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Wenn ein Regisseur in seiner Karriere gleich mehrere Meilensteine abliefert, an deren Ende der mit Abstand erfolgreichste Film aller Zeiten steht, und sich dann die Zeit mit ein paar unspektakulären Dokumentationen vertreibt, nur um zwölf Jahre zu warten, bis die Technik soweit vorangeschritten ist, seine neueste Vision zu verwirklichen, dann schürt das vor allem eines: Grenzenlose Erwartungen.

Und was soll man sagen? Cameron übertrifft die Erwartungen, was das Visuelle angeht, sogar um Welten. Wer sich „Avatar“ im dafür konzipierten Rahmen (also: 3-D-Kino) ansieht, wird ab der Verschmelzung des Ex-Marines Jake Sully mit seinem Avatar etwas bis dato noch nicht Gesehenes erleben. Cameron zaubert eine Fantasiewelt herbei, die trotz ihrer Künstlichkeit so greifbar echt wirkt, wie noch nie etwas vom Computer Geschaffenes. Und es sind nicht die Schwindel erregenden Kamerafahrten über Wälder und schwebende Inseln, sondern die kleinen Details, die am meisten Begeisterung auslösen: Wassertropfen, die von Pflanzen rinnen, vorbeischwebende, quallenähnliche Tierchen oder einfach nur Insekten, die ganz beiläufig im Vordergrund vorbeifliegen – Camerons Film strotz vor Detailreichtum und in den besten Momenten (vor allem die Szenen bei Dunkelheit mit Leuchteffekten) scheint das Kino wirklich auf eine völlig neue Ebene gehoben zu werden, nichts scheint mehr unmöglich.

Doch das große „Aber“ lässt nur eine gute Stunde auf sich warten. Hört das grenzenlose Staunen erst einmal auf und man fühlt sich auf Pandora heimisch, bemerkt man doch, dass Cameron in der Charakterzeichnung seiner Figuren so schwach ist wie selten zuvor. Seine Stärke war das ohnehin noch nie, aber hier setzt er uns einen Colonel (Stephen Lang) vor, der aufgrund seiner überzogenen Boshaftigkeit eine Parodie seiner selbst ist und ständig One-Liner vom Stapel lässt, die schon in so manchem B-Movie aus den Achtzigern peinlich gewesen wären. Michelle Rodriguez als toughe Kämpferin und Giovanni Ribisi als Vorzeigekapitalist sind lediglich minimale Variationen von Vasquez und Carter Burke aus „Aliens“. Sigourney Weaver und Sam Worthington sind zwar Sympathieträger, aber gegen die eindimensionalen Figuren, die ihnen das Skript auferlegt, sind auch sie machtlos.

Mit dem Drehbuch ist das eh so eine Sache: Im Grunde genommen weiß man nach 20 Minuten, wie die Chose ausgeht, zumal man sämtliche Eckpfeiler der Geschichte schon aus der jüngeren und älteren Filmgeschichte kennt. In manchen Szenen bei den Na’vi sieht man fast schon Kevin Costner nebst Wolf vorbeitanzen, Karl May lässt mehr als nur einmal grüßen, das Spiel mit Realität/künstlicher Realität kennt man spätestens seit „Matrix“ nur zu gut und selbst viele optische Schmankerl haben Miyazaki, Jackson und Spielberg schon in ähnlicher Form dargereicht, wenn auch natürlich nicht auf so spektakuläre Art und Weise.

Die Öko-Botschaft hat Cameron einfach von sich selbst übernommen („Abyss“) und trägt sie in Verbindung mit einer Anti-War-Message mit so dickem Pinsel auf, dass man sie trotz des Staunens über das Visuelle unmöglich übersehen kann. Die Grenze zum Kitsch übertritt er auch aufgrund eines fürchterlich pathetisch-klebrigen Scores aus der Feder James Horners (Hans Zimmer meets Enya) mehr als nur einmal und Gespräche der Na’vi über den „Heimatbaum“, den „Baum der Seelen“ etc. sind so esoterisch-religiös, dass man sich ab und zu ein unbeabsichtigtes Grinsen nicht verkneifen kann.

Man wünscht sich, Cameron könne als Geschichtenerzähler das einlösen, was er als technischer Visionär verspricht. Das hat er in der Vergangenheit mehrfach getan, mit „Avatar“ gelingt es ihm leider nicht.

Effekttechnisch hat er das Kino wieder einmal ein Stück weiter gebracht, ich sage bewusst nicht „revolutioniert“, denn es ist doch mehr als fraglich, ob sich dieser 3-D-Bombast außerhalb des Event- und Blockbusterkinos durchsetzen kann. Aber gerade in diesem Bereich hat Cameron tatsächlich Außergewöhnliches geleistet, sodass es fraglich scheint, ob es sich ein Michael Bay in Zukunft noch erlauben kann, seine Roboter nur zweidimensional auf die Zuschauer loszulassen, denn die Messlatte im puren Effektkino liegt dank „Avatar“ wieder ein Stück höher.
Die Story an sich könnte noch weiter in den Hintergrund treten, bedenkt man, wie unwichtig sie schon hier für das Gesamtbild ist. Sie wirkt fast schon störend in Anbetracht dessen, dass man sich aufgrund der Dreidimensionalität sowieso nicht mehr auf zwischenmenschliche Details konzentrieren kann, sobald mehr als drei Sprechrollen gleichzeitig im Bild sind.

Für den phantastischen Filmbereich, wo es primär um die Erzeugung künstlicher Welten geht, dürfte „Avatar“ tatsächlich ein Meilenstein sein. Doch man sollte sich daran erinnern, dass vor nicht allzu langer Zeit im Stil von „Sin City“ die Zukunft in Sachen Comicverfilmung gesehen wurde und Zack Snyder diese Zukunft keine zwei Jahre später mit „300“ fast schon zu Grabe getragen hat. Man darf gespannt sein, ob sich auch beim „Avatar“-Style nach den ersten Begeisterungsstürmen bald Ernüchterung breitmacht.
Ungeachtet dessen muss man Cameron schon alleine dafür dankbar sein, dass er die Leute weg von dubiosen Internet-Tauschbörsen wieder dorthin führt, wo ein Film gesehen werden sollte: Ins Kino. Denn außerhalb von Lichtspielhäusern ist „Avatar“ wirklich total für die Katz’.

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