Review

Vorsicht vor Meisterwerken, wenn sie schon vor Ansicht als solche benannt werden, denn wahre Meisterwerke sind selten und kostbar und auch von erhabener Hand wie die Martin Scorseses tropft das Erhabene nicht von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Das kann man auch nach einer entsprechenden Ansicht seines Epos „Gangs of New York“ sagen, einem ungemein kraftvollen und mitreißendem Film, dem man seine Produktionswirren vor allem dramaturgisch ansieht.

Zunächst einmal kann man sich aber von der opulenten und rauschhaften Bilderflut dieses Dramas gefangen nehmen lassen. Scorsese läßt vor unseren Augen die 50er und 60er des 19.Jahrhunderts wiederauferstehen, das verkommene New Yorker Viertel Five Points, Zentrum von Kriminalität und Gewalt, wo bereits nach fünf Filmminuten eine hyperbrutale Straßenschlacht zwischen zwei rivalisierenden Gruppen entbrennt, die mit allen möglichen Mitteln ausgetragen wird, die denkbar sind, wenn es ums Verletzten und Zerstören geht, hauptsache klingenbewehrt oder hart.

Keine schöne Sache und der Ton des Films wird sich bis zum Schluß nicht mehr ändern, wenn die Zeichen der Zeit den inzwischen erwachsenen Sohn des einen getöteten Anführers und den Mörder desselben zum finalen Duell wieder zusammenfindet.
Was einen, außer der brutalen Direktheit, immer wieder fasziniert, sind die magischen Bauten, die Cinecitta errichten ließ, ein verschneites, grau-kaltes New York, detailreich und unvergeßlich.

Nur können Figuren, Story und Dramatik mit dieser Vorgabe leider nicht mithalten.
Zunächst einmal ist den Drehbuchautoren nichts eingefallen, außer einem recht banalen, noch dazu sehr gradlinig erzählten Rachedrama: ein Gangboss tötet den anderen – der Sohn kehrt Jahre später rachedurstig zurück – kämpft sich in der Organisation nach oben – verliebt sich in die Adoptivtochter des Bösen – kriegt Gewissensbisse – wird entlarvt – zieht in die letzte Schlacht!
Grundsätzlich ist das nicht schlecht, wenn man sich unterhalten will, doch im Rahmen eines zu erwartenden Monumentalwerks könnte es doch etwas mehr sein, wenn man an die komplizierte und dennoch interessant gestaltete Plotkonstruktion eines ähnlich gelagerten „Es war einmal in Amerika“ denkt.

Dafür geben alle Beteiligten ihr Bestes, was vor allem darin besteht, daß uns Leonardo di Caprio vergessen machen muß, dass er eben Leonardo ist (was ihm inzwischen immer besser gelingt), Daniel Day-Lewis die Aufgabe hat, den eh aufregenderen Schurken mit Leben zu erfüllen und Cameron Diaz aufpassen muß, dass sie in dem martialischen Männergehacke nicht untergeht.

Während di Caprio halbwegs gegen sein Image ankommt, macht einem sein Amsterdam aber kaum wirklich prickelnde Freude, denn der zu stillende Rachedurst ist nicht so ganz verständlich, schließlich ist sein Vater im selbstgewollten Schlachtgetümmel gemeuchelt worden und nicht hinterrücks in einer dunklen Seitenstraße.
Das Drehbuch bemüht sich dann auch um Zweifel und Gewissensbisse, malt den schwarzen Mann ein wenig variabler und erweckt in einer ruhigen Dialogszene etwas Verständnis.

Doch so furchteinflößend hintergründig Day-Lewis Rückkehr auf die Leinwand als Bill the Butcher auch gerät, in die Tiefe geht die Figur nie. Bill Cutting scheint ständig auf der Suche nach einem charakterlichen Fundament, nach einem Ziel zu sein und muß dann als enttäuschender Umkehrschluß, als die Zeichen mal gegen ihn stehen, zum axt- und messerwerfenden Schlächter degenerieren, damit die Blutrache überhaupt unser Verständnis findet.

Ihm ergeht es damit aber noch besser als Diaz, die in ihren verbliebenen Szenen kaum etwas beitragen kann, was sie als essentiell für diesen Film im Gedächtnis behalten würde.
Weder stimmt die Chemie mit di Caprio, noch wirkt sie mit ihrem makelfreien Hollywood-Strahleface passend in dieser sonstigen Hackfressenparade, die Häßlichkeit recht ordentlich als Realismus verkauft. Da hilft auch keine lange Bauchnarbe. Das Verhältnis zu Bill löst sich so einfach und problemlos gegen Ende, als wäre vorher gar keins dagewesen, was auch beinahe so ist.

Worauf aber wollte der Film hinaus? Eine historische Aufarbeitung? Eine zeitgenössische Parallele zum heutigen Amerika? Vielleicht sogar zynische Kritik, wie Amerika so wurde, wie es ist.
Egal was, es ist nicht gelungen.
Scorsese versucht ständig historische Tatsachen in Einschüben einzubauen, dem Film einen Rahmen zu geben, ihn einzuordnen. In Parallelmontage zu dem Aufstand am Ende funktioniert das sogar.
Aber zumeist kommentiert ein bedeutungsschwangerer Off-Kommentar di Caprios diese erklärenden Szenen, dessen Pathos gar nicht zu dem blutigen Realismus der Handlung passen will.
Wer jetzt unbedingt den hasserfüllten und bekämpften Rassismus als immer noch vorhanden in die Gegenwart übertragen will oder herausliest, daß der Staat schon immer dem Bürger Lasten aufgezwungen hat, wie Kriege, der findet sicher den einen oder anderen Fingerzeig.
Im Kontext reicht das aber nicht, zu simplifiziert kommt da die "gebildete" Oberschicht, die Exekutive her, die sich anmaßt, die Proletariat nach Belieben beherrschen zu können. Für solche Absichten hätte es eines anderen Plots bedurft. Hier funktioniert „Gangs“ nur als brutales Abenteuerdrama, das aber gut.

Zur Verteidigung sei überdies noch gesagt, daß man trotz zweieinhalb Stunden Länge das Gefühl hat, einem auf Drängen des Studios angefertigten Superkurzschnitt beizuwohnen.
Die Ereignisse häufen sich gedrängt, so daß eigentlich nur in einer Szene kurz durchgeatmet werden, bis es wieder an allen Ecken losgeht.
Sollte der Directors Cut tatsächlich vier Stunden gewesen sein, dann könnte eine zusätzliche halbe bis Dreiviertelstunde dem Epos im Opus nur gut tun.

Mitreißend bleibt es aber auf jeden Fall, was Scorsese da vollbracht hat, vor allem die brutalen Kämpfe werden nicht jederfraus Sache sein, eine leicht hypnotische Anziehung will ich dem allem aber nicht absprechen. Am Ende bleiben dennoch zu viele Fragezeichen und ein Look, der keine Entsprechung im Inhalt findet.
Vielleicht ist es doch nicht so gut, endlos zu filmen, eine Vision hat man von Anfang an oder nicht. Das hier ist einer von Martins Guten, aber nicht sein Bester. (7,5/10)

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