Der Folgefilm eines Regisseurs, der zuvor ein von Kritikern wie Publikum hochgelobtes Meisterwerk vorlegte, steht für gewöhnlich unter einem gewaltigen Erwartungsdruck. Etwas neues, aber möglichst mit den schätzten gelernten Zutaten, etwas mindestens gleichwertiges und wenn möglich besseres soll er bieten. So entzieht man einem Film (besonders einem, der nicht Sequel, Prequel oder wenigstens SpinOff ist) jedoch sein Recht auf Unvoreingenommenheit und sieht ihn nicht selten schlechter, als er ohne den prägenden Eindruck des Vorläufers wahrgenommen worden wäre. Trotz überwiegendem Wohlwollen erging es so auch Christopher Nolans ‚Insomnia‘, den der Brite 2002, zwei Jahre nach dem vertrakten Thriller-Geniestreich ‚Memento‘ in die Kinos brachte.
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Nolan entschied sich hierbei für ein Remake des gerade einmal fünf Jahre zuvor erschienenen ‚Todesschlaf‘ aus Norwegen. Außerdem schrieb er zum ersten und bisher einzigen Mal zu einem seiner Projekte das Drehbuch nicht selbst, sondern griff auf die Adaption der Autorin Hillary Seitz zurück. Ob er damit einen Teil des Drucks von seinen Schultern laden wollte oder ihn Originalfilm und/oder Drehbuch derart ansprachen, darüber mag spekuliert werden. Ob der Qualität von ‚Insomnia‘ muss man sich allerdings nicht auf Vermutungen verlassen. Nolan liefert hier nicht nur einen weiteren Beweis seines Ausnahmetalents, sondern auch einen großartigen, ungewöhnlichen Krimi mit hervorragender Bildkomposition, sehr sehenswerten Darstellerleistungen und fesselnder Atmospähre.
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Will Dormer, angesehener Detective aus Los Angeles, reist mit seinem Partner Hap Eckhart nach Alaska, um die Aufklärung des Mordes an einer 17jährigen zu unterstützen. Bereits während des Anflugs des Gespanns auf das verschlafene Örtchen Nightmute gelingen Nolans Stammkameramann Wally Pfister beeindruckende Aufnahmen einer so einzigartigen, wie isolierenden Landschaft. Dazwischen wird immer wieder das Bild eines weißen Stück Stoff gesetzt, auf dem sich scheinbar ein Blutfleck ausbreitet. Dieses bedrohliche Motiv zieht sich bis zu seiner überraschenden Auflösung durch den Film. Wegen der ununterbrochenen Helligkeit, die während der Sommermonate in Alaska herrscht, findet Dormer keinen Schlaf. Neben den Ermittlungen beschäftigt ihn außerdem, dass sein Partner sich auf einen Deal mit der Abteilung für innere Angelegenheiten einlassen will, wodurch Dormer schwerwiegend belastet werden würde. Als die Polizisten auf die Spur des Mörders kommen und diesem eine Falle stellen, gelingt dem Mann in dichtem Nebel die Flucht, während Dormer scheinbar versehentlich Hap erschießt. Aus Selbstschutz verschweigt er dies und schiebt dem Mörder die Tat zu...
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Neben der spannenden Ausgangslage, in die er seine Protagonisten versetzt, ist es das Setting, durch das ‚Insomnia‘ überzeugt. Statt Bedrohlichkeit und Gefahr mittels Dunkelheit und Schatten zu erzeugen gelingt dies Nolan auf bestechende und (trotz des Remake-Status) unverbrauchte Art unter dem ständigen Licht der nicht untergehenden Sonne. Dadurch entstehen einige beinahe surreale Momente, etwa wenn Dormer mitten in der Nacht, aber bei blendender Helligkeit durch die verlassenen Straßen des kleinen Ortes irrt. Die gesamte Gegend mit ihren riesigen Bergmassiven und Seen wirkt dabei gleichermaßen schön und unwirklich. Der Einfluss seiner Umgebung nebst dem anhaltenden Mangel an Schlaf treibt Dormer in einen gleißenden Albtraum, durch den er sich mit offenen Augen kämpfen muss. Als der Mörder des Mädchens zu ihm Kontakt aufnimmt und Dormer wissen lässt, ihn beim tödlichen Schuss auf seinen Partner gesehen zu haben, entwickelt sich ein perfides Psychoduell, in dessen Verlauf sich die klare Trennung zwischen Täter und Ermittler weiter und weiter verschiebt.
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Der zunehmend von Halluzinationen und Wahrnehmungsstörungen geplagte Dormer ist mit Al Pacino perfekt besetzt. Immer tiefer lässt Nolan den Detectiv in den Abgrund sinken und allein die äußerliche Veränderung, die Pacino portraitiert, ist absolut mitreißend. Die moralischen Konflikte, mit denen er konfrontiert wird und die der von Robin Williams verkörperte Mörder Walter Finch auszunutzen versucht, weiß Nolan in ein überzeugendes Zusammenspiel aus Pacinos Darstellung und den äußeren Gegebenheiten zu setzen. Dabei ist auch Williams nicht der typische kaltblütige Killer, teilweise werden ihm sogar symapathische Züge zugesprochen, während Pacinos Dormer diese mehr und mehr abhanden kommen, je weiter er sich auf den Handel mit Finch einlässt. Nebenher übersieht Dormer, dass die Provinzpolizistin Ellie Burr langsam den wahren Hintergrund des Mordes an Hap erkennt.
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Burr ist mit der zweifachen Oscarpreisträgerin Hilary Swank ebenfalls sehr gut besetzt. Zu Anfang nur eine Bewunderin und Stichwortgeberin für den großen Detective Dormer, gewinnt sie im Laufe der Handlung an Bedeutung. Gegen die Präsenz von Pacino und Williams kommt Swank dennoch nicht an und das Potenzial, das die Actrice bietet, wird nicht voll genutzt. Dies gilt leider gegen Ende auch etwas für die Story des Films, denn beim Showdown wird teilweise eine zu konventionelle Richtung eingeschlagen und man könnte sich eine gelungenere Auflösung gut vorstellen. Den starken Eindruck, den ‚Insomnia‘ aufgrund der atmospärisch enorm dichten Bilder, seiner darstellerischen Klasse und nicht zuletzt des intensiven Scores von David Julyan hinterlässt, trübt dies geringfügig. Nach dem Schlussbild bleibt in jedem Fall ein stark inszenierter, herkömmliche Pfade mit neuen Steinen pflasternder Thriller erster Güte.