Review

Schon allein an der heute ungebräuchlichen Klassifizierung aufmüpfiger Jugendlicher mit dem Begriff "Halbstarke" ist zu erkennen, daß ein solcher Film stark aus seinem Zeitkontext heraus betrachtet werden muß. Zusätzlich wird das noch betont, wenn wir zu Beginn gleich mit zwei Schrifttafeln konfrontiert werden, die uns klar machen sollen, daß es sich bei den hier gezeigten Jugendlichen um eine Minderheit handelt und das diese "im Zwielicht von Erlebnisdrang und Verbrechen" heranwachsen.

Doch gerade diese sehr einfachen Weisheiten und die sich daraus ergebenden klaren Gegensätze, machen den Film heute so sehenswert, denn in den 50er Jahren konnte der Generationskonflikt noch auf den Punkt gebracht werden. Die Zeitungen in Deutschland waren damals voll von Berichten über die scheinbar entartete Jugend, die sich in einem sehr kleinbürgerlichen Deutschland, dessen Nazi-Vergangenheit gerade 10 Jahre zurück lag, an Rock'n Roll, Jeans ;Lederjacken und Espressobars orientierten. Doch mit dem romantischen Flair, mit dem das aus heutiger Sicht immer gerne betrachtet wird, hatte das nichts zu tun, denn wer sich als Jugendlicher darauf konsequent einließ, wurde sofort als Krimineller betrachtet - noch bis zum Ende der 60er Jahre trug ein "anständig angezogener" Mann ,egal welchen Alters, in der Öffentlichkeit Krawatte, auch wenn er nur ins Kino ging.

Doch nicht nur das verdeutlicht "Die Halbstarken" , sondern auch die wesentlich größeren materiellen Unterschiede zwischen den bürgerlichen Schichten. Während die meisten nur zu Fuß ,Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs waren, hatten die, die es "geschafft" hatten, schon einen dicken Schlitten. "Die Halbstarken" ist nahezu dokumentarisch in seiner Darstellung des "normalen" Berlins der 50er Jahre. Bekannte Gebäude oder Monumente sind nicht zu sehen, ebenso werden nur wenige Kriegsschäden gezeigt, alles findet auf den Straßen und den Wohnungen in Stadtteilen wie dem Wedding statt. Die großen Altbauwohnungen mit den hohen Räumen, den tapezierten Wänden und den schweren Möbeln strahlen Einfachheit und Armut aus - die darin meist schwer arbeitenden Eltern geben ein Zeichen von Demut und Bescheidenheit.

Doch angesichts des immer stärker aufkommenden Reichtums in der "Wirtschaftswunderzeit" ist es nicht erstaunlich, daß sich die Jugend an anderen Vorbildern orientierte und auch keine Lust mehr hatte, sich für jeden Pfennig "die Finger dreckig" zu machen.
Geschickt beginnt Regisseur Dressler seine Geschichte in einem öffentlichen Schwimmbad, daß in seiner Sauberkeit wie ein völlig neutraler Ort wirkt. Alles ist hier neu und schön und Freddy (Horst Buchholz) wirkt in seiner Badehose ,gemeinsam mit seinen Kumpels, einfach wie ein normaler Jugendlicher, genauso wie seine Freundin, die 15jährige Sissy (Karin Baal). Doch der Eindruck kippt schnell um, als Freddy sich aus nichtigem Anlass mit den Bademeistern anlegt und es zu einer großen Prügelei kommt, bei der auch Jan, Freddys jüngerer Bruder mitmacht.

Jan und Freddy hatten sich zufällig getroffen, da Freddy aus dem gemeinsamen Elternhaus abgehauen war. Die beiden Brüder hatten sich längere Zeit nicht gesehen und so ist Jan natürlich überrascht, wie gut es seinem Bruder geht, der nicht nur eine hübsche Freundin und viele Freunde hat, sondern auch einen guten Job und scheinbar ne Menge Geld. Fasziniert begleitet er Freddy und landet später mit dessen kecker Freundin in einer Eisdiele. Als er sich kurz umziehen will, zeigt uns Regisseur Dressler sein Elternhaus, in dem es schrecklich zu geht. Der Vater ist überaus streng und unnachgiebig und wirft auch seiner Frau ständig Mitschuld an der finanziellen Misere vor, da er deren Bruder eine Bürgschaft gegeben hatte, die er nun an die Bank abzahlen muß. Freddy und Jans Mutter ist eine zarte Frau, die sehr darunter leidet, daß Freddy nicht mehr zu Hause ist. Jan will ihr helfen und bittet Freddy deshalb um Geld. Er ahnt noch nicht, daß dieser ein großes Ding vorbereitet...

Die Intention für den Film "Die Halbstarken" lag zwischen Sensationsgier und moralischem Zeigefinger. Einerseits sollte die Jugend "gewarnt" werden, andererseits zog der Film ein großes Publikum an, die sich an den "ungezogenen Jugendlichen" delektierten. Das daraus trotzdem ein guter Film wurde, liegt an Tresslers Inszenierung, der die damaligen gesellschaftlichen Bedingungen authentisch heraus arbeitete und dabei die Erwachsenen in ihrer Empörung keineswegs positiv darstellte, und an den ausgezeichneten Darstellern.

Vor allem Horst Buchholz als Freddy gelingt eine überzeugende Mischung aus angeberischem Großkotz und sensiblem Familienmenschen. Auch die Ähnlichkeit zu seinem Vater wird deutlich, in dem er mit seinen Kumpels ähnlich schreiend und unnachgiebig umgeht. Dank seines Charmes und seiner Faszination schart er eine Menge scheinbarer Freunde um sich, die aber einerseits unter seiner Herrschsucht leiden, andererseits ihn auch ausnutzen. Das gilt besonders für Sissy, die von der damals 16jährigen Berlinerin Karin Baal mehr als überzeugend verkörpert wird. Wenn man dem Film aus heutiger Sicht einen Vorwurf machen kann, dann den, daß sie als die negativste Figur hier gezeichnet ist. Ihre klare Zielsetzung, mit jedem Mittel der materiellen Armut zu entkommen und nicht so wie ihre Mutter schuften zu müssen, war für die damalige Zeit noch zu modern.

Während man Männern bestimmte "jugendliche Verfehlungen" noch gerne nachsah, besonders wenn sie so attraktiv und letztlich sympathisch waren wie Horst Buchholz, der nicht ohne Grund nach diesem Film als "deutscher James Dean" zum großen Star wurde ,so war die Gesellschaft noch weit davon entfernt, Nachsicht mit einer berechnenden Frau zu üben. Karin Baal war nach dieser Rolle lange Zeit auf diesen Typus festgelegt. Und selbst aus heutiger Sicht, werden die meisten Zuschauer, der hier klar vorgegebenen "Sympathiezuteilung" folgen.

Fazit : Äußerst authentischer Film aus dem Berlin Mitte der 50er Jahre über das damals so angesehene "Jugendproblem". Dadurch das Regisseur Tressler die vorgegebene Linie der moralischen Warnung inszenatorisch nicht einhielt, wurde "Die Halbstarken" nicht nur sehr unterhaltend und abwechslungsreich, sondern ein fast dokumentarisches Werk über eine Zeit, die heute gerne fälschlich romantiziert wird.

In einem Punkt, der in den Schautafeln zu Beginn steht, hat der Film absolut recht - Jugendliche, die damals so handelten, waren eine Minderheit und es dauerte noch fast 15 Jahre bis zu den 68ern. Aber die Meisten waren von dem ,was hier dargestellt wurde, fasziniert und diese Faszination hat sich der Film bis heute bewahrt (7,5/10).

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