Review

Mit Abstand der beste Film von Scorsese und laut seiner eigenen Aussage auch sein Lieblingsprojekt, auf das er sich 20 Jahre vorbereitet hat.
Was diesen Film über seine anderen Gangsterfilme erhebt ist in erster Linie das historische Ambiente. Bereits die Betrachtung dieser Kulissen und der Kostüme hat einen mehrfach Nutzen für den Zuschauer. Man kann sich völlig ins New York des Jahres 1862 hineinversetzen.

Zweiter Pluspunkt sind die harten Kämpfe. Realistisch und aufregend spannend sind die.

Dritter Mehrwert ist die Information über ein großes Historisches Ereignis, denn diese blutigen Unruhen hat es damals wirklich gegeben aus Protest gegen die Wehrpflicht im Amerikanischen Bürgerkrieg. Haßerfüllt und feindlich gegen die Schwarzen waren die Ausschreitungen des Mobs, was hier im Film nur am Rande vorkommt, denn in freier Dramaturgie konzentriert sich das Werk auf die persönliche Rachegeschichte zwischen DiCaprio und Lewis - womit wir beim Punkt Vier der Steigerungen sind, denn eine Rache für böse Taten sucht man in Scorseses Gangsterfilmen sonst vergeblich.

Alle 4 Punkte sind etwas, was seine Gegenwarts-Mafia-Filme nicht haben. Somit ragt "Gangs of New York" in jeder erdenklichen Weise aus seinem Schaffen heraus. Außerdem gibt es hier durchaus Personen, mit denen man mitfiebern kann, auch wenn DiCaprios Rolle trotzdem kein ausgesprochener Sympathieträger ist, denn auch er stiehlt skrupellos, betrügt und verkehrt mit dem ganzen widerlichen Verbrecherpack auf Du-und-Du. Da kommen wir zu einem weiteren großen Plus. Bei "Gangs of New York" tut es richtig gut, wenn Leute aus diesem menschenverachtenden Gewaltabschaum getötet werden. Wenn am Ende die Soldaten kommen und wieder Recht und Ordnung herstellen, in dem sie den blutgieren Mob zusammenschießen, dann erhöht sich der Plus des Zuschauers vor Freunde. Die wohl widerlichste Figur ist McGloin, der Handlanger des Butchers, ein kleiner, weißblonder Ire, der permanent streitsüchtig und haßerfüllt ist. Ein Typ, mit dem kein normaler Mensch auch nur 5 Minuten friedlich in einem Raum stehen kann. (Anmerkung: Ich hätte seinen Tod noch spektakulärer und blutiger gestaltet, weil sich an ihm so manches Pfund der Aggression des Zuschauers entladen konnte).
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Ich brauche wohl nicht lange darüber zu schwadronieren, daß die schauspielerischen Leistungen in diesem Film allererste Sahne sind, was nicht zuletzt durch unzählige Filmpreise und Oscar-Nominierungen bestätigt wird.
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Hervorzuheben ist auch die brillante Musik, welche absolut ungewöhnliche irisch-folkloristisch-angehauchte Songs und Melodien bringt, welche erstens zu den irischen Einwanderern dort passen und zweitens in einem Musikstil sind, den ich so extrem selten in Filmen gehört habe, daß bereits die Musik ein Erlebnis ist. Nicht etwa, daß man noch keine irischen Melodien in Filmen gehört hätte (die sind sogar relativ häufig), ABER der eigenwillige Unterton der Stücke in diesem "Gangs of New York" ist ein klar anderer als in üblichen schöne-Landschaften-Sounds.
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Die unzähligen Randdetails sind sehr lehrreich in diesem Meisterwerk. Es wird deutlich, wie EXTREM von Verbrechen und Korruption die sogenannte gute alte Zeit durchsetzt war.  Wirklich jeder Abschnitt des Lebens scheint durch große oder kleine Straftaten bestimmt. Die Wahlen wurden grundsätzlich mit übelstem Wahlbetrug organisiert.

Es gab wohl viele konkurrierende Feuerwehren. Die kamen aber nicht hauptsächlich zum Löschen, sondern zum Plündern der Häuser. Wenn das brennende Haus nicht mehr genug beinhaltete, dann wurde kurzer Hand das nicht betroffene Nachbarhaus geplündert und die Besitzer zusammengeschlagen.

Ich kann nicht umhin, mir an diesem fast perfekten Film etwas mehr zu wünschen. Wenn ich ihn geschrieben hätte, dann hätte ich zusätzlich noch einen anderen, hochanständigen jungen Mann eingebaut. Einer, der DiCaprio nicht kennt und auch nichts mit ihm zu tun hat. Aber er ist ebenfalls in diesem verbrecherischen Stadtteil aufgewachsen und ihn haben von frühester Jugend die Verbrechen dort angekotzt. Darum hat er sich sofort zur Armee gemeldet, um im Sezessionskrieg für die Nordstaaten und eine gute Sache zu kämpfen. Er erzählt seinen Kameraden von seiner Wut über die Verbrecher von 5-Points. Und ausgerechnet die Kompanie dieses echten Sympathieträgers wird dann am Ende zur Niederschlagung des Aufstandes in New York eingesetzt. Er sieht seine Chance gekommen, die Verbrecher endlich zur Rechenschaft zu ziehen. Im Kampf trifft er dann auch Leute, die er zwar nicht genauer kennt, aber die er früher bereits bei der Verübung von Verbrechen beobachtet hat. Er tötet sie. Besonderes Schmankerl, wenn er sein Bajonett in den fetten Bauch eines dieser korrupten Feuerwehrkommandeure rammt.

Von mir aus dürfte der Film dann durch diese zusätzliche Person ruhig 1 Stunden länger sein. Er würde dann zu einem perfekten Film und stünde in meinen Top 10.

So wie er ist, ist er "nur" in meinen Top 50, aber trotzdem ein Meisterwerk.
Habe jetzt beim Schreiben so einen Appetit auf den Film bekommen, daß ich immer wieder ansehen muss - auch wenn ich ihn öfter gesehen habe als alle anderen Scorsese-Filme zusammengenommen.

Schulnote 1+
oder
10 / 10

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