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Diese von Spiegel TV für die ARD produzierte und dort am 2. November 2009 anlässlich des nahenden zwanzigjähren Jubiläums der innerdeutschen Grenzöffnung erstausgestrahlte und später innerhalb der „Der Spiegel“-Magazinbeilagen-DVD-Reihe unter dem Covertitel „9. November '89: Das Protokoll eines Versehens“ physikalisch veröffentlichte Dokumentation ist eine von so vielen über jene schicksalhafte Nacht, mit 74 Minuten Laufzeit sogar in Dokumentarfilmlänge. Umgesetzt wurde der Film von den Dokumentarfilmern Florian Huber („Unterwegs in Kanada“) und Marc Brasse („Sir Henry Morgan – Pirat im Auftrag seiner Majestät“).

Im reißerischen Springer-Duktus führt ein framender und primender Sprecher durch den Film, der diverse Szenen im Dokudrama-Stil mit Schauspielerinnen und Schauspielern nachstellen lässt, ansonsten aber erwartungsgemäß auf viel Archivmaterial und Zeitzeug(inn)enaussagen zurückgreift. Neu, interessant und damit größtes Pfund dieses Films ist es, dass man mit Gerhard Lauter jenen DDR-Innenministeriumsmitarbeiter für die Zusammenarbeit gewinnen konnte, von dem der entscheidende Passus innerhalb des Papiers zur neuen Ausreiseregelung, das Krenz schließlich abgesegnet hatte, stammte – ein sehr sympathisch anmutender Mann, der nach dem Ende der DDR als Anwalt tätig und seinen sozialistisch-humanistischen Überzeugungen als aktives Mitglied erst der PDS, dann der Linken treu geblieben war. Auf ihn fokussiert sich der Film zunächst, dessen Sprecher zu suggerieren scheint, Krenz habe das Papier gar nicht gelesen, um diesen Ansatz dann jedoch selbst zu verwerfen.

Mit Peter Brinkmann präsentiert man, neben einem Kollegen der US-Medien, ausgerechnet einen ehemaligen „Bild“-Journalisten als weiteren Zeitzeugen. Nachdem Schabowski bekanntermaßen die Sperrfrist übersehen und die Grenzöffnung innerhalb der Pressekonferenz verfrüht bekanntgegeben und damit Chaos ausgelöst hatte, konzentriert sich der Film auf die DDR-Grenzbeamten, von denen Harald Jäger vom Grenzübergang Bornholmer Straße als Zeitzeuge bereitwillig Auskunft erteilt, sowie auf die Ereignisse in jener Nacht. Einzelne zivile Zeitzeug(inn)en berichten exemplarisch von ihrem damaligen Erlebnissen und Besuchen West-Berlins. Das ist trotz des bekannten Ausgangs mitreißend und spannend, wenngleich bewusst emotionalisierend aufbereitet. Dass unter den vielen Zeitzeug(inn)en ausgerechnet Egon Krenz fehlt, der für gewöhnlich sehr offen mit seiner Rolle in der DDR-Regierung und seinen die Wende besiegelnden Entscheidungen umgeht, ist ärgerlich, dürfte aber in der mitnichten schlicht nicht-, sondern dogmatisch antikommunistischen Doktrin des „Spiegels“ begründet liegen, der an der DDR nie ein gutes Haar gelassen hat und statt mit jemandem vom Format eines Egon Krenz lieber mit einem Wendehals wie Günter Schabowski den Austausch sucht, der hier bereitwillig aus dem Nähkästchen plaudert.

Schön, dass am Schluss erwähnt wird, was aus den Zeitzeuginnen und -zeugen jeweils geworden ist – dadurch wirkt der Film wie eine Wendegewinnergeschichte. Schade, dass er nicht zeigt, was in den 1990ern aus den neuen Bundesländern und der gesamtdeutschen Gesellschaft geworden ist, oder wenigstens die Schattenseiten des weiteren politischen Verlaufs nach der Grenzöffnung und des schließlich daraus resultierenden „Einigungs“prozesses aufzeigt. Auch auf die Vermittlung jeglicher geschichtlicher Hintergründe zu Themen wie deutsche Spaltung, innerdeutsche Grenze, Mauerbau, NATO/Warschauer Pakt o.ä. verzichtet der Film gänzlich, der in seiner Einseitigkeit haarscharf an Propaganda vorbeischrammt.

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