Hat man einmal einen Meilenstein gesetzt, hat man es als Regisseur schwer, weil jedes Folgeprojekt daran gemessen wird – James Cameron hatte sich mehrmals erfolgreich neu behauptet, 1997 das Megaspektakel „Titanic“ abgeliefert und ließ sich in beinahe logischer Konsequenz 12 Jahre Zeit für den nächsten Spielfilm.
Da war der Erwartungsdruck groß, nicht zuletzt da die Vorabberichterstattung von Camerons technischem Perfektionismus und den exzessiv eingesetzten CGI-Aufnahmen erzählte. Und bereits die ersten Aufnahmen machen deutlich: Technisch ist „Avatar“ eine Wucht, für die möglichst große Kinoleinwand gemacht und am besten in 3D zu genießen, wobei dies nicht essentiell wichtig ist – es hilft beim Eintauchen in die künstlich geschaffen, extrem plastisch animierte Welt von Pandora, jenem Planeten, den die Erdlinge in Camerons Film kolonisieren und als Ressourcenlieferant nutzen wollen.
Als Haupt- und Identifikationsfigur dient der Veteran Jake Sully (Sam Worthington), querschnittsgelähmt, der an dem Projekt beteiligt wird, nachdem sein Zwillingsbruder von einem Räuber ermordet wird. Denn auf Pandora sitzt das Naturvolk der Na ’vi, die über die Ressourcen wachen. Ausgewählte Personen sollen nach Na ’vi-Vorbild geschaffene Avatare bedienen und das Vertrauen des Volkes gewinnen, um es zur Umsiedlung zu bewegen. All das erzählt Cameron unglaublich ökonomisch, meist nebenbei im Dialog und direkt in die Handlung eingebaut, sodass die Exposition erfreulich schnell abgehakt ist.
Für Sully ist der Avatar ein Traum, immerhin kann er wieder laufen, und ironischerweise ist es er als einziger Nichtwissenschaftler im Team, der das Vertrauen der Na ’vi, vor allem der Häuptlingstochter Neytiri (Zoe Saldana) gewinnt. Doch bald kommen ihm Zweifel an seiner Mission…
Der mit dem Alien tanzt? Bei all der tricktechnischen Perfektion greift Cameron dann auf arg bekannte Handlungsmuster zurück, die „Der mit dem Wolf tanzt“-Prämisse wird hier halt interstellar aufbereitet und darüber hinaus ist man auch im All nicht vor Ethnokitsch sicher. Derweil werden fleißig Parallelen zur Vertreibung der Indianer durch die Weißen gezogen, auch kurz in Richtung Kolonisierung der Naturvölker ausgekeilt und Öko währt doch am längsten, so die wenig subtile Botschaft des Films.
Insofern sollte man nur bedingt einen vielschichtigen Film erwarten, doch immerhin die Hauptfigur behauptet sich als interessantester Charakter des Films. Ein gebrochener Veteran, der anfangs nur die Freuden des Laufens wiederentdeckt, schließlich sein Leben überdenkt und am Ende zwischen beiden Völkern steht – zeitweilig sogar von beiden Rassen zum Outcast erklärt wird, was sicherlich der interessanteste Part ist. Die Randcharaktere sind abgesehen von der resoluten Wissenschaftlerin Dr. Grace Augustine (Sigourney Waver) und ihrem Team eher simpel und uninteressant gehalten, die Na ’vi sind halt das reine Naturvolk in mythischer Verklärung, die restlichen Erdlinge sind fast ausnahmslos skrupellose Söldner, exemplarisch vertreten durch den herzlosen Überkapitalisten Parker Selfridge (Giovanni Ribisi) und den kriegsgeilen Colonel Miles Quaritch (Stephen Lang), der auch gerne Napalm am Morgen riecht.
Da liegt es dann an den Darstellern die Kohlen aus dem Feuer zu holen und das gelingt unterschiedlich gut. Gerade Sam Worthington ist in der Hauptrolle eine Traumbesetzung und schafft es die verschiedenen Facetten seines Charakters wunderbar einzufangen. Ähnlich toll sind Sigourney Weaver und Stephen Lang, der seine absolut eintönige Rolle mit soviel Charisma und Verve spielt, dass man diverse Klischees gern verzeiht. Die zu Na ’vi verfremdeten Darstellern behaupten sich solide, Michelle Rodriguez spielt ordentlich, während Giovanni Ribisis eintönige Darstellung eine ziemliche Enttäuschung ist.
Erzählerisch erreicht Cameron leider nie ganz die Pointiertheit seiner Exposition, so wunderbar wie frühere Filme funktioniert das Timing hier nicht, z.B. wenn die Company abrupt die Bulldozer anrollen lässt und Sullys Verhandlungsbemühungen zunichte macht, womit der Film innerhalb weniger Sekunden unschön Tempo und Stimmung wechselt. Doch meistens hat Camerons Film Drive, gerade die zweite, wesentlich gelungenere Hälfte lässt wieder alte Cameron-Qualitäten durchscheinen.
Hälfte eines verfällt nämlich nach der Exposition in ein handelsübliches Kennenlernspiel zwischen Sully und Neytiri, das weniger „Der mit Wolf tanzt“ und leider mehr „Pocahontas“ ohne Disneygesang ist – episodisch, einfach und auf nette Naturverbundenheit gebürstet. Apropos Disney: Bei der obligatorischen Liebesszene zwischen den Hauptfiguren erwartet man beinahe, dass Elton John mitsamt Klavier auf der Waldlichtung sitzt und „Can you feel the Love tonight“ in den Dschungel schmettert – da waren anderen Romanzen bei Cameron vielschichtiger.
Doch nicht nur als Erschaffer phantastischer Welten ist Cameron bekannt, sondern auch als Actionfilmer und da kann er mit „Avatar“ punkten, vor allem im ausgiebigen Finale. In der Luft und zu Boden wird dann mit Speer und Pfeilen gegen Helikopter und MGs gekämpft, großartige Schlachtszenen, deren Computerherkunft überraschenderweise überhaupt nicht stört beweisen, warum man „Avatar“ am besten auf Großleinwand schaut – da verzeiht man auch die deus ex machina Rettung gen Ende großzügig.
Auf rein visueller Ebene ist James Camerons „Avatar“ mitreißendes Kino, inhaltlich fehlt leider ein wenig von der Magie früherer Werke. Zu ausgelutscht die Naturvolkklischees, zu simpel und zu bekannt die Plotbausteine. Nicht falsch verstehen, temporeich und mit bombastischen Schauwerten gesegnet ist der Film auf jeden Fall, doch ein neues Meisterwerk ist er nicht. Eben „nur“ gutes Kino.