Review

„‘ne Chance hat nur noch, wer mit dem Hirn arbeitet!“

Ende der 1970er neigte sich die Hochphase des ernsten italienischen Polizeifilms, des Poliziescos, seinem Ende. Die letzte Zusammenarbeit des erfolgreichen Genre-Regisseurs Umberto Lenzi („Der Berserker“) mit Tomas Milian („Der Gehetzte der Sierra Madre“) bewegt sich ein gutes Stück weit weg von den selbstjustizialen Beiträgen, vornehmlich mit Maurizio Merli in der Hauptrolle, und präsentiert ein differenziertes Bild der Verbrecher.

Der bucklige Vincenzo (Tomas Milian) ist ein berüchtigter und gewiefter Verbrecher, bekannt und berüchtigt bei Justiz und der Unterwelt Roms. Nach vorübergehender Abwesenheit kehrt er in die Hauptstadt zurück und plant zusammen mit „Albaner“ Milo (Salvatore Borghese, „Ein Käfer auf Extratour“), Di Gennaro (Guido Leontini, „Girolimoni - Das Ungeheuer von Rom“) und Perrone (Luciano Catenacci, „Die Viper“) einen Überfall auf einen Geldtransporter. Doch die drei hintergehen Vincenzo und versuchen, sich während des Überfalls seiner zu entledigen. Vincenzo kann durch die Kanalisation entkommen und in Ruhe seine Rachepläne schmieden. Unterstützung sichern ihm sein ungleicher Zwillingsbruder Sergio „Monezza“ Marazzi (Tomas Milian) und Vincenzos Freundin, die Prostituierte Maria (Isa Danieli, „Hingerissen von einem ungewöhnlichen Schicksal im azurblauen Meer im August“) zu…

Milian sagt man nach, dass er an seinen Rollen unter Lenzi gern arbeitete und viel Eigenes hineinbrachte, sie mit speziellen Charakteristika versah und an ihren Dialogen mitschrieb. So stammt das Drehbuch zu „Die Kröte“ dann auch aus der Feder Milians und Lenzis, die Milians jüngere Rollen, Monezza aus „Das Schlitzohr und der Bulle“ und den Buckligen aus „Die Viper“, aufgriffen, verfeinerten, zu Brüdern erklärten und sie Milian als Doppelrolle spielen ließen. Nach „Der Berserker“ erzählt Lenzi die Geschichte erstmals wieder aus Sicht der Gangster, vornehmlich Vincenzos, die Polizeiarbeit nimmt eine untergeordnete Rolle ein. Stattdessen entwickelt der Zuschauer eine gewisse Sympathie für das Geschwisterpaar, Beide klopfen gern freche Sprüche und bedienen sich bisweilen vulgärer Sprache, doch während Monezza nach außen hin den etwas Unterbelichteten gibt, ist der stets kaugummikauende Vincenzo ein vorausschauend handelnder, intelligenter Gangster, der im Gegensatz zu seinem Bruder in erster Linie größere Dinger dreht. Faustdick hinter den Ohren haben es letztlich beide, wie nicht nur das Spiel mit der Polizei beweist – Marazzi-Brüder und Exekutive hauen sich gegenseitig übers Ohr. Die Charakterzeichnung der von Milian fulminant und grundverschieden gespielten Brüder ist das Faszinierende an „Die Kröte“: Während die Rolle Monezzas in „Das Schlitzohr und der Bulle“ mehr ausgeschöpft wurde als hier, kommt Vincenzo hier noch mehr zum Tragen als in „Die Viper“. Ein von der Natur benachteiligter Gangster, dessen kriminelle Laufbahn sein Gegenentwurf zum bürgerlichen Leben ist, in dem er keine Chance hätte, und seine Möglichkeit, sich Respekt zu erschaffen. Mit List und Tücke plant er seine Vendetta und entledigt sich in den richtigen Momenten unangebrachter Gefühle. Damit hat er etwas Comichaft- Überzeichnetes an sich, ohne ins Komödiantische abzudriften (was sein Bruder bisweilen tut, zu dessen Charakter das etwas Clowneske jedoch passt). Den Marazzis gegenüber steht Kommissar Sarti (Pino Colizzi, „Der Todeskuß des Paten“), der kein Vergleich mehr zum Schnauzbartprollbullen Merli aus vorangegangen Filmen ist und gegen Milian blass bleibt, vor allem aber in der Geschichte auch gar keine derart große Rolle spielen soll.

Verbrechensbekämpfung durch Selbstjustiz ist auch überhaupt nicht mehr Thema dieses Films. Dieser tendiert vielmehr in Richtung eines Außenseiter-Dramas und buhlt um Verständnis für die Ausgestoßenen der Gesellschaft. Höhepunkt ist die Disco-Szene, ein feiner Club für die oberen Zehntausend, in den der Bucklige es wagt, seine Freundin zum Tanzen auszuführen. Erwartungsgemäß dauert es nicht lange und er bekommt den geballten Hohn und Spott der anwesenden Gäste zu spüren. Doch Vincenzo wäre nicht „der Bucklige“, würde er sich nicht auf seine ganz spezielle Weise rächen. Diese recht lange Szene avanciert zu einer grandiosen Ein-Mann-Milian-Show, in der seine Diskriminierung aufgrund des Buckels sowie soziale Ungerechtigkeiten in einer mitreißenden, flammenden Rede thematisiert werden – natürlich à la italiano, à la Merli und Lenzi, also komplett ohne in rührseliges Betroffenheitskino abzugleiten, stattdessen voller Wut, schwarzem Humor und etwas Zynismus. Beeindruckend. Einmal mehr ist es die reinste Freude, Milian bei seiner Passion zuzusehen und zu beobachten, wie er die kontrastreiche Doppelbelastung wunderbar meistert. Neben einigen üblich verdächtigen Italo-Gangstervisagen in den Nebenrollen brilliert vor allem Isa Danieli an Milians Seite, der er nicht die Schau stiehlt.

Seinen episodenhaften Erzählstil und die bisweilen dominante Hektik und Gehetztheit seiner Polizeifilme überwand Lenzi mit „Die Kröte“. Er tauschte etwas Tempo gegen Anspruch, dennoch sollte man keine tiefgreifenden Charakteranalysen erwarten. „Die Kröte“ bleibt häufig oberflächlich und klischeehaft genug, um nicht im Genre verwechselt werden zu können und schöpft bestimmt nicht sein gesamtes Potential aus. Der geneigte Zuschauer muss natürlich trotzdem nicht auf eine rasante Verfolgungsjagd in niedlichen Kleinwagen verzichten, ebenso wenig auf eine großangelegte Schießerei im Finale, bei der den Teilnehmern sogar Granaten um die Ohren fliegen. Dieses leitet indes ein tragisches Ende ein, das dem Zuschauer verdeutlicht, wie sehr dieser mittlerweile mit den Brüdern mitfieberte. Es ist bedauerlich, dass diese beiden Charaktere nicht in Serie gingen, beispielsweise für eine in diesem Stil weitergeführte, leicht subversive Gangsterfilmreihe, Action-Thriller um zwei von ihren Gegnern fälschlicherweise oft unterschätzte Asse der Unterwelt. Der Milian’sche Höhepunkt in Lenzis Filmographie bleibt für mich zwar „Der Berserker“ aufgrund seiner irrsinnigen und beängstigenden Konsequenz, doch „Die Kröte“ sehe ich gleichauf mit „Das Schlitzohr und der Bulle“, evtl. gar etwas darüber. Ein starkes Umfeld, denn Lenzi und Milian waren ein tolles Team. 7,5 von 10 Punkten für diese schwer unterhaltsame und auf ihre Weise nachschwingende Geschichte von Freund- und Verwandtschaft, Außenseitern, Gesetzlosen und ihrem Kampf um Anerkennung und Glück – der bisweilen mit dem Leben bezahlt wird.

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