Sportfilme kranken in der Regel an zwei Aspekten - zum Einen an der Widersprüchlichkeit, die Spontanität eines Sportereignisses am Reissbrett entwerfen und trotzdem Unvorhersehbarkeit vorgaukeln zu müssen, zum Anderen an einer künstlichen Überhöhung des Umfeldes, um eine Fokussierung auf das einzige entscheidende Ereignis zu ermöglichen, obwohl Sportlerleben normalerweise von einer Vielzahl an Wettkämpfen geprägt sind. In der Regel scheitern Sportfilme an der Unvereinbarkeit dieser Vorgaben, aber "Das große Rennen" gelingt die Umsetzung, obwohl es sich fast prototypisch an die Regeln eines Sportfilms hält.
Im Mittelpunkt steht die 11jährige Mary (Niamh McGirr), ein intelligentes Mädchen, das mit ihren Eltern auf einem Bauernhof mitten in Irland lebt. Ihr Hauptinteresse gilt jeder Art von Autorennen, weshalb sie - für ein Mädchen atypischerweise - ihre Zimmerwände mit Postern von Rennwagen und Fahrern behängt hat. Dazu bastelt sie in jeder freien Minute an ihrer Seifenkiste, mit der sie die Berge hinabrollt und sich im Kampf mit ihrem besten Freund Tom misst. Schon in der ersten Szene wird deutlich, dass sie sich in ihrer Schule keinerlei Beliebtheit erfreut, sondern im Gegenteil ständigen Repressalien durch meist ältere Mitschüler ausgesetzt ist. Gemeinsam mit Tom, dem es ähnlich geht, nimmt sie das mit Humor, in dem sie zum Beispiel Wetten darauf abschliessen, wer wie oft bei seinem Gang in die Schulklasse geärgert wird.
Trotz einer gewissen Leichtigkeit ist der Film niemals verharmlosend, verdeutlicht gleichzeitig aber auch die Stärke seiner Protagonisten, die darin verborgen ist, sich nicht unterkriegen lassen. Erstaunlich bleibt dabei die Konsequenz des Films, keine einfachen Lösungen anzubieten, sondern im besten Fall die Möglichkeit einer Veränderung aufzuzeigen. Darin liegt auch der kindgerechte Charakter des Films verborgen, der trotz aller Realität und darin erkennbar werdender Tragik, positiv motivieren will.
Als in der Schule ein großes Seifenkistenrennen angekündigt wird, scheint Marys Stunde zu schlagen und sie fordert wagemutig ausgerechnet den Jungen heraus, der sie am meisten ärgert. Wenn sie ihn schlägt, schwört er vor versammelter Schülerschaft, wird er damit aufhören. In diesem Moment befindet sich "Das große Rennen" trotz seines intimen Umfeldes auf den Spuren der großen Sportfilme - es geht um den entscheidenden Wettkampf, der für den unterlegen wirkenden Aussenseiter die Möglichkeit darstellt, sein Leben verändern zu können.
Zur üblichen Choreografie einer Entwicklung in Richtung des Wettkampfs gehören auch die folgenden Ereignisse. Während den reichen Schülern von Mechanikern beim Bau besonders schneller Seifenkisten geholfen wird, plagen Marys Eltern große Schulden. Dazu hat ihr Vater auch keinerlei Interesse, ihr zu helfen, da er sich um seinen Hof kümmern muss und wenig Verständnis für das Hobby seiner Tochter aufbringt. An dieser Stelle kommt der gute, alte Colm Meaney wieder voll zur Geltung, der seiner gewohnten Rolle des starrköpfigen, aber gutherzigen Iren ein neues Kapitel hinzufügt. Als sich seine Tochter beim Training mit ihrer alten Kiste verletzt, zerstört er das Gerät mit einem großen Hammer, um ihr kurz danach - als sie sich auch davon nicht aufhalten lässt - mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. In Wirklichkeit steckt in ihm nämlich ein ganz erfahrener Seifenkisten-Hase.
Was sich nach dem gewohnten Strickmuster anhört, lebt nicht nur vom gewohnten irischen Charme, sondern wird angereichert mit einer sehr ernsthaften und realitätsnahen Beschreibung der finanziellen Situation der Landwirte und deren Auswirkungen auf die Sozialisation. Auch die Ehe von Marys Eltern gerät in die Krise, da ihre Mutter (Susan Lynch) die Perspektivlosigkeit nicht mehr aushält. Anders als im üblichen Sportfilm, gerät das eigentliche Ereignis zur Nebensache, auch wenn der Ablauf des Wettkampfs zum optischen Höhepunkt wird.
Dabei wird ganz bewusst zwischen kindlicher und erwachsener Perspektive unterschieden. Während für das Kind der Wettkampf noch die Realität zurückdrängt, bleibt dieser für den Erwachsenen nur ein schöner Moment, der nichts an den Realitäten ändert. In seinem Verzicht, den sportlichen Erfolg als Allheilmittel, der sämtliche Probleme löst, hochzustilisieren, ist "Das große Rennen" an Konsequenz dem "erwachsenen" Sportfilm weit überlegen. Trotz eines zu erwartenden Ausgangs vermittelt der Film keine heile Welt (7,5/10).