3-D Effekte, modernste Computertechnik und eine Patentanmeldung für eine revolutionäre Art der Kameraführung im virtuellen Raum - wer von James Camerons neuestem Film "Avatar" modernste visuelle Effekte erwartet, wird nicht enttäuscht werden. Wirklich neu ist diese Herangehensweise für Cameron nicht, denn schon "Abyss" konnte vor 20 Jahren mit bis heute überzeugenden Effekten aufwarten, ganz abgesehen von seinen "Terminator" Kreationen oder dem detailliert geschilderten Titanic - Untergang. Aber auch wenn "Avatar" als technischer Meilenstein angesehen würde, hätte sich der Film nur in die Vielzahl der "Blockbuster" eingereiht, die den Zuschauer vor allem mit Bildeffekten in den Kinosaal locken, darüber aber die Story meist vergessen.
Die Story, die Cameron hier erzählt, wirkt im ersten Moment in ihrer linearen Erzählweise und den eindeutigen Charakterisierungen wie ein Anachronismus im Vergleich zum technischen Aufwand. Fast altmodisch erinnert sie in ihrer Botschaft an "The Abyss", dem man damals auch eine gewisse Naivität vorgeworfen hatte. Doch dabei wird vergessen, dass schon lange Niemand mehr wagte, Geschichten zu erzählen, die den Betrachter mit einem klaren Konfliktbild sofort in ihren Bann ziehen. Das wird schon in den ersten Szenen deutlich, denen die übliche Geschwätzigkeit von Science - Fiction Filmen fehlt. Ohne mit Texttafeln oder Erklärungen aus dem Off irgendwelche Zusammenhänge, Jahreszahlen oder sonstige Einleitungen zu erwähnen, ergeben sich die gegensätzlichen Haltungen aus dem Agieren der handelnden Personen.
Dr. Grace Augustin (Sigourney Weaver) leitet die Forschungsabteilung und bildet das Gegenstück zu Colonel Miles Quaritch (Stephen Lang), der für die Sicherheit zuständig ist und eine Söldnertruppe aus ehemaligen Soldaten befehligt. Da Dr.Augustin, als Verantwortliche für die Avatare, mit denen die Forscher den Planeten erkunden, mehr den diplomatischen Weg bevorzugt, während der Colonel eher für eine harte Linie plädiert, um die Ureinwohner von den wertvollen Rohstoffvorkommen zu vertreiben, macht deren gegensätzlichen Positionen deutlich, aber Cameron entgeht üblichen Klischees, indem er Beide ähnlich cool agieren lässt. Sigourney Weaver, in Camerons "Aliens" noch für die Action zuständig, steht hier für eine ökologische Sichtweise und Erhaltung des Lebensraums der Ureinwohner, aber das hat nichts an ihrem schnoddrigen Ton und ihrer Respektlosigkeit gegenüber Vorgesetzten geändert.
Entscheidend für das gesamte Szenario ist aber die Figur des Jake Sully (Sam Worthington), die sämtliche Konflikte in sich vereint. Einerseits ein ehemaliger Elitesoldat, andererseits nach einem Kampfeinsatz verkrüppelt, ist er gleichzeitig stark und schwach. Sein Avatar versetzt ihn deshalb in eine gänzlich andere Situation, denn er ist als Ureinwohner nicht nur größer und stärker als die Menschen, sondern überhaupt dann nur in der Lage, sich wieder frei bewegen zu können, was ihn zuerst wie ein kleines Kind herumlaufen und alles anfassen lässt. Auch seine Position innerhalb der Firma ergibt sich aus dieser Gegensätzlichkeit, denn während er als Mitglied des Forschungsteams das Vertrauen der Ureinwohner erwerben soll, nutzt der Colonel den ehemaligen Soldaten als Kundschafter, um effektiv angreifen zu können.
Klassisch ist in dieser Hinsicht die Entwicklung des Jake Sully, der sich vom stupiden Mitläufer zum bewussten Kämpfer für die gerechte Sache entwickelt. Das hat man schon mehrfach gesehen, aber schon lange hat sich kein Film mehr so viel Zeit gelassen, diese Entwicklung nachvollziehbar zu entwickeln. Der eigentliche Grund für Sullys Veränderung ist die Beziehung zu einer Frau, worin sich wieder Parallelen zu "The Abyss" zeigen, aber noch mehr zu "Strange Days", zu dem Cameron das Drehbuch schrieb, und in dem sich die männliche Hauptfigur auch nur dank einer starken Frau veränderte. Neytiri (Zoe Saldana), Prinzessin des Volkes der Na'vi, rettet Jake eher unwillig das Leben und wird von ihren Eltern genötigt, dem "Menschen-Trottel" beizubringen, wie man auf Pandora überlebt.
"Avatar" bewahrt während seines ersten Drittels eine der Handlung angemessene Ruhe, zeigt die Schönheiten des Planeten und erzählt fast altmodisch von der langsamen Annäherung zwischen Neytiri und Jake. Unterschwellig entsteht die Spannung daraus, dass Jake dieses wachsende Vertrauen dazu benutzt, dem Colonel die notwendigen Informationen zukommen zu lassen und Cameron wäre nicht Cameron, wenn er die Blase nicht in dem Moment platzen liesse, als sich Jake und Neytiri ihre Liebe erklären. Darin wird aber auch das Gleichgewicht deutlich, dass dem Film während der gesamten Laufzeit gelingt. Trotz seines klaren Plädoyers für die Ureinwohner und gegen den kapitalorientierten, gewalttätigen Eindringling, bleibt der Film immer in seiner Darstellung ausgewogen. Ob Sigourney Weaver in einem esoterisch wirkenden Moment noch einen lässigen Spruch ablässt oder die Kampfhubschrauber das Liebesidyll zerstören - das Timing stimmt immer.
Letztlich zeigt sich in der inhaltlichen und visuellen Komplexität des Films auch die Notwendigkeit einer linearen Geschichte mit klaren charakterlichen Zuordnungen. Dadurch behält Cameron über die gesamte Laufzeit den Überblick, verbindet Beobachtungen in der Natur und die Darstellung archaischer Lebensformen mit futuristischer Technik und waffenstrotzenden Kampfeinsätzen, knüpft die ruhige Schilderungen einer charakterlichen Entwicklung an bombastische Action, und schildert einerseits den Krieg zwischen zwei Rassen und andererseits eine anrührende Liebesgeschichte. Auch dank der überzeugenden Darstellerriege, die mit drei starken Frauenfiguren aufwarten kann, gelingt Cameron hier die Quadratur des Kreises - ein Hightech-Film, der eine ganz altmodische Story erzählt, und damit ein "Blockbuster", der eine Seele hat (10/10).