Neon Genesis Evangelion, ein Name, der auch Nicht-Anime-Fans etwas sagen dürfte, seit ihrem Erscheinen 1995 hat sich um die 26teilige Serie ein Fankult entwickelt, wie um kaum ein anderes TV Ereignis. Was ist es, dass Evangelion so gut macht, dass Fans Purzelbäume schlagen lässt, wenn Gainex mal wieder etwas Geld braucht und eine neue DVD-Edition mit ein paar zusätzlichen Szenen und wackelfreierem Bild ankündigt? Ist der riesige Hype auf unzähligen Fanseiten gerechtfertigt, was ist dran und vor allem was steckt drin in Neon Genesis Evangelion.
Alles fängt ganz genretypisch, fast schon klischeehaft, an. Nachdem er kurz erfahren hat, dass die Welt nach einem Meteoriteneinschlag im Jahre 2000 verwüstet wurde, trifft der Zuschauer auf Shinji Ikari, 14 Jahre alt, gerade in Tokio-3 eingetroffen. Genau zu dem Zeitpunkt in dem die Stadt von einem riesigem ausserirdischem Wesen angegriffen wird, nur gut, dass die Geheimorganisation Nerv, die ganz zufälligerweise von Shinji’s Vater geleitet wird, genau für diesen Zweck einen ebenso riesenhaften Superroboter angefertigt hat, der, Überraschung, natürlich nur von Shinji gesteuert werden kann. Ach ja ihm wird auch noch eine großbusige langbeinige Schönheit namens Misato Katsuragi zur Seite gestellt.
So viel zur Story, wohlgemerkt der Story der ersten Episode. Hier wird quasi alles an Anime –Klischees aufgefahren, was das Genre zu bieten hat. Im Nachhinein betrachtet ein genialer Schachzug, das ganze ist als reiner Attention-Grabber gedacht. Anfangs ist alles noch lustig, leicht überdreht, selbst die Kamera sucht sich gern mal eine Position um die geschlechtsspezifischen Merkmale von Misato ins rechte Licht zu rücken. Die Serie verlässt von Folge zu Folge mehr die ausgetreten und formelhaften Pfade und betritt storytechnisches und inhaltliches Neuland. Dies ist auch eine der ganz großen Pluspunkte von Evangelion. Hideaki Anno, hat ein Gesamtkonzept, einen Message die er verbreiten will. Anstatt diese nun einfach hinzuklatschen (wie ein Herr Oshii das neuerdings gern macht), versucht er so, ein so breites Publikum wie möglich mit zu nehmen. Dies beginnt mit der oben beschriebenen Episode und endet in einem unvergesslichen Selbstfindungstrip, welcher sich nur noch in Shinji’s Kopf abspielt. Der Übergang ist dabei so fließend, und es werden in den Episoden dazwischen so geschickt neue Elemente hinzugefügt und die Charaktere vertieft, dass man diesen Effekt beim ersten Anschauen gar nicht so richtig bemerkt.
Charaktere ist ein gutes Stichwort, denn sie sind die ganz große Stärke von Neon Genesis Evangelion. Nörgler mögen jetzt anbringen, hey Shinji der von Selbstzweifeln geplagte Loser, Asuka, die hitzköpfige ignorante Perfektionistin, das sind doch pure wandelnde Klischees. Na ja, sagen wir mal sie stellen gewisse Archetypen dar, dies ist gewollt und nötig um den Zuschauer Identifikationsfiguren zu bieten. Im Prinzip ist es ab einem speziellen Zeitpunkt völlig egal, ob das ganze zwischen Mechschlachten und im Jahre 2015 spielt, was wirklich bestens funktioniert sind die zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Serie gräbt hier tiefer im Innenleben der Protagonisten als so ziemlich jeder Live-Action Film das je getan hat. Als Ergebnis ist vieles verallgemeinerbar und wenn man sich auch nur halbwegs mit einer der Figuren identifizieren kann dies eine sehr Interessante Erfahrung sein. Wie sehr es Anno um die Charaktere geht zeigen die letzten Episoden, als das Geld ausging, wurde die Auflösung des eigentlichen Plots auf eine rein symbolische Ebene verfrachtet, Hauptsache die Charakterentwicklung wird ausreichend abgeschlossen, was effektiv die gesamten letzten beiden Episoden in Anspruch nimmt. Erst der zwei Jahre später folgende Kinofilm End of Evangelion beendet die Haupthandlung eindeutig, setzt dabei aber auch zusätzlich eine bitterböse Schlusspointe an das Ende von Shinji’s Weg.
Der Plot selbst wird auch von Episode zu Episode komplexer, klar es gilt prinzipiell angreifenden Engel um Engel zurückzuschlagen um die Menschheit vor der Vernichtung zu bewahren. Doch was sind die Engel, was wollen sie, was ist Nerv, was ist beim Second Impact wirklich geschehen und was hat es eigentlich mit der geheimnisvollen Organisation Seele auf sich? Fragen über Fragen, die aufgeworfen und meist nur sehr wage beantwortet werden, es bleibt dem Zuschauer überlassen diese Lücken mit eigenen Überlegungen zu füllen. Zudem ist das ganze gespickt mit religiöser Symbolik verschiedenster Glaubensrichtungen, die regelrecht zu Deutungsversuchen einladen, welche wiederum nicht wenige Internetseiten füllen. Zudem hat jede Figur noch sein eigenes Kinheitstrauma zu überwältigen, da dies nicht selten mit der Haupthandlung verflochten ist, entsteht eine hochkomplexe Geschichte, die beim einmaligen Betrachten kaum komplett zu fassen ist. Wie bereits erwähnt, auf den Trip in die Seelen der Figuren nimmt die Serie den Zuschauer an die Hand, das Zusammenbasteln der Story hingegen ist fast schon Fleißarbeit. Selbst beim dritten Mal ansehen hat man an der einen oder anderen Stelle noch das wohlige Gefühl, dass einem gerade ein Licht aufgegangen ist.
Besonders positiv bleibt auch der Soundtrack im Gedächtnis, oder besser gesagt im Ohr. Das Orchesterscore ist ein absoluter Ohrwurm, die eigens komponierten Stücke stehen den gelegentlich Verwendeten bekannten Klassik Tracks in nichts nach. Hier reicht das Spektrum von minimalistischer Hintergrundbeschallung über getragene Streichermelodien bis zur Verwendung von Beethovens 9ter Sinfonie als Untermalung für den Endkampf. Außerdem hat jeder Charakter eine eigene Erkennungsmelodie, die im Laufe der Handlung immer ein wenig verändert und neu arrangiert wird. Eine weitere Stärke der auditiven Eigenschaften, sind die Sprecher, die sowohl in der japanischen, wie auch in der englischen Fassung einen hervorragenden Job machen und die Figuren erst mit Leben füllen.
Mittlerweile sind die Animationen technisch überholt, aber immer noch sehr sehenswert. Die Figuren sind alle recht dürr und die Bewegungsabläufe nicht wirklich herausragend, auch für die Entstehungszeit nicht. Aber hier helfen das tolle Design und der enorme Detailreichtum der endzeitlichen Welt weiter. Trotzt der zeichnerischen Defizite ist diese jederzeit glaubwürdig, vor allem durch die häufigen Erklärungen zur Funktionsweise der Technologien kauft man Evangelion Tokio-3, das Nerv Hauptquartier und auch die Evas als mögliche Zukunftserrungenschaften ab. Wenn es dann aber an die Action geht, laufen die Animationskünstler zur Höchstform auf, vor allem die Choreographien der Kämpfe, meist synchron zur Musik, sind hervorragend, die Engel kreativ gestaltet und die Konfliktlösungen höchst abwechslungsreich. Fairerweise muss aber gesagt werden, dass die Action später deutlich in den Hintergrund rückt, Stars bleiben, wie bereits erwähnt, immer die Figuren. Wer mehr Action mit riesigen Robotern sehen will, ist bei Gundam Wing sicher besser aufgehoben. Die häufig, vor allem gegen Ende, verwendeten langen ruhigen Einstellungen prägen sich erstaunlich leicht ins Gedächtnis ein, überhaupt ist die Visualisierung der Gedankenwelten von Rei, Shinji und Co. genial gelöst. Meist von Off-Kommentaren begleitet, entstehen so einige unvergessliche Trips in die Gedankenwelten der Protagonisten.
Fazit: Der legendäre Ruf, der Neon Genesis Evangelion vorauseilt ist völlig gerechtfertigt. Es ist einfach eine der Besten, wenn nicht die Beste Anime-Serie die es gibt. Neben der hochkomplexen, mit verschiedensten religiösen Motiven angereicherten Geschichte und den zeitlos genial choreografierten Actionsequenzen, sind es allen vorweg die superb ausgearbeiteten Charaktere und deren Beziehungen untereinander und zur der Welt in der sie Leben, welche Evangelion auszeichnen. Den Titel Anime-Fan hat man sich sowieso nur verdient wenn man das Teil im Schrank stehen hat, aber auch jeder der es noch nicht kennt sollte dies unbedingt nachholen. Schlicht und einfach perfekt.