuptling und bester Freund, können nicht wirklich sprühen. Interessanterweise sind beide Darsteller mexikanischer Abstammung, eine wirkliche Einbindung der indianischen Ureinwohner in die Filmlandschaft findet also auch nur am Rande statt. „Am Rande“ bedeutet, dass die Stammesangehörigen der Cheyenne von Navajo-Indianern gespielt wurden, was dazu führte, dass der Film in Navajo-Gemeinden sehr beliebt wurde. Unter anderem benutzen die Navajo-Schauspieler offen eine recht rüde Ausdrucksweise, die nichts mit dem Film zu tun hatte.“ So reißt der Häuptling in seiner Rede zur Unterzeichnung des Vertrages Witze über die Penisgröße des Colonels.“ (1) Gelehrte betrachten dies als wichtigen Moment in der Entwicklung der Identität der amerikanischen Ureinwohner, weil diese sich über die geschichtliche Interpretation des Wilden Westens durch Hollywood (also die weiße Mehrheitsgesellschaft) lustig machten. Kann man über die amerikanische Kavallerie lachen? Nein, man muss …

All diese Merkmale, die vielen positiven und auch die vielen negativen Punkte, führen zu einer recht ambivalenten Bewertung des Films, auch und gerade aus heutiger Sicht. Wenn man sich im Internet umschaut wird gerade der Versuch, dem Film mit etwas Komik die Strenge zu nehmen, als vollkommen misslungen betrachtet; eine Sichtweise, die ich nur unterstützen kann. „A melancholy epic which [John Ford] seems to have directed under the misapprehension that it was an action comedy.“ (2) heißt es bei Rotten Tomatoes, und diese Sichtweise trifft genau ins Schwarze. Unter dem Aspekt der Emanzipation der Ureinwohner Nordamerikas ist CHEYENNE sicher ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, quasi so ein wenig das Gegenstück zu WER DIE NACHTIGALL STÖRT, und als (epischer) Western ist er auch heute noch gut anzuschauen. Aber das große Alterswerk des großen Meisters John Ford, das ist er sicher nicht.

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Cheyenne_(Film)
(2) https://www.rottentomatoes.com/m/cheyenne_autumn

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