„Unordnung im Apokalypse-Baukasten"
Der klassische Chemiebaukasten kann bei Pennäler Roland bestenfalls zum Warmwerden getaugt haben. Er dürfte recht zügig auf das weitaus aufregendere Desaster-Movie-Case umgestiegen sein. Und damit spielt er heute noch mit einer derart kindlichen Begeisterung, dass es eine wahre Freude ist. Vor allem für die produzierenden Hollywoodstudios.
Denn seit seinem Aufbruch ins gelobte Filmland hat der schwäbische Spielbergfan nicht weniger als drei globale Katastrophenfilm-Megahits (Independence Day, Godzilla, The Day after Tomorrow) über das bereitwillig zahlende Mainstream-Publikum hereinbrechen lassen. Zwar ging es bei seinem letzten Kinoböller - der knallbunten Steinzeitidiotie 10.000 BC - ebenfalls um Katastrophen, aber die fanden leider allesamt an den Kinokassen statt. Es ist daher wenig verwunderlich, dass sich Blockbuster-Schuster Roland seiner wahren Krawumm-Leisten besann und beim Apokalypse-Spektakel 2012 anheuerte.
Die Story dürfte ganz nach dem Geschmack des unumstrittenen Master of Desaster gewesen sein. Aufgrund ungewöhnlich starker Sonneneruptionen erhitzt sich der Erdkern wie ein gigantischer Mikrowellengrill. Massive Verschiebungen der Erdkruste sind die fatale Folge. Dieses abstruse Szenario bietet natürlich paradiesische Möglichkeiten für eine volle Breitseite aus dem heißgeliebten Katastrophenfilm-Baukasten. Und hier lässt sich Roland nun auch wirklich nicht lumpen.
2012 mutet wie ein laut dröhnendes Desastermovie-Best of an. Von Erdbeben, über Vulkanausbrüche, Tsunamis und riesige Flutwellen lässt Emmerich so ziemlich alles über die geschundene Erde hereinbrechen, was das Genre hergibt. Frei nach dem Motto „warum kleckern, wenn man auch so richtig klotzen kann" wird der Zuschauer mit in diesem Ausmaß nie zuvor gesehenen Zerstörungsorgien bombardiert. Da versinken ganze Stadteile von LA in kilometertiefen Kratern bzw. in den Fluten des Pazifik. Washington wird von einer riesigen Aschewolke eingehüllt, bevor auch hier die Flut kommt. Das alles ist trick- und tontechnisch perfekt gemacht und stellt alles (auch von Roland) bisher Gebotene in den ohnehin nicht gerade kleinen Schatten.
Leider hat 2012 auch eine Handlung, schließlich sind wir ja in einem Spielfilm. Das gute alte Baukastenprinzip funktioniert hier weit weniger gut wie bei den bloßen Schauwerten. Wieder einmal gibt es einen unermüdlich rackernden Wissenschaftler, der das „Problem" in buchstäblich letzter Sekunde erkennt und sich nur mühsam Gehör verschaffen kann. Natürlich handelt es sich hier um einen „Gutmenschen", der die Spezies vor dem Schlimmsten bewahren will. Auf keinen Fall fehlen darf der über sich hinauswachsende Normalo, meist mit Scheidung und Patchworkfamilie ausgestattet. Diesmal gibt John Cusack den gebeutelten Helden wider Willen. Als erfolgloser SF-Autor Jackson Curtis darf er den Zuschauer durch die zahllosen Katastrophenachterbahnen chauffieren und natürlich ganz nebenbei auch wieder in den Schoß seiner Familie zurückfinden. Bleibt noch der Rest vom ausgeleierten Desaster-Staff-Karusell.
Ein aufrechter und opferbereiter US-Präsident (diesmal vom sich zumindest für diesen Scheiß offenbar nicht zu alt fühlenden Danny Glover gespielt). Ein Vater, der jahrelang seinen Sohn ignoriert hat und im Angesicht der Apokalypse dann doch wieder weich wird. Ein paar mehr oder weniger sympathische Randfiguren, die sich prächtig als Opfer diverser Katastrophen eignen. Und nicht zuletzt ein schmieriger, kaltblütiger Bürokrat, der alles dem Primat der Politik, der Wissenschaft oder des schnöden Mammon unterordnet.
Als ob diese hundertfach aufgewärmte Konstellation nicht schon schlimm genug wäre, quält 2012 sein Publikum auch noch mit dermaßen schablonenhaften und reißbrettartigen Charakterzeichnungen, dass man am liebsten in Tornado-Eile zum Dokumentarfilm-Fan mutieren möchte. Die vor Pathos und Einfalt triefenden Dialoge lassen auch die Vorzüge der Stummfilmzeit wieder in einem ganz anderen Glanz erstrahlen. Identifikationsangebote und Empathie sind in Rolands Baukasten wohl nach unten gerutscht. Vielleicht aber auch am Ende von Independence Day zusammen mit den Alienraumschiffen explodiert. Seither wurde beides jedenfalls im Rolandschen Blockbusterkosmos nicht mehr gesichtet.
Überhaupt hätte ein noch unverfroreneres Abkupfern beim eigenen Superhit-Durchbruch dem Film mehr als gut getan. Die größte Stärke von Independence Day war neben den spektakulären Schauwerten das permanent spürbare Augenzwinkern, mit dem die eigentlich hanebüchene Krawallnummer rübergebracht wurde. Vor allem Will Smith und Jeff Goldblum balancierten den Film perfekt entlang der Action-Fun-Grenze.
2012 dagegen nimmt sich bierernst und geht damit wie große Teile der Erde laut lärmend im überkandidelten Tumult unter. (Selbst-)Ironie wird man in dem ganzen Tohuwabohu auch mit dem Elektronenmikroskop nicht finden, was die in jeder Hinsicht überzogenen Szenarien unfreiwillig komisch wirken lässt und einem den (erhofften) launigen Spaß gehörig verdirbt. Besonders ärgerlich ist in diesem Zusammenhang das aufgesetzte Happy End, in dem wieder einmal völlig humorlos erzkonservative Werte abgefeiert werden. Die eigentlich faszinierende Idee zum Überleben der Katastrophe ist erneut lediglich technisch brillant umgesetzt. Der zuvor angelegte ethisch-moralische Zündstoff wird völlig unmotiviert und vor allem unglaubwürdig an ein auf Nummer-sicher-gehendes kreuzbraves Standart-Hollywood-Ende verschleudert. Da sehnt man sich fast die Meteoritenkollision aus Armageddon herbei. Aber diesmal ohne Bruce Willis Rettungsaktion.
Fazit:
Mit 2012 fährt Desaster-King Roland Emmerich audiovisuell wirklich alles auf, was das Katastrophengenre zu bieten hat. Nie zuvor ist unser Planet von einer solchen Vielzahl perfekt getricksten Zerstörungsorgien heimgesucht worden. Auf der Nachtseite wird leider allerdings ebenfalls Spektakuläres geboten. Banalste Dialoge, Figurenzeichnungen, wogegen Holzschnitte wie Filigranarbeit wirken sowie Logiklöcher, deren Ausmaße die Umweltkatastrophen noch toppen, trüben das Vergnügen ganz erheblich. Die völlige Abwesenheit von Humor, gepaart mit oftmals richtig peinlichem Pathos, lassen die Zornesadern immer wieder Schwerstarbeit verrichten. Das kann Emmerich deutlich besser. Auch im vollgestopften Rolandschen Katastrophen-Fest-Kalender ist eben nicht jeder Feiertag gleichwertig. Vielleicht muss er aber auch einfach nur seinen geliebten Desaster-Movie-Baukasten neu sortieren.