Review

Bemerkungen zu „Avatar - Aufbruch nach Pandora“
(Achtung, Spoiler)

Technik hui, Story pfui – wurde hier ja schon oft moniert. Da möchte ich noch etwas weitergehen, noch einen draufsetzen.
Apropos „Setzen“. AVATAR setzt sich hier in die Nesseln.

Z.B. weil im Urwald keine Nesseln vorkommen – sondern alles idyllisch und harmlos ist und keine Spur von Alltag zeigt. (Sobald die Sache mit den nächtlichen Hunden erledigt ist.)

Doch langsam mit den jungen Pferden. Die Story erscheint mir gerade deshalb „pfui“, weil sie genau auf meiner Welle liegt: ein Öko-Schocker à la Al Gore, der ohne Beschönigungen zeigt, wie kapitalistische Konzerne mit den Lebensgrundlagen des Menschen umgehen, nämlich: Sie zerstören sie.

Diese dick und deutlich dargebotene Botschaft ist eine Tatsache. Sie darzustellen scheint mir ein berechtigtes Anliegen (war es auch für einen ähnlichen „Öko-Blockbuster-Botschafter“: THE DAY AFTER TOMORROW, 2004); „pfui“ jedoch scheint mir AVATAR's simplifizierendes Vorgehen.

AVATAR vereinfacht dabei auf zwei Ebenen: Der Ebene „Welt = Wald + Eingeborene“ und der Ebene „Zivilisation = Technik + Eindringlinge“.

Da alles so irdisch aussieht, lässt sich auch sagen: So wenig wie ein Urwald idyllisch-harmlos ist, schon gar nicht für einen Fremden, so wenig Raum bietet er für landende Hubschrauber. Und das „System Urwald“ (zugleich ein komplexes Ökosystem und das komplexe Moralsystem der „Na'vi“, seiner „humanoiden“ Bewohner) ist nicht in einem Drei-Monats-Kurs erlernbar, wie uns AVATAR glauben machen will, getreu dem ur-amerikanischen Mythos „Vom Tellerwäscher zum Millionär“, denn Jake wird in nur drei Monaten vom naiv brabbelnden Kleinkind (aus Na'vi-Sicht) zum Stammesführer gegen außerirdische Invasoren.

Aber vielleicht bin ich nur neidisch, vielleicht befähigt eine „Marines“-Ausbildung, die mir und den blauen Eingeborenen natürlich fehlt, zu solchen Quantensprüngen. Vielleicht hilft sie, im Verein mit erwähntem 3-Monats-Kurs, blaue Außerirdische zu verstehen, zu motivieren und in einen hoffnungslosen Krieg zu führen – der gegen alle Wahrscheinlichkeit sogar gewonnen wird. (*)

Und diese Darstellung der Kriegführung mißlang erst recht. Die Idee, die Na'vi in offener Schlacht angreifen zu lassen, wie die Invasoren mit roher Gewalt kämpfen zu lassen, nicht die (sogar beschworenen) Vorteile der Terrains zu nutzen, sondern in unkoordinierten Reiterattacken in überlegenes Gewehrfeuer zu laufen (was schon die polnische Kavallerie im zweiten Weltkrieg auslöschte und aus gutem Grund weder in Vietnam noch in Afghanistan von den „Eingeborenen“ betrieben wurde – der Filmfan weiß auch, wie in KAGEMUSHA (1980) ein Heer mit dieser Taktik unterging) – diese Idee offenbart ein Bild der Na'vi, das vielleicht einem US-Marine angemessen ist, der im maroden US-Schulsystem vor dem Abschluß abgebrochen hat und dann auf dem Parkplatz vor der Shopping-Mall von Armee-Werbern aufgegriffen wurde (**) - in einer vorgeblichen „Öko-Fabel“ wie AVATAR ist das aber peinlich und geschmacklos. (***)

Noch bedenklicher als diese Einfalt scheint mir da wieder einmal:
1. die Vermenschlichung der Ausserirdischen; sie benehmen sich wie – ja, genau, wie in einem Hollywood-Film.
2. daß sie den eingedrungenen Menschen geistig unterlegen sind. Sie brauchen Jake, lassen sich von einem Menschen (!) manipulieren, auf menschliche Weise (!) Krieg zu führen. Umso trauriger, als AVATAR sich eigentlich aufgemacht hat, die Reife der Außerirdischen im Vergleich zu den (menschlichen) Invasoren zu zeigen.
Auch die gegenseitige Vernetzung der Planetenbewohner gerät im Action-Spektakel schnell in den Hintergrund. Obwohl, zugegeben, nur das Eingreifen der nicht von Na'vi's bemannten Wesen die Lage rettet. Dieses Eingreifen beweist zwar die Vernetzung des Planeten, in AVATAR's Schlachtgetümmel geht aber unter, wie weitgehend (revolutionär) sich diese Art von Leben von dem des Menschen unterscheidet, was für eine grundlegende Alternative auf Pandora eigentlich herrscht und bedroht ist.

Wobei diese Vernetzung vielleicht auch den wunden Punkt von Pandora darstellt: Die gegenseitige Vernetzung, im Verein mit dem Sterben der Besten und dem Verlust der Unschuld (der sich einstellt, wenn Pandora und die Na'vi Gewalt anwenden, die vom Menschen eingeführt wurde): All das dürfte auch die Kultur und die Moral, die auf Pandora geherrscht haben (die Na'vi sind hierbei nur ein Teil von Pandora) schwer geschädigt haben: Der Sieg über die Menschen, im Film als Erfolg dargestellt, erscheint mir wie ein Pyrrhussieg für Pandora, der den Planeten wahrscheinlich unheilbar traumatisiert hat und der technischen Zivilisation der Invasoren doch den Sieg bringen dürfte. Denn durch den Kampf (inklusive „Sieg“) sind die Sitten verdorben, die Na'vi haben sich von einem Menschen(mischling) leiten lassen und sind nun umgepolt – oder ist das von mir rassistisch gedacht? Ist nicht vielleicht die Integration des Menschlings ein positiver Entwicklungsschritt, der den Na'vi vielleicht auf lange Sicht das Überleben sichert? Z.B. durch Auffrischung des Genpools?! Und also nichts als natürliche Evolution?! (****)

Doch spätestens dann dürfte Pandora unterliegen, wenn die Invasoren mit mehr Truppen und weniger Samthandschuhen wiederkehren werden, dann aber so richtig sauer sind. Auch die Invasoren Nordamerikas gingen nach ihrer Niederlage am Little Bighorn nur umso gnadenloser vor.

Und da wären wir bei der zweiten Ebene: Den Invasoren und ihren Samthandschuhen. Auch hier vergreift sich AVATAR. Schon seit die Kriege industriell geführt werden, also seit ca. 90 Jahren, bereiten die Menschen ihre Invasionen aus der Luft vor. Entweder schleudern sie Granaten, oder sie senden Flugmaschinen: Der Zweck ist jeweils, das zu betretende Gebiet vorher „platt“ zu machen. Nur in AVATAR spazieren die Bodentruppen naiv wie Sommerfrischler auf der Suche nach Grillplätzen durch den intakten Wald (*****). Das Fällen des Lebensbaums entsprach dem Angriff auf ein Hauptquartier, doch dabei hat es noch keine Invasionsarmee belassen – nur die in AVATAR verschenkt so leichtfertig ihren Sieg. Kein Wunder, denn der Chef ist im Cockpit ja vor allem am Kaffee Trinken und Runden Ausgeben.
Naiv – das ist AVATAR. Der Film ist selbst das, was Jake anfangs vorgeworfen wird: Wie ein unwissendes Kleinkind stolpert er durch Pandora. Obwohl AVATAR von Jakes Erwachen, Belehrung und Reifung erzählen will: Der Film selbst bleibt auf der frühkindlichen Ebene stehen.

Schade. Angesichts des wichtigen Themas und der Tatsache, daß Pandora in Wirklichkeit für unsere Erde steht. Die Na'vi, das sind in Wirklichkeit wir selbst. (******)

PS: Wie bei vielen Reviews zeigt sich auch bei mir, während ich über einen Film als „naiv“ lästere, meine eigene Naivität. AVATAR lässt sich auch anders lesen. Es schadet z.B. nicht, sich mit Volker Münchs Essay im „Zeit“-Blog zu beschäftigen, den ich auch auf OFDB verlinkt habe. Darin geht es um die Archetypen in AVATAR, die menschlichen Invasoren sind „verzweifelt“, AVATAR zeige, Menschen müssten sich zum Überleben „auf ihre Endlichkeit einlassen und ihre Grandiosität fahren lassen. […] Die Umsetzung dieser inneren Entwicklungsbilder in filmische Gegenwart ist manchmal grandios gelungen. […] Es geht um einen Entwicklungssprung, den die Menschheit machen muss“. Avatar sei voller „Assoziationen zur christlichen Passion“. Usw.:
http://community.zeit.de/user/mvm1607/beitrag/2009/12/23/filmkritik-avatar-v-j-cameron

(*) Daß ein Sieg doch möglich ist, und so schnell, wird die 2.500 Einwohner (= Eingeborenen) von Karang Mendafo in Indonesien freuen. Sie führen nämlich seit 1999 einen ähnlichen Kampf gegen den Agrokonzern Sinar Mas. Bisher erfolglos. Auch die 224 anderen Dörfer, die auf Sumatra gegen ihre Vertreibung und Enteignung durch Palmölkonzerne kämpfen, hoffen auf einen Erfolg wie in AVATAR. Aber in der Realität ist das nicht so simpel, die Rettung der Urwälder gegen ihre Vermarktung (= Zerstörung), die Rettung der Ureinwohner, menschlich und nichtmenschlich, vor einem Genozid durch invasive Zivilisationen.

(**) Zu beobachten in Michael Moores FAHRENHEIT 9/11 (2004)

(***) Schön, die Flugwesen+Na'vi-Gespanne nutzen zunächst noch die Deckung der fliegenden Felsen. Die „Kavallerie“ im Wald hingegen trampelt einfach drauflos. Wo gerade der Wald Raum für subtilere Gegenwehr bietet (weshalb er im Vietnamkrieg ja entlaubt wurde).

(****) Mit dieser Thematik beschäftigte sich explizit die preisgekrönte US-Autorin Ursula K. LeGuin (den Filmfans bekannt durch den JANE AUSTEN BOOK CLUB, 2007) in ihrem Science-Fiction-Roman „Das Wort für Welt ist Wald“ aus dem Jahr 1972. Ich möchte wetten, James Cameron kennt das Werk: es gewann den Hugo Award, als Cameron 18 Jahre alt war. Auch Alan Dean Foster (hier schließt sich der Kreis, er schrieb u.a. die Romanfassung zu Camerons ALIENS) bearbeitete 1975 den Konflikt Invasoren vs. Natur im SF-Roman „Midworld“ (dt.: „Die denkenden Wälder“). Auch hier mit fatalen Folgen - für die Zivilisation.

(*****) Hier übertreibe ich ein wenig.

(******) Wobei „wir“ heutzutage natürlich gleichzeitig Opfer (Na'vi) UND Täter sind. Wobei bei „wir“ die Frage ist, WER denn eigentlich die Erde zerstört. Natürlich ist es die Menschheit. Doch „wir“ als Individuen wurden nie gefragt, ob wir z.B. den Urwald zerstören möchten, um etwas so Läppisches wie Klopapier oder Tageszeitungen zu haben. Oder ob wir unsere Nachkommen mit Plastikspielzeug vergiften möchten. Unsere urzeitliche Freude an Bequemlichkeit wird zu Renditezwecken ausgebeutet und mißbraucht als „Auftrag des freien Marktes“ zu einer Zerstörung, die von einem Nebel aus Lügen, sog. „Sachzwängen“, Greenwashing und angeblichem Bedarf an „Wirtschaftswachstum“ vernebelt wird, weil sie jeder Mensch mit ungetrübtem Blick ablehnte.

Doch aus dem Nebel werden die Monster kommen, das wissen wir seit Stephen Kings und Frank Darabonts MIST (2007).

Details
Ähnliche Filme