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Als "La banda del gobbo" (Die Kröte) im August 1978 in die italienischen Kinos kam, war nicht nur die kurze Hochphase des Poliziesco, Mitte der 70er Jahre, überschritten, auch in Italien hatte nach der Entführung und dem Mord an dem ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro durch die "Roten Brigaden" im Frühjahr 1978 eine neue Zeitrechnung begonnen. Dank neuer Gesetze, die vordergründig der Terrorismus-Bekämpfung galten, kombiniert mit einem verstärkten Polizeieinsatz, konnte bis 1980 auch die Verbrechensrate signifikant gesenkt werden. Parallel zu dieser Entwicklung, die das konservative Lager erheblich stärkte und den Niedergang der kommunistischen Partei Italiens einläutete, die 1976 ihr bestes Wahlergebnis errungen hatte, scheiterte auch der "Compromesso storico" (Der historische Kompromiss) zwischen den Kommunisten und der christlichen Partei Italiens, der von Enrico Berlinguer und Aldo Moro gegen großen Widerstand ihrer jeweiligen Partei zur Wahrung der Demokratie ihres Landes angestrebt worden war.

Auf diesen Kompromiss hatte Tomas Milian schon in "Roma a mano armata" (Die Viper, 1976) ironisch angespielt, bevor er als "armer" Krimineller mit einer Maschinengewehrsalve einen "reichen" Hehler niedermähte, weshalb auch seine anfängliche fatalistische Bemerkung, dass die "Armen" mit Sicherheit ohne Arsch geboren werden, wenn Scheiße zu Gold werden würde, als aktueller Kommentar verstanden werden durfte. Das Milian in seiner letzten Zusammenarbeit mit Regisseur Umberto Lenzi nicht nur auf zwei Figuren zurückgriff, die er mit ihm während der Hochphase des von Beiden maßgeblich beeinflussten Genres entwickelt hatte, sondern selbst deren Dialoge schrieb, verdeutlicht den singulären Status eines Films, der nicht nur in seinem veränderten Charakter einen Endpunkt darstellte. Für Milian war es der letzte Einsatz in einem ernsthaften Poliziesco - seine "Superbullen"-Reihe war längst ins komödiantische Fach gewechselt - und Lenzi drehte zwar mit "Da Corleone a Brooklyn" (Von Corleone nach Brooklyn, 1979) noch einen letzten Genre-Vertreter mit Maurizio Merli in der Hauptrolle, aber mit seinen auf die Situation in Italien unmittelbar reagierenden Polizeifilmen hatte dieser nur noch wenig gemeinsam.

Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass Lenzis Polizieschi nicht nur plakative Action-Filme waren, sondern ein genaues Gespür für die Gegenwart bewiesen – „Roma a mano armata“ war die Versinnbildlichung der damaligen Massen-Hysterie in Italien – dann hätte „La banda del gobbo“ diesen angetreten. Anstatt noch einmal auf die Erfolgsmechanismen der gemeinsamen Filme zurückzugreifen, legten Lenzi und Milian „La banda del gobbo“ gänzlich anders an, verzichteten auf das übergeordnete Bild einer von Verbrechen erschütterten Gesellschaft und die Darstellung expliziter Gewalttaten – nicht mehr die Ausführung, nur noch die Konsequenzen aus den wenigen Morden werden gezeigt - und konzentrierten sich auf eine intime Story innerhalb des Gangster-Milieus. Entsprechend langsam ist der Rhythmus des Films, der nicht mehr von einem Schauplatz zum nächsten jagt, sondern eine einfache Geschichte erzählt, in deren Fokus die handelnden Personen stehen. Die wichtigste Konsequenz lag aber in der Veränderung der beiden von Milian zuvor schon verkörperten Charaktere Sergio „Monnezza“ Marazzi und Vincenzo „Il gobbo“ Moretti, die hier zu Zwillingsbrüdern werden.

Entscheidend war dabei nicht die Umbenennung Morettis in Marazzi, sondern das aus dem buckligen („Il gobbo“) Verbrecher, der in „Roma a mano armata“ noch für extremen Schrecken sorgte, in „La banda del gobbo“ eine differenzierte, weniger gewalttätige Persönlichkeit wurde, die trotz ihrer Unberechenbarkeit von Milian in ihrer durch die Verunstaltung erzeugten Empfindlichkeit und der daraus entstehenden Reaktion auf ihre Umgebung nachvollziehbar gestaltet wurde. Auch die Figur des „Monnezza“, der in „Il trucido e lo sbirro“ (Das Schlitzohr und der Bulle, 1976) erstmals auftrat und Vorbild für Milians Polizisten Nico Giraldi in der „Superbullen“- Reihe wurde („Squadra antiscippo“ (Der Superbulle und die Strickmütze, 1976)), wurde leicht differenziert, auch wenn seine vulgäre, laute Ausdrucksweise und seine äußerlich vorgetragene Naivität typisch für ihn blieben. Er – von der Gewichtung her die Nebenfigur und für die komischen Momente zuständig – ist in „La banda del gobbo“ weniger selbstständig, zwar gerissener als es der Anschein verspricht, aber seinem 10 Minuten älteren Bruder, trotz dessen oft wenig freundlichen Umgangsformen, bedingungslos ergeben.

Schon ihre erste Begegnung lässt diese Konstellation deutlich werden. Vincenzo, der nach wie vor von der Polizei gesucht wird, kommt nach längerer Abwesenheit mit der Fähre von Korsika nach Rom zurück. Sein Bruder Sergio, der in einer kleinen Werkstatt als KFZ-Mechaniker sein Dasein fristet, reagiert hoch erfreut auf ihr Wiedersehen, begleitet ihn auch sofort zu Roms Straßenstrich, wird dort aber von Vincenzo zurückgelassen, nachdem dieser sich mit der Prostituierten Maria (Isa Daniela) auf ein Schäferstündchen in deren Wohnung geeinigt hatte. Als Vincenzo am nächsten Morgen Marias Wohnung verlässt, wartet Sergio schon mit viel Geld auf ihn, um trotzdem wieder mit rüden Worten weggeschickt zu werden. Milians Bearbeitung und Verkörperung dieser beiden Charaktere ist eine erstaunliche Leistung, da es ihm gelingt, die Verbindung zu den Ursprüngen seiner Figuren zu wahren, gleichzeitig mit seiner Neuinterpretation den veränderten Zeitgeist wiederzugeben.

Zwar plant Vincenzo „Il gobbo“ den Überfall eines Geldtransporters, den er mit seinen alten Kumpanen um den Autohändler Perrone (Luciano Catenacci) begehen will, aber danach entwickelt sich der Film in eine unerwartete Richtung. Da sie glauben, dass die auffällige Figur des Buckligen die Polizei auch auf ihre Spur bringen könnte, planen die drei Mittäter, ihn während des Überfalls zu liquidieren. Doch ihr Plan misslingt, denn Vincenzo wird auf Grund der von ihnen verwendeten Rauchbomben nicht getroffen und kann durch die Kanalisation auch der Polizei entkommen. Wer glaubt, dass „Il gobbo“ danach von blindwütigen Rachegedanken beherrscht wird, irrt, denn im Gegenteil geht Vincenzo behutsam vor und wird von seinen Vertrauten, zu denen neben seinem Bruder inzwischen auch Maria gehört, bei seiner weiteren Vorgehensweise unterstützt. Seine rüde Art erweist sich zunehmend als Reflex auf die vielen Verletzungen, die er wegen seines verunstalteten Aussehens erleiden musste, weshalb es Milian gelingt, Sympathien für diese tragische Figur zu vermitteln, ohne deren Authentizität als intelligenten, skrupellosen Verbrecher in Frage zu stellen.

Zum Höhepunkt wird in „La banda del gobbo“ entsprechend kein Schusswechsel oder eine Verfolgungsjagd, sondern der Besuch einer Edel-Disco, den Vincenzo Maria versprochen hatte. Schon dass er sich darauf einließ, beweist seine Verlässlichkeit gegenüber seinen Freunden, aber das verhindert nicht, dass es zu dem erwarteten Eklat kommt, als sich die noble Gesellschaft über den Buckligen lustig macht. Tomas Milian nutzt diese Gelegenheit zu einem großen Auftritt, der ihm die Gelegenheit gibt, mit der Entwicklung der feinen italienischen Gesellschaft abzurechnen. Doch anders als noch in „Milano odia: la polizia non può sparare“, als der von ihm verkörperte Protagonist in einer ähnlichen Situation alle erschoss, hat er es nicht mehr nötig, so profan gewalttätig zu werden, sondern setzt die Anwesenden nur noch der Lächerlichkeit aus. Das ruft zwar die Polizei verstärkt auf den Plan, da Roms Bürgermeister diese Schmach getilgt wissen will, aber auch deren Vorgehensweise hatte sich verändert. Commissario Sarti (Pino Colizzi), ein zwar tatkräftiger, aber unauffälliger Vertreter seiner Zunft, betont, dass auch „Il gobbo“ dieselben Rechte zuständen wie jedem anderen Verbrecher. Offensichtlich benötigt die Polizei keine Selbstjustiz mehr, sondern hat andere Möglichkeiten. Sergio, als er versucht sich einem Verhör über seinen Bruder zu entziehen, landet prompt in der geschlossenen Psychiatrie. Für Milian als „Monnezza“ natürlich ein gefundenes Fressen.

„La banda del gobbo“ funktioniert auch ohne die Vorkenntnis der früheren Filme – in Deutschland erschien er unter dem so degradierenden, wie unpassenden Titel „Die Kröte“ 1984 als Videopremiere noch vor „Die Viper“ – aber erst durch die Entwicklung, die Lenzis Polizieschi, beginnend bei „Milano rovente“ (Gangsterkrieg in Mailand, 1973), über den ersten gemeinsamen Film mit Tomas Milian „Milano odia: la polizia non può sparare“ (Der Berserker, 1974) bis „Il cinico, l’infame, il violento“ (Die Gewalt bin ich, 1977), parallel zu den realen Ereignissen in Italien nahmen, wird die Intention in „La banda del gobbo“ deutlich. Deshalb ist auch die heute weit verbreitete, stets gleiche Erwartungshaltung an einen Poliziesco, eine Verkennung der so kurzen, wie ereignisreichen Phase eines Genres, dass heute nicht mehr imitiert werden kann, da die Darstellung und Wertung von Kriminalität und Justiz in unmittelbarem Zusammenhang zur damaligen Gegenwart standen. In „La banda del gobbo“ waren die Wut und Plakativität der früheren Filme, einem Fatalismus gewichen, der seinen Protagonisten wenigstens noch ein würdiges Ende gönnte - und damit dem Genre selbst. (9/10)

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