Trailer und Vermarktung ließen „Edge of Darkness“ als Racheaction erscheinen, der Film ist allerdings eher ein Politthriller – wie die BBC-Serie, auf der er basiert.
Es beginnt mit drei Leichen, die im See vor einem Kraftwerk schwimmen, was zwar stimmig aussieht, dem genreerfahrenen Leser allerdings schon eine Leseanweisung an die Hand gibt. Böse Firmenbosse als Hintermänner, bei den Toten wird es sich vermutlich um Journalisten, Kronzeugen oder Umweltschützer handeln, also unliebsame Mitwisser, die man loswerden musste. Vielleicht war es ein Fehler eine Serie aus den 80ern neu aufzulegen, denn auch ohne Kenntnis der Vorlage kommt einem seltsam viel bekannt vor.
Kurze Zeit darauf: Der Cop Thomas Craven (Mel Gibson) erhält Besuch von seiner Tochter Emma (Bojana Novakovich), die in einem Kraftwerk arbeitet. Überraschend gelungen erzählt Martin Campbell in nur wenigen Szenen von einem innigen Vater-Tochter-Verhältnis, das von schlechten Omen (Emma ist anscheinend krank) überschattet wird – ehe ein Schrotflintenattentat Emma vor der Haustüre aus dem Leben reißt. Der Einbruch der Gewalt in die Familienidylle: Krass, schockierend, aber doch überzeugend dargestellt.
Anfangs glaubt Thomas noch, der Schuss habe ihm gegolten und macht sich in seinem Umfeld auf die Suche nach dem Schützen. Dann kommt er allerdings auf den Trichter, dass das Attentat und das gebrüllte „Craven“ Emma galten und dass das Ganze etwas mit ihrer Arbeit zu tun hat…
Kein „Lethal Weapon“, kein „Payback“: Der neue Rächer der Gibson-Klasse ist kein Actionheld, tritt nur gelegentlich mal in Aktion und dann meist in kurzen, vergleichsweise realistischen Szenen. Regisseur Martin Campbell inszeniert die entsprechenden Intermezzos teilweise als schockhafte Gewalteruptionen, in denen der sonst so ruhige Film urplötzlich eine ungewohnte Härte an den Tag legt. Und tatsächlich wirken diese Szenen durchaus konsequent, hat man sich mit dem Gedanken abgefunden hier nicht dem vom Trailer angepriesenen Actionfilm zu bekommen.
Allerdings schlingert „Edge of Darkness“ durchweg zwischen Rachedrama und Politthriller, kann sich nicht ganz entscheiden, wodrunter jeder Part leidet. Durchaus schade, denn gerade die Erforschung von Thomas’ Psyche, meist vertreten durch Rückblenden zur Kindheit seiner Tochter, entwickelt den Charakter glaubwürdig; etabliert ihn als Mann, der nichts mehr zu verlieren hat. Trauer mischt sich mit dem Professionalismus als Cop, z.B. wenn er einen Messerangreifer mit Expertenhandgriff entwaffnet. Auch die Erlöser- bzw. Märtyrersymbolik, auf die Gibson gerne zurückgreift, die hier aber nur in geringem Maße vorkommt, stört das Bild kaum.
Mel Gibson spielt den Helden zurückgenommen, aber durchweg überzeugend, eine Performance, die an sich einen stärkeren Film verdient hätte. Gibson geht die Stufen von Cravens Trauer eingängig durch, macht jeden Sinneswandel deutlich. Bojana Novakovich hat nur wenige Szenen, weiß sich aber zu behaupten, Ray Winstone hat als undurchsichtiger Problemlöser, der immer mal wieder Cravens Weg kreuzt, eine dankbare Rolle und geht darin richtig auf, während der Rest vom Cast solide supportet, aber nicht länger im Gedächtnis bleibt.
Jedoch ist es der Politthrillerpart, der neben der allgemeinen Unausgewogenheit nicht so ganz funktionieren will, was auch an der Reduktion der Miniserie auf einen Einzelfilm liegen dürfte. Die Figur von Jedburgh (Ray Winstone) ist cool, bleibt aber unentwickelt und man könnte sie beinahe weglassen, wäre ihre letzte Szene in dem Film nicht. Zudem scheinen Craven die Hinweise hier und da beinahe zuzufliegen, vermutlich weil man die Ermittlungsarbeiten der Miniserie zusammengekürzt hat, geradezu sinnlos erscheint das Verprügeln eines korrupten Umweltaktivisten, da es danach nie wieder aufgenommen wird.
Vor allem aber wirkt vieles einfach altbekannt. Dabei können klassische Politfilme durchaus funktionieren, letztes Jahr bewiesen „The International“ und „State of Play“ wie man derartige Plots immer noch stimmig erzählen kann. Bei „Edge of Darkness“ hingegen wirkt vieles klischeehaft und vorhersehbar, als hätte man Szenen und Plotelemente schon in zig Filmen zuvor gesehen. Natürlich ist der Senator, den man in einer Fernsehdebatte sieht, später auch in den Skandal verwickelt usw. Selbst filmisch ist diese Eigenart zu bemerken. *SPOILER* Beim Gespräch mit einer verängstigten Mitwisserin im Auto sieht man Craven immer aus der Nähe, sie wird von weiter weg gefilmt, mit der Straße im Hintergrund. Natürlich bedeutet das, dass ein Killer sie genau in dem Moment überfährt, als sie aus dem Auto aussteigt. *SPOILER ENDE*
Inszenatorisch und darstellerisch kann man „Edge of Darkness“ definitiv nichts vorwerfen, dem zwischen Rachedrama und Politthriller schwankenden Drehbuch schon, da es leider diverse Plotlücken hat und zudem stellenweise altbacken und vorhersehbar daherkommt. Kein Fehlschlag, aber zu mehr als 5,5 Punkten meinerseits reicht es nicht.