Dass Jean Rollin als Meister des leicht erotisch angehauchten Vampirfilms der 70er Jahre gilt ist allgemein bekannt. Auch "Lips of Blood" darf sich zu diesem Subgenre zählen. Allerdings, und ich wiederhole das immer wieder gerne, weiß Rollin seine hübschen Darstellerinnen gekonnt in Szene zu setzen. Das wirkt nie wie eine pure "Fleischbeschau". Natürlich werden seine Kritiker gerade dies seinen Filmen, auch diesem hier, vorwerfen. Aber damit verschließen sie sich gegen das eigentliche Wesen seiner Filme.
Bleiben wir kurz bei der erotischen Komponente, die in diesem Film natürlich auch wieder eine Rolle spielt, jedoch im Vergleich zu seinen anderen Filmen nicht unbedingt im Vordergrund steht. Natürlich hat Rollin wieder bildhübsche Darstellerinnen zu bieten, allen voran die Castel-Zwillinge, und ja sie treten "leicht bekleidet" und manchmal auch völlig nackend in Erscheinung. Er schafft es aber eine latente Erotik zu kreieren, die knistert und nie voyeuristisch daher kommt. Die Darstellerinnen wirken wie einem Traum entsprungen. Sie "dienen" dem unbekannten Mädchen und helfen Frederick auf seiner Suche; sie wirken gleichzeitig verführerisch, zerbrechlich und in manchen Situationen auch gefährlich. Der erotische Faktor bleibt vorhanden, aber meist angenehm verschleiert. Nur am Anfang und am Ende bricht er aus seiner Verschleierung heraus und wird für den Zuschauer fast "greifbar". Allein dieser Aspekt gefällt mir sehr gut an diesem Werk.
Der "Held", unsere Identifikationsfigur, stellt, für mich persönlich, bei Rollins Filmen oft eine etwas schwierige Komponente dar. Ich muss erwähnen, dass es bei Rollin selten den "klassischen Helden" gibt. Die Männer rücken oftmals in den Hintergrund und wenn sie sich in den Vordergrund drängen, sind sie zwar nicht unbedingt unsympathisch, aber sie bringen manchmal (so empfinde ich das) die sprichwörtliche Ruhe hinaus. Nur nicht Frederick, man mag den Kerl irgendwie von Anfang an und hofft, dass es ihm gelingt seine große Liebe wiederzufinden, obwohl ihm teilweise doch recht große Steine in den Weg gelegt werden. Jean-Loup Philippe spielt den "Helden" ziemlich gut, ohne große Theatralik, welche oftmals von den meisten "Helden" in Rollins Filmen praktiziert wird.
Erwähnenswert ist auch, dass Rollin bei "Lips of Blood", zwar auch nicht soviel Wert auf die Geschichte legt (sie ist bei ihm meistens eh nur Staffage), sie aber, im Gegensatz zu den meisten seiner anderen Filmen, linear zu Ende führt. Somit können "Rollin-Neulinge" durchaus dem weiteren Verlauf sehr gut folgen.
Ich kann seine Fans aber beruhigen, Rollin verzichtet keineswegs auf surrealistische Bilder und seine typische Atmosphäre. Die sind sehr wohl vorhanden und verhelfen diesem Film auch wieder zu seiner Extraklasse. Allein die Szene, in der der erwachsene Frederick bei Nacht durch die Stadt irrt, auf der Suche nach der Ruine und allen Hindernissen trotzend, während die "Dienerinnen" des schönen Mädchens ebenfalls durch die Nacht wandern, ist astrein inszeniert und gehört mit zum Besten, was Rollin gedreht hat. Das hat sowas richtig alptraumhaftes, verzweifeltes aber dennoch mit Hoffnung ausgestattes Gefühl bei mir ausgelöst. Wo wir wieder beim "träumerischen" Inszenierungsstil wären...
Die Musik spielt in diesem Film eine eher untergeordnete Rolle, doch wenn sie einsetzt, ist sie sehr schön und passt gut zum Geschehen.
Für die Interpretationskünstler unter euch wird hier auch wieder einiges geboten. Wenn sich Frederick z. B. voll seiner Liebsten hingibt, alles auf sich nimmt um sie zu finden, kann man wirklich von der "ewigen", einzig wahren Liebe und von waschechter Aufopferung sprechen. Oder wie die "Dienerinnen" des Mädchens sich loyal untereinander verhalten, bis zum Tode, obwohl sie in den Augen der Menschen "anders" sind, dennoch in ihrem Tun doch wieder so menschlich agieren.
Jean Rollin ist ein richtiges Meisterstück geglückt, dass sicherlich sein Publikum abseits des Mainstream finden wird und es auch verdient hat. Garniert mit schönen Darstellerinnen, einer tollen Atmosphäre, genialen Bildern und einem sympathischen "Helden". Wer nichts mit Rollins Filmen anfangen kann, wird sich auch mit "Lips of Blood" schwer tun. Alle anderen: Unbedingt anschauen!