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Mitte der 60er Jahre, spätestens nach dem Erfolg von "Django" (Kinopremiere 06.04.1966) war die Nachfrage nach Western so stark gestiegen, dass die Produktionsgesellschaften kaum noch hinterher kamen. In der Hochphase des Genres 1967 und 1968 liefen mehr als 120 Western in den italienischen Kinos an, was sowohl eine effektive Herstellung, als auch eine große Anzahl an Filmschaffenden erforderte. Viele Schauspieler tauchten quasi über Nacht auf der großen Leinwand auf - für Wenige der Beginn eines langen Erfolgswegs, während der größte Teil nach dem Abflauen des Western-Hype wieder aus den Kinosälen verschwand. Doch nicht nur neue Stars wurden geboren, auch altgediente Regisseure und Drehbuchautoren, deren Karrieren in den Jahren zuvor ins Stocken gerieten, erhielten eine neue Chance. Eine Konsequenz, die sich an der Entstehung von "Killer Kid" (Chamaco) beispielhaft ablesen lässt.

Regisseur Leopoldo Savona, Jahrgang 1922, hatte Mitte der 50er Jahre an der Seite Giuseppe de Santis' als Assistent und Autor begonnen ("Giorni d'Amore" (Tage der Liebe, 1954)), bevor er bei "Il principe dalla maschera rossa" (Robin Hood, der schwarze Kavalier, 1955) erstmals alleine die Regie übernahm. Neben einem zeitgenössischen Beitrag zur damals populären Diskussion über die angeblich verrohende Jugend ("Le notti dei Teddy Boys" (Die Nächte sind voller Gefahren, 1959)), blieb er besonders dem "Mantel- und Degen"-Film gewogen, hatte aber zuletzt 1963 mit "I diavoli di Spartivento" (Die Teufelskerle von Dorano) einen Erfolg vorzuweisen. Sein Anfang 1964 herausgekommener, der heute nahezu unbekannte "L'ultima carica“, blieb für zwei Jahre sein letzter Film. Erst mit dem Italo-Western "El rojo" (El Rocho - Der Töter) nahm seine Karriere 1966 wieder Fahrt auf.

Sergio Garrones Anfänge lassen sich zwar noch früher finden, aber nach einer kurzen Phase als Produktions- und Regie-Assistent Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre war er mehr als ein Jahrzehnt dem Filmgeschäft fern geblieben - auch aus finanziellen Gründen. Eine Situation, die sich offensichtlich dank des Erfolgs des Italo-Western geändert hatte, denn Garrone stieg Mitte der 60er Jahre nicht nur als Drehbuchautor, sondern auch als Produzent ein. Nach "Degueyo" (Für Dollars ins Jenseits, 1966) und "L'ultimo killer" (Rocco - Ich leg' dich um, 1967) – beide Filme verhalfen Regisseur Giuseppe Vari zu insgesamt neun Western - kam es bei "Killer Kid" (Chamaco) zum Zusammentreffen von Sergio Garrone und Leopoldo Savona. Für Garrone das Ende seiner Produzententätigkeit - nur 1972 beteiligte er sich noch einmal an der deutsch-italienischen Produktion "Io monaca... per tre carogne e sette peccatrici" (Die Rache der geschändeten Frauen) - und der letzte Schritt auf seinem Weg zur eigenen Regie. Beginnend mit "Se vuoi vivere... spara!" (Andere beten - Django schießt, 1968) sollte er in den kommenden drei Jahren noch sechs Italo-Western drehen.

Die wesentlichen Insignien des Genres waren zu diesem Zeitpunkt schon gesetzt, weshalb Garrone und Savona eine eigenständige Interpretation versuchten und das klassische Pistolero-Thema mit der mexikanischen Revolution kombinierten. Obwohl kurz nach Damiano Damianis „Quien sabe?“ (Töte, Amigo, 1966) und vor Sergio Corbuccis „Il mercenario“ (Mercenario – der Gefürchtete, 1968) entstanden, blieb „Killer Kid“ die Anerkennung hinsichtlich seiner gesellschaftskritischen Relevanz verwehrt. Tatsächlich fokussierte sich die historisch im Ungefähren bleibende Handlung nur auf die Belange einer kleinen mexikanischen Gemeinschaft unter der Leitung des weisen El Santo (Howard Nelson Rubien), der mit Hilfe seines Truppenführers Vilar (Fernando Sancho) an Waffen aus US-Armeebeständen herankommen will, um gegen die mexikanische Armee anzukämpfen. Stellvertretend für deren brutales Durchgreifen steht der sadistische Offizier Ramirez (Giovanni Cianfriglia), der keine Hemmungen hat, auch Frauen und Kinder standrechtlich erschießen zu lassen, um an Informationen über die Rebellen heranzukommen.

Mit einer Hinrichtung hatte auch „Quien sabe?“ begonnen, aber „Killer Kid“ fehlte die generelle Kritik an der Vorgehensweise der USA im damaligen Vietnamkrieg, auf die in Damianis Film nur wenig verklausuliert angespielt wurde. Außer als kleine Gruppe von Waffenschmugglern, die sich am Konflikt in Mexiko persönlich bereichern wollen, spielen die USA politisch hier nur eine untergeordnete Rolle. Das galt in dieser Hinsicht auch für „Killer Kid“, der seinen deutschen Verleih-Namen „Chamaco“ wahrscheinlich der klanglichen Nähe zu „Cjamango"(1967) verdankte. Dieser kam zwar als „Django – Kreuze im blutigen Sand“ in die deutschen Kinos, kann aber als Vorbild für „Shamango“ gelten, zu dem wiederum "Gentleman Jo...uccidi" (1967) umbenannt wurde. Darin hatte Anthony Steffen ebenfalls den Helden verkörpert, weshalb die Nähe zum eingeführten Namen schlüssig scheint.

Doch anders als dem von Lou Castel gespielten US-Revolverheld in „Quien sabe?“ fehlt der Figur des „Killer Kid“ die eigennützig-rücksichtslose Charaktereigenschaft, wie sie auch Franco Nero in „Il mercenario“ trefflich verkörperte. Obwohl „Killer Kid“ als berüchtigter Mörder gilt, der kurz vor der Vollstreckung seines Todesurteils aus dem Militärgefängnis geflohen ist und auf den ein hohes Lösegeld ausgesetzt wurde, blieb Steffen in seiner Rolle von fast bescheidener Präsenz, ganz im Gegensatz zum gewohnt vehement auftretenden Fernando Sancho, der neben der Revolution noch eigene Interessen verfolgt. Killer Kid hatte ihn dabei beobachtet, wie er an seinen mexikanischen Kameraden vorbei eigene Geschäfte mit den Waffenschmugglern machen wollte, weshalb ihm der „Gringo“ ein Dorn im Auge ist und er alles dafür tut, ihn bei El Santo und dessen Nichte Mercedes (Luisa Baratto) zu diskreditieren. Dass er damit nicht falsch liegt, ahnt der Betrachter schon – auch El Santo äußert einmal Erstaunen über Kids selbstlosen Einsatz für seine Leute – aber seine Beweggründe sind nicht persönlicher Natur. Als verdeckt arbeitender Offizier der US-Armee versucht er den Waffenschmuggel zu unterbinden, kommt damit aber den mexikanischen Revolutionären in die Quere.

Gemessen an der charismatischen Figuren eines „Django“ und dessen zahlreichen Epigonen wirkt „Killer Kid“ trotz seiner Schießkünste weich, fehlt ihm die stilisierte Zuspitzung des einsamen Helden. Selbst Fernando Sancho wird als Vilar regelmäßig von Selbstzweifeln gepackt, lässt in einem Moment seine Leute mit Satteltaschen voll Gold im Stich, um kurz darauf an deren Seite gegen die mexikanische Armee anzutreten. Einzig Giovanni Cianfriglia bleibt einseitig bösartig in seiner Rolle als mexikanischer Offizier. Diese Ambivalenz wurde häufig als inkonsequent und wenig schlüssig kritisiert, obwohl sich darin die Einzigartigkeit des Films manifestiert. Savona und Garrone nahmen sich zwischen den Action-Szenen ausreichend Zeit, die gewohnten Charakter-Klischees zu durchbrechen, wodurch „Killer Kid“ einen unvorhersehbaren, hochspannenden Verlauf nimmt.

In der zentralen Szene des Films wird ihre inszenatorische Absicht deutlich. In einer nächtlichen Liebesszene mit Mercedes bittet Kid die junge Frau, ihren Onkel zu überreden, ihn nicht wegzuschicken. Dieser war Vilars Vorwürfen, dass es sich bei Kid um einen Spion handeln soll, zwar nicht gefolgt, wollte aber kein Risiko eingehen, nachdem aus für ihn noch ungeklärten Gründen der Munitions-Wagon abgestürzt und explodiert war. Die verliebte Mercedes setzt sich selbstverständlich für Kid ein, ohne zu ahnen, damit dessen heimliche Pläne zu unterstützen. In einer kurzen Szene hatte der Film zuvor Kids wahre Absichten offenbart, weshalb der Dialog zwischen Mercedes und Kid gleichzeitig Vertrauen und Verrat, Liebe und Egoismus widerspiegelt – ohne sich in eine Richtung festzulegen. Gleiches gilt für die Rolle des Vilar, dessen wechselnden Reaktionen jederzeit nachvollziehbar bleiben. Sancho gab hier nicht den brachialen mexikanischen Gangsterboss, der sich einfach nimmt, was er will, sondern verlieh dieser häufig von ihm verkörperten Figur eine tragische Komponente. Zwar zeigt er wenig Einfühlungsvermögen beim Versuch, Dolores (Virginia Darval) als Frau zu gewinnen, aber als diese ihn abweist, nimmt er sie sich nicht mit Gewalt, sondern legt sich allein ins Bett. Vilar will Anerkennung und spürt seine Einsamkeit, auch nachdem er allein mit dem Gold in die Berge geflüchtet war.

Selbst der Vorwurf, „Killer Kid“ hätte die Revolutions-Thematik nur als spannungsfördernden Hintergrund genutzt, lässt sich nicht aufrecht halten. Zwar verzichteten die Macher auf konkrete politische Aussagen, folgte ihre Sympathie für die Revolutionäre den Regeln des Gut-/Böse-Schemas, aber sie ließen keinen Zweifel an der perversen inneren Logik einer sich stetig steigernden Gewaltspirale. In Form einer bitteren Parabel, begleitet von Berto Pisanos melancholischer Musik, endet „Killer Kid“ wie er begonnen hatte und bestätigte damit den Eindruck eines großartigen Films, der sich nicht der üblichen Eindeutigkeit des Italo-Western hingab. (9/10)

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