Peter Hyams brachte 1974 gleich zwei Filme in die Kinos: Den Anfang machte „Spur der Gewalt“, es folgte „Winter unserer Liebe“. Beide Werke verhalten sich fast spiegelbildlich zueinander, denn es geht zwar um enge Freunde, doch im ersteren sind es zwei männliche Cops in einem R-Rated-Polizeifilm, in letzterem um zwei Internatsschülerin in einem PG-Coming-of-Age-Drama.
„Winter unserer Liebe“, der im Original etwas weniger rührstückig „Our Time“ heißt, spielt im Jahr 1955. Abigail Reed (Pamela Sue Martin), von allen nur Abby genannt, und Muffy Pratt (Betsy Slade) besuchen das Penfield-Mädcheninternat und sind Zimmernachbarinnen. Es ist die Zeit vor der Bürgerrechtsbewegung, den Hippies und der gesellschaftlichen Liberalisierung, weshalb die Backfische noch Strafpunkte dafür erhalten, wenn sie zu spät kommen, nach dem Licht-Aus noch mit der Zimmernachbarin reden oder sonstwie gegen die rigiden Regeln verstoßen. Sonntags geht man in die Kirche, Jungen sieht man eigentlich nur zu formellen Anlässen wie Bällen.
Natürlich sind viele der Mädels damit nicht ganz einverstanden – auch Abby und Muffy nicht, die beide gerne ihre Unschuld verlieren wollen. Abby hat mit Michael (Parker Stevenson) schon den passenden Kandidaten am Start, denn der ist – soweit das in dieser Zeit möglich ist – ihr fester Freund vom nahegelegenen Jungeninternat. Für Muffy schwärmt der etwas unbeholfene Malcolm (George Hanlon jr.), für den sich Muffy aber nicht so ganz erwärmen kann…
Mögen sich „Spur der Gewalt“ und „Winter unserer Liebe“ in Thematik, Genre und Figuren klar unterscheiden, so teilen sie jedoch den sehr naturalistischen, lebensnahen Ansatz. Wo man den Polizisten in ersterem bei ihre unglamourösen Arbeit zusah, die aus vielen kleinen Fällen bestand, so folgt man hier dem Erwachsenwerden der beiden Teenagermädchen – erst im letzten Drittel kristallisiert sich durch verschiedene Entwicklungen eine Art kleiner Mainplot heraus. Auch stilistisch ähneln sich die Filme in ihrem beobachtenden, unstilisierenden Ansatz. Wenn Hyams etwa die ersten sexuellen Erfahrungen der Teenager zeigt, dann ist das weder voyeuristisch-exploitativ noch auf einen Teen-Comedy-Lacher aus. Die Jungs und Mädels geben sich gern erfahrener als sie sind, offenbaren gleichzeitig ihre Unsicherheit vor und während des Aktes und probieren sich auf einem Terrain aus, das sichtlich neu für sie ist. Da kann sich ein Paar bei der Vorbereitung des ersten Males auch mal streiten oder ein Jungmann bereits nach wenigen Sekunden kommen.
Durch diesen naturalistischen Gestus wirken die Hauptfiguren auch glaubwürdig, obwohl sie eigentlich klar gescriptet sind. Abby ist die Glückliche, die einen liebenden Freund hat, mit Chuzpe die Internatsleitung auszutricksen weiß und sich mit wenigen Widrigkeiten auseinandersetzen muss. Muffy dagegen ist der Pechvogel: Den Jungen, der sich für sie interessiert, will sie eigentlich nicht, das Objekt ihrer Begierde hat aber nur Augen für eine andere. Muffy ist dabei ein typischer Teenager, will das Offensichtliche nicht erkennen, und steigert sich schon bei einem nüchternen Brief ihres Schwarms in Glücksgefühle hinein. Sie plant ihre Antwort genau, fragt sich, welchen Autor sie darin zitieren soll, und kommt gar nicht auf die Idee, dass der Junge vielleicht nur zu einer Party im Mädcheninternat eingeladen werden möchte.
Allerdings erweist sich dieser Determinismus, auch wenn er nicht völlig unglaubwürdig erscheint, im weiteren Verlauf als Problem: Abby und Michael sind vom Glück geküsst und außerdem keine Volltrottel, weshalb ihnen nie ernsthafte Schwierigkeiten bevorstehen, Muffys Leben dagegen besteht aus Pleiten, Pech und Pannen – man ahnt bereits, wohin ihr erstes Mal führen wird. Dies ist gewissermaßen auch das zweite Problem des Films: Für ein lebensnahes Teenagerdrama fokussiert sich „Winter unserer Liebe“ bisweilen etwas zu sehr auf den Verlust der Jungfräulichkeit, sodass die anderen Eigenschaften der Hauptfiguren bestenfalls am Rande vorkommen. So erscheint Muffy noch als rundeste Figur, da der Film ausführlich klar macht, warum sie sich durch ihre Art viele Chancen verbaut oder selbst Probleme bereitet. Mancher Kritiker hatte ein Problem damit, dass Muffy nicht die sympathischste Figur ist, aber das macht sie durchaus lebensnah.
Und dann ist da noch das letzte Drittel, das sich an ein heißes Eisen heranwagt und Mut beweist, dabei allerdings eine etwas durchwachsene Message aussendet. *SPOILER* „Winter unserer Liebe“ erschien nun ein Jahr nach dem wegweisenden Urteil Roe vs. Wade, das Abtreibung in den USA unter gewissen Voraussetzungen erlaubte. Das Script von Jane Stanton Hitchcock zeigt auch gut die Probleme des offiziellen Abtreibungsverbots auf, wenn die schwangere Muffy und ihre Freunde die illegale Alternative suchen müssen und ihr Weg sie zu schmierigen Motels und seltsamen Gestalten führt. Einen interessanten Turn nimmt der Film, wenn sich der Abtreibungsarzt als netter, verständnisvoller Medizinstudent erweist, der das nicht für das Geld macht, sondern weil er an die Wahlfreiheit der Frau glaubt. Doch der Film beschneidet seine Pro-Choice-Message für das rührselige Drama: Die Ausschabung durch den netten Doc in spe hat Komplikationen, Muffy stirbt später daran. Das mag zwar für den Tearjerker-Effekt gut sein, lässt den Film dann aber doch (ungewollt?) eher wie einen konservativen Anti-Abtreibungsfilm wirken. Da Abby von einem ähnlichen Schicksal verschont bleibt, Michael und seinen Kondomen sei Dank, wirkt er immerhin nicht wie ein puritanischer Film, der auch Sex verdammt. *SPOILER ENDE*
Ein wenig krankt der Film auch seinen Darstellern, die zwar alle ganz okay sind, aber auch keine Glanzleistungen vollbringen. Pamela Sue Martin, Parker Stevenson und George O’Hanlon jr. spielten kurz darauf gemeinsam in der TV-Serie „The Hardy Boys/Nancy Drew Mysteries“, Martin und sogar Stevenson sogar Titelrollen als Nancy Drew bzw. Frank Hardy, aber es blieb größtenteils bei Nebenrollen in Kinofilmen und TV-Engagements für die Beteiligten. Betsy Slade erging es dabei ähnlich bitter wie ihrer Leinwandfigur: Ursprünglich war sie Brian de Palmas erste Wahl für die Titelrolle in „Carrie“, noch dazu aufgrund ihrer Performance in „Winter unserer Liebe“, doch dann ging die Rolle an Sissy Spacek, während Slades Filmographie noch kärglicher als jene ihrer Co-Stars blieb. Fun Fact: Auch Pamela Sue Martin sprach für Rolle der Carrie vor.
So bleibt ein etwas durchwachsenes Drama, das mit Hyams‘ einfühlsamer, naturalistischer Inszenierung glänzt, den betont melodramatischen Schluss mal ausgenommen. Leider bleiben die Figuren unterentwickelt und die Darsteller sind nicht stark genug, um „Winter unserer Liebe“ zu einem memorablen Coming-of-Age-Film zu machen.