"Am 21. September 1945 bin ich gestorben."
Wenn ein Film mit diesen Zeilen beginnt, dann wird die Hoffnung auf einen guten Ausgang bereits nahezu im Keim erstickt. Und in der Tat so kommt es auch: "Die Letzten Glühwürmchen" ist trotz niedriger Freigabe kaum ein für Kinderseelen geeigneter Film, es ist kein munterer Disneyspaß mit einem kitschigen Happy End; es ist eines der bewegendsten und tieftraurigsten Werke der Filmgeschichte.
Japan 1945: Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wird die Stadt Kobe von Amerikanern angegriffen und fast vollständig zerstört. Es ist auch die Heimat von Seita und seiner kleinen Schwester Setsuko, die nun zu Schutt und Asche zerfallen ist. Ihr Haus liegt in Trümmern und als wäre dies nicht schon schlimm genug, so stirbt kurz darauf auch ihre schwerverletzte Mutter infolge der vernichtenden Luftangriffe. Völlig auf sich alleine gestellt - ihr Vater kämpft bei der Marine für sein Land - suchen die beiden Geschwister Obdach bei ihrer Tante, die aber in Anbetracht der gegenwärtigen katastrophalen Umstände, die jeden Bewohner zu einem drakonisch auf das Existenzminimum beschränkten Leben zwingen, den beiden nur wenig Mitgefühl entgegen bringt.
Seita, der mit seinen gerade erst vierzehn Jahren schon sehr viel Verantwortung übernehmen kann, sollte sich nach Auffassung der Tante nützlich machen und für das Gemeinwohl engagieren, um die Ansprüche an den von ihrer Tante zur Verfügung gestellten Nahrungsmitteln auch zu legitimieren. Doch wie soll man das bewerkstelligen, wenn man in dieser evident schwierigen Phase seiner kleinen vierjährigen Schwester ein so angenehmes Leben wie nur möglich bereiten und daher auch nicht von ihrer Seite weichen will? Die Undankbarkeit, die die gefühlskalte, gestresste Tante dem angeblich phlegmatischen Seita und der ewig jammernden Setsuko vorwirft, führt schnell zu einem endgültigen Bruch des ohnehin schon sehr kühlen, die Gefühlslage der beiden Geschwister bedrückenden Verhältnisses zwischen den beiden Parteien. So dauert es auch nicht lange, bis die zwei fortgehen und in einer Höhle etwas außerhalb der Stadt Unterschlupf suchen. Gleichzeitig sind sie damit von nun an aber auch völlig auf sich alleine gestellt.
Fortan schildert der auf einem Roman von Akiyuki Nosaka basierende Anime den noch härter gewordenen Überlebenskampf von Setsuko und Seita; so eindringlich und rührend, dass der Betrachter eine äußerst intensive Beziehung zu den beiden Geschwistern aufbauen wird. Wenn Setsuko uns einfach nur ein kleines Lächeln schenkt oder wenn Hoffnung und Freude in kurzen besinnlichen Augenblicken aufblühen, in denen bezaubernd leuchtende Glühwürmchen den Nachthimmel in einem ganz außergewöhnlichen, gar idyllisch anmutenden Antlitz erstrahlen lassen, dann wird uns trotz des Elends und der sich immer weiter verschlechternden Lage wirklich unbeschreiblich warm ums Herz. Allerdings verhält es sich umgekehrt genauso: Offenbart sich Seita oder die kleine Setsuko mit einem mitleidigen, tränenverschmierten Gesicht, so füllen sich allmählich auch unsere Tränensäcke mit Flüssigkeit. Wir fühlen uns so sehr mit den beiden verbunden, dass uns der Schluss, obwohl die Introduktion es bereits mehr als andeutet, vor traumatischer Fassungslosigkeit minutenlang die Sprache verschlagen wird. In einem Automatismus wird uns endgültig feucht um die Augen; Hilflosigkeit und tiefe Trauer umschnüren die Atemwege; der Kloß im Hals sitzt tief - jede andere Reaktion wäre fast schon unmenschlich.
"Die Letzten Glühwürmchen", in der deutschen Fassung übrigens mit einer schönen, damals von Arte in Auftrag gegebenen Synchronfassung aufwartend, ist nicht nur zuletzt durch seine rührende Geschichte, der schillernden musikalischen Begleitung und den qualitativ wunderbaren Zeichnungen ein ergreifender Anime, sondern auch für die gesamte Filmwelt wegen seiner seriösen Auseinandersetzung mit einer zeitlosen Thematik ein sehr anspruchsvolles Werk. Denn hier werden primär die Schicksale der zivilen Opfer eines Krieges beleuchtet. Schuldfragen am Ausbruch der Katastrophe bleiben unkommentiert; was hier einen Stellenwert hat, ist nur das dadurch entstandene Leid.
Als strikter Antikriegsfilm zeigt Isao Takahatas "Die Letzten Glühwürmchen" einmal nicht das sich auf den Schlachtfeldern abspielende, entsetzliche Grauen, sondern ist ein einmalig bewegendes und in seinem Ausgang vor allem unkonventionelles Portrait der anderen Seite eines Krieges - eine erschütternde, einfühlsame und zutiefst traurige Schilderung zweier ziviler, um ihr Leben kämpfender Opfer. Von solch melancholischer und unverblümter Tragik gekennzeichnet, dass es für Kinder seelisch wahrscheinlich viel zu harten Tobak darstellen würde. Denn selbst dem erwachsenen Zuschauer wird das tragisch dargestellte Schicksal von Setsuko und Seita mit Sicherheit an die Nieren gehen. "Die Letzten Glühwürmchen" - das ist eine vor dem Krieg abschreckende, für jeden Filmliebhaber zu empfehlende Anime-Perle. Menschlicher als "Forrest Gump", trauriger als "Der Elefantenmensch" und für das Genre schließlich wertvoller als "Prinzessin Mononoke".