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Die Geschichte sollte mehr oder weniger bekannt sein. Ein Angehöriger des Nazi-Regimes, der sich bisher immer damit befriedigen konnte, nur die Truppen zu unterstützen, wird unfreiwillig in die Vernichtungsmaschine hineingezogen und soll fortan an der „Endlösung“ arbeiten. Daraufhin fängt er an, gegen das System zu arbeiten, verzögert hier, intrigiert da, und versucht zu helfen. Das besondere an diesem Film ist, dass es nicht nur die Seite des Betroffenen zeigt, sondern auch und vor allem die weltumspannenden Vorgänge und Zusammenhänge, die Hitlers wirken wenn nicht ermöglicht, dann doch zumindest unfreiwillig unterstützt haben.

Kurt Gerstein, seines Zeichens Chemiker, hat sich bisher mit der Wasseraufbereitung für die Truppen an der Front befasst, und weiß nicht viel vom wahren Sinn des Krieges. Das ändert sich, als er von der SS für ein geheimes Projekt angeworben wird. Es handelt sich um die Vernichtung der Juden mittels Zyklon B. Gerstein wird Augenzeuge, und natürlich will er daran nicht mitarbeiten. Aber was tun? Nein sagen kann er schlecht, im Hitler-Deutschland würde es ihm schlecht ergehen, und schließlich hat er eine Familie zu versorgen. Also stimmt er zu und arbeitet fortan verdeckt gegen das System. Er versucht, Kontakt ins Ausland aufzunehmen und Regierungen zu warnen, schließlich wird er sogar bei der Kirche vorstellig. Der junge Jesuit Ricardo, dessen Vater zufällig am Vatikan beschäftigt ist, wird sein Verbündeter. Wer in Geschichte etwas aufgepasst hat, weiß, dass das am Ende nichts genützt hat...

Im Gegensatz zu anderen Filmen aus dem selben Bereich (Schindlers Liste als Primus), setzt „Der Stellvertreter“ nicht auf die Darstellung des Grauens, sondern lässt all das bewusst im Kopf der Zuschauer abspielen. So stehen die Darsteller mehrere Minuten lang vor Gucklöchern, hinter denen gerade Juden vergast werden. Meiner Ansicht nach sieht man im ganzen Film bewusst wenige Juden, um den Zuschauer zum mitdenken zu zwingen, um ihm das Geschehen innerlich zu verdeutlichen.

Ulrich Turkur als Hauptfigur liefert eine gute Leistung ab und man nimmt ihm den innerlich zerrissenen SS-Angehörigen ohne weiteres ab. Auch Matthieu Kassovitz sollte erwähnt werden, weil er sich im Film geradezu unglaublich steigert. Anfangs hat er mich gestört, er wirkte zu glatt und war flach, im Verlauf des Film wird seine Darstellung deutlich besser und gegen Ende des Films läuft er zu hoher Form auf.

Es gibt in Form eines Vorgesetzten Gersteins eine böse Figur, allerdings sind die wahren Bösen andere. So stellt es zumindest der Film dar. Besonders der Vatikan wird stark kritisiert. Ricardo taucht eines Tages dort auf, mit Belegen und Karten mit eingezeichneten Vernichtungslagern. Die versammelte Kirchenelite speist unterdessen luxuriös vor dem Hintergrund des Petersdoms. An dieser Stelle hatte ich doch einen Klos im Hals. Und der damals amtierende Papst Pius will unter allen Umständen neutral bleiben, auch wenn das bedeutet, zigtausend Juden täglich in den Tod zu schicken. Das auch in Zeiten des Krieges Konfessionen (Gerstein ist Protestant) noch wichtig sind, bzw. als Vorwand nichts tun zu müssen, herhalten, wird ebenfalls angekreidet. Gersteins Vater als blinder Nachläufer der Nazi-Ideologie ist ein anderer Fall, aber steht ebenfalls exemplarisch für die Stimmung in Deutschland.

„Der Stellvertreter“ ist ein Film, der ohne weiteres als langsam bezeichnet werden kann. Aber diese Langsamkeit ist stetig, und der Film kommt langsam aber stetig ans Ziel. Die völlige Unfähigkeit der Weltelite, einen bestialischen Massenmord zu verhindern, wird gut herausgearbeitet. Letztlich scheitert man an solch banalen Dingen wie Zugehörigkeit zu einer Religion oder der Angst um die eigene Neutralität. Gute Leistungen der beteiligten Schauspieler und eine schöne Sound- und Musikkulisse runden das Bild eines guten Films ab.

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