In John Lee Hancocks Verfilmung einer Autobiografie spielt Sandra Bullock eine weiße Oberschichtsmutter, die sich eines einsamen und am Rande ihrer Gesellschaftsschicht herumdümpelnden Schwarzen annimmt und ihm zu Bildung, einem Footballstipendium und – vor allem – Liebe und Akzeptanz verhilft. Die Rolle brachte ihr die ersten Oscarehren ein und war eines der meistdiskutierten Hollywoodwerke des Jahres 2009.
Und tatsächlich hat „Blind Side – Die große Chance“ sein Herz am korrekten Fleck. Mit sanfter, unauffälliger Inszenierung, ruhigen Kamerafahrten und einem mitunter leicht kitschigen, aber ebenfalls nicht übertriebenen Score führt der Film in sein Thema ein, zeigt verschiedene Menschen und verschiedene Milieus und schlägt vor allem gekonnt eine Brücke zwischen den gesellschaftskritischen Themen und seinem Leitmotiv, dem Footballspiel. Denn auch wenn der Football von zentraler Bedeutung für das Leben der Hauptfiguren ist, handelt es sich hierbei keinesfalls um einen Sportfilm. Dazu bleibt der Schwerpunkt zu deutlich auf den sozialen und emotionalen Begleitumständen dieser erstaunlichen Sportlerkarriere ruhen.
In erster Linie ist „Blind Side – Die große Chance“ ein Darstellendenfilm. Bullock gibt ihre privilegierte, aber ebenso einfühlsame wie burschikose Rolle mit viel Power und Selbstbewusstsein. Im Grunde dominiert sie jede Szene, in der sie auftritt, und spielt ihre Mitdarstellenden problemlos an die Wand. Aber auch der restliche Cast kann durchaus überzeugen, allen voran natürlich Quinton Aaron als in sich gekehrter, vom Leben tief verwundeter, aber herzensguter Schwarzer, der sich in einer beinahe rein weißen Gesellschaft zu behaupten versucht. Sein subtiles Spiel vermittelt annähernd perfekt die Introvertiertheit seines Charakters, lässt unter der schwer zu durchdringenden Schale aber auch stets die Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft durchschimmern, die ihn prägen. Weit entfernt vom in Hollywood beliebten Overacting verleiht er seiner Figur enorm viel Tiefgang und Glaubwürdigkeit und wird dadurch neben der alles bestimmenden Bullock zum stillen Highlight des Films.
Inszenatorisch bleibt das alles wie bereits angedeutet souverän, aber eher unspektakulär. Die ruhige Kamera und ein entspannter Schnitt verleihen dem Ganzen ein gemächliches Tempo, in dem sich die Dialoge und angedeuteten Charaktereigenschaften der Figuren entfalten können. Nur in kurzen Sequenzen – ein Autounfall, ein Kampf mit ehemaligen Freunden – versucht sich beides in etwas mehr Hektik, entgleitet dabei aber auch schnell in eher misslungene Collagen. Die Hochglanzbilder der feinen Gesellschaft geben dem Film eine ebenso angenehm anzusehende wie glattpolierte Visualität, und der Score bleibt bis auf wenige zu offensichtlich um Emotionalität bemühte Momente glücklicherweise zurückhaltend.
Das große Problem des Films ist allerdings sein inhaltlicher Standpunkt: „Blind Side – Die große Chance“ ist ein Film von Weißen für Weiße, um ihre schlechten Gewissen zu beruhigen. Das althergebrachte Narrativ der Weißen, die einem Schwarzen helfen, der sich nicht selbst helfen könnte, wird hier nicht genutzt, um die systemische Ungerechtigkeit aufzuzeigen, die diesem Topos zugrunde liegt. Statt näher darauf einzugehen, warum er der einzige Schwarze an der höheren Schule ist, werden lieber einzelne rassistische und voreingenommene Figuren aufgeführt und mit knackigen Sprüchen zum Schweigen gebracht. Das verschafft auch dem Zuschauenden einen kurzen Moment der Befriedigung, zielt aber an einer tiefergehenden Beschäftigung mit dem eigentlichen Problem vorbei. Auch die Darstellung des drogen- und armutverseuchten Schwarzen-Ghettos und der darin agierenden Personen fällt reichlich klischeehaft aus, und wenn sich Bullock der drogenabhängigen Mutter ihres Schützlings gegenüber herablassend-mitleidig aufführt, ist ein echter Tiefpunkt erreicht. Die antirassistische Attitüde des Films erweist sich so als ein Stück weit heuchlerisch, weil er trotzdem davor zurückscheut, die Wurzeln des Problems – systemischer Rassismus, Klassismus, Dünkel und Egoismus – offen zu benennen. Und der eine oder andere Spruch gegen Demokraten lässt dann wirklich den konservativen Kern des Films hervorstechen.
So entpuppt sich „Blind Side – Die große Chance“ als typischer Hollywood-Kitsch, der die Courage und den Mut Einzelner über die Thematisierung eines gesamtgesellschaftlichen Problems stellt, und der vor allem für Probleme jeder Art relativ einfache Lösungen (Liebe, Empathie, Zusammenhalt) präsentiert. Dank der hervorragenden Darstellenden und den trotzdem zu Herzen gehenden emotionalen Verstrickungen der Figuren kann er dennoch leidlich unterhalten und bietet bei aller Oberflächlichkeit doch genug Feingefühl, um mit den Handelnden mitleiden zu können. Kein Highlight, aber durchaus sehenswert.