Über 2,7 Milliarden US-Dollar weltweites Einspielergebnis und somit zumindest auf den ersten Blick der erfolgreichste Film aller Zeiten - die Zahlen des von Visionär James Cameron erdachten “Avatar” wussten stark zu beeindrucken und riefen daher sogleich eine Welle von Nachahmern hervor. Eben jene suchten in Form von hastig konvertierten 3D-Streifen die Lichtspielhäuser heim und ließen trotz künstlich in die Höhe getriebener Ticketpreise eher enttäuschte Zuschauer zurück. Auch wenn es mittlerweile einige weitere durchaus gelungene Ausflüge in die dritte Dimension zu bestaunen gab, stellt Camerons Pionier-Werk auch heute noch das Maß aller Dinge im 3D-Bereich dar. Die Frage ist nun: Vermochte das Kino-Spektakel damals lediglich mit seiner neuartigen Technik zu blenden, oder kann der Film auch abseits seines dreidimensionalen Erlebnisses begeistern? Dank der nach wie vor opulenten Optik darf erleichtert festgestellt werden, dass letzteres der Fall ist.
Im Jahr 2154 reichen die natürlichen Ressourcen der Erde nicht mehr aus, um deren Energiebedarf zu stillen. Abhilfe schafft ein seltener Rohstoff, der auf dem weitentfernten Mond Pandora gefördert wird. Das größte Vorkommen dieses kostbaren Gutes wird jedoch von der einheimischen Bevölkerung, dem naturnahen Volk der Na’vi, versperrt. Mithilfe von sogenannten Avataren, die der lokalen Spezies nachempfunden und per Gedanken steuerbar sind, soll unter der Leitung von Wissenschaftlerin Grace Augustine (Sigourney Weaver) eine diplomatische Lösung gefunden werden. Ebenfalls Teil des Teams ist der für diese Mission völlig unvorbereitete Ex-Marine Jake Sully (Sam Worthington), welcher lediglich Ersatz für seinen verstorbenen Bruder darstellt. Das militärische Oberhaupt, Col. Quaritch (Stephen Lang), sieht jedoch Potenzial in dem Neuling; er will, dass der Soldat den Stamm der Na’vi ausspioniert und somit Daten für einen Angriff sammelt. Trotz seiner fehlenden Erfahrung kann Sully tatsächlich das Vertrauen der Na’vi gewinnen - und beginnt, an seinen Motiven zu zweifeln…
Style over Substance - selten passte diese hier keinesfalls als Vorwurf anzusehende Formel besser als bei “Avatar”. Die immerhin emotionale, aber dafür innovationsarme und ziemlich vorhersehbare Geschichte um einen Invasor, der Sympathien für das infiltrierte Volk entwickelt, ist beileibe nicht der Grund, warum man sich die epische Weltraum-Mär anschauen sollte. Diese inhaltlichen Schwächen verblassen jedoch beinahe vollends in Anbetracht der optischen Opulenz, die das bildgewaltige Spektakel zu bieten hat. Angefangen bei der Düsternis der überbevölkerten Erde über den Bombast der hoch technologisierten Basis bis hin zum Ideenreichtum der farbenprächtigen Flora und Faune Pandoras kreiert Cameron eine detailverliebte und abwechslungsreich gestaltete Science-Fiction-Vision, deren Design oftmals in Staunen versetzt. Die grellbunte Farbgebung des Mondes mag zwar anfangs etwas überzogen und daher unwirklich erscheinen, doch sobald man die üblichen Sehgewohnheiten beiseite gelegt und sich auf die fantastische Szenerie eingelassen hat, kann man tief in dieser mit unglaublicher Brillanz erschaffenen Welt versinken.
Der Großteil der Sets wie auch Charaktere entspringt dem Computer; was vor einigen Jahren noch für seelenlose Künstlichkeit und deutliche Distanz zum Zuschauer sorgte (siehe die neue “Star Wars” Trilogie), wirkt heute mit der neusten State-of-the-Art-Technik fast vollkommen realistisch. Auch wenn nicht jeder einzelne Trick hundertprozentig überzeugt, übertreffen die Spezialeffekte angesichts der Quantität sowie Qualität alles bisher Gesehene - nicht zuletzt aufgrund des perfekten 3D-Einsatzes. Cameron lässt die aus dieser erstaunlichen Technik resultierenden Möglichkeiten keineswegs ungenutzt und entwickelt mithilfe versierter Regie malerische Panoramen und schnittig fotografierte Action-Szenen. Auf Auseinandersetzungen im klassischen Sinne wird dabei lange verzichtet; lediglich das Finale wartet mit einem ebenso krachenden wie auch dramatisch gekonnt inszenierten Schlachten-Gemälde auf. Bis dahin werden durch das aufregende Leben der Na’vi jedoch genügend ähnlich mitreißende Schauwerte aufgeboten. Der Soundtrack kann mit der optischen Klasse nicht ganz mithalten, lässt er doch wirklich einprägsame und packende Melodien vermissen; dennoch untermalen die erhabenen Klänge die beeindruckenden Bildkompositionen auf atmosphärische und passende Weise.
Da die Hälfte der tragenden Rollen in digitalisierter Form mithilfe des Performance-Capture-Verfahren auf die Leinwand gebracht wird, ist die Würdigung der Darsteller nicht möglich, ohne dabei nochmals auf die herausragende Technik einzugehen. Bedenken, dass die emotionale Tiefe unter den bisher üblichen, steifen Animationen leiden muss (siehe “Beowulf”), werden angesichts der lebendig wirkenden Na’vi schnell zerstreut. Obwohl lediglich dem PC entsprungen, können die außerirdischen Lebewesen die komplette Palette ihrer Gefühlslagen überzeugend darstellen. Nichtsdestotrotz: Die besseren, weil charismatischeren Leistungen sind auf Seiten der Menschen angesiedelt. Obwohl die Figuren zu keiner Zeit über eine klischeehafte Zeichnung hinauskommen, können allen voran Sigourney Weaver als schlagfertige Forscherin sowie Stephen Lang als markiger Fiesling durch ihr prägnantes Spiel gefallen. Auch Sam Worthington gerlingt es, seinen gebrochenen, sich aber langsam aufrappelnden und zur Führungsfigur heranwachsenden Hauptcharakter mit einer Menge Charme darzustellen.
Fazit: Welch eine bildgewaltige Wucht, die hier auf den Zuschauer losgelassen wird - für solch bombastische Spektakel wurde das 3D-Kino erfunden! Doch auch ohne den dreidimensionalen Bonus besticht Camerons epochale Weltraum-Saga durch eine optische Opulenz, die inhaltliche Schwächen wie die etwas altbackene Handlung sowie klischeehafte Figuren schnell vergessen lässt. Stattdessen darf man sich auf eine imposante Reise in eine fantastische Welt entführen lassen; eine Welt, dessen bestechende Einzigartigkeit mit herausragender Detailverliebtheit und technischer Brillanz zum Leben erweckt wird. "Avatar" ist ein mitreißendes Abenteuer, das jedem, der sich auf die berauschende Bilderflut einlassen möchte, wunderbare Unterhaltung garantiert.
9/10
[bezieht sich auf den Extended Collector's Cut]