Review
von Carbusters
WMAAF als subversive
Zivilisationskritik?
Überrascht wurde ich von der Schärfe
der... Satire - oder ist es ausgeprägter Ökofundamentalismus?
WMAAF scheint fast wie eine anklagende
Parabel der Primitivisten, eine bitterböse Attacke auf den
„American“ oder „Modern“ Way of Life. An Moral wird nicht
gespart! Die Menschheit ist verdorben, folgt falschen Göttern und
verschuldet beinah ihren Untergang. Nur mit knapper Not überlebt sie
ein geradezu göttliches Strafgericht. In letzter Minute schafft es
eine Handvoll Außenseiter, die Welt zu retten; so erinnert das Ganze
an z.B. den biblischen Mythos von Sintflut, Arche und „Noah“, der
jetzt gerade (2014) auch im Kino lief: fast wird die Menschheit für
ihren Abfall vom wahren Glauben bestraft, nur drei korrekte (in
religiöser Lesart: “gottesfürchtige“) Charaktere erhalten die
Chance, all die verdorbenen Schäfchen zu retten.
Die Drei sind alle völlig aus der Zeit
gefallen, von der Moderne verlacht und verspottet: Da ist natürlich
Ich-Erzähler Flint, der einsame Nerd, der im Hinterhof lebt, nur für
seine verstiegenen Erfindungen; dann sein altmodischer Vater, der
beharrlich an seinem inhabergeführten Einzelhandel festhält, als
Küchengerät noch einen hand(!)-getriebenen Fleischwolf dreht und
keine Ahnung von Emails hat; und schließlich das Mädchen
Sam(antha), die schon aufgegeben hatte, ihre eigene Schwächen,
Stärken und Persönlichkeit zu leben – bis sie sich durch die
Begegnung mit Flint wieder selbst zu entdecken traut.
Obwohl auch die zwei Männer zu
bemitleiden sind, ist die Sam des Anfangs für mich fast die
traurigste Figur: eine Frau, die sich für ihre Sehschwäche, ihre
Neugier, Intelligenz und Bildung schämt, die ihr Interesse an
Wissenschaft verleugnet, weil sie lernen musste, dass eine Frau nur
dann von ihrer Umwelt akzeptiert wird, wenn sie dumm wirkt, naiv
kichert und vor allem auf ihr Äußeres achtet. Entsprechend benimmt
sie sich und liefert ein Beispiel, was in der Welt von WMAAF falsch
läuft. Vergleiche mit realen „Stil-Ikonen“, „It-Girls“ und
von den Medien vermittelten Vorbildweibchen sind sicher nicht
zufällig. (Bestärkt fühle ich mich gerade, im Mai 2014, von zwei
Frauenbildern, die uns ihre Beiträge zum deutschen WM-Wahn zumuten:
Melanie Müller und Aische Pervers, ihres Zeichen Dschungelkönigin
und Pornostern. Die Fußballhymnen dieser zwei strammen deutschen
Blondinen [oder blondiert?] zählen jeweils schon sechs- bis
siebenstellige Klickzahlen. Danke, Deutschland!) (Abschweifend möchte
ich an dieser Stelle Sams wunderbarer deutschen Synchronsprecherin
danken: Danke, Luisa Wietzorek!)
Auch die anderen Bewohner der
Kleinstadt in WMAAF werden schnell zu bereitwilligen Opfern der
„satanischen Verführung“, die dann z.B. Flints Wundermaschine
darstellt (auch ein getreues Abbild heutiger Verbraucher): Maßlos
konsumieren sie (Junkfood), ohne zu hinterfragen, woher der billige
Überfluss kommt. Allein weil es möglich ist, muss jeder Wunsch
sofort erfüllt werden, die Befriedigung jedweder Gier wird zur
gepriesenen Errungenschaft und Touristenattraktion. Der größte und
gierigste Fresssack ist selbstverständlich das Stadtoberhaupt und
als solches fast so korrupt wie verfressen. Sein Herzensanliegen ist
ein Vergnügungspark, in dem z.B. Kinder, ohne Aufsicht durch
Erwachsene, Süßigkeiten im „All you can eat“-Modus konsumieren
sollen.Vor lauter Überfluss schämt sich in der Stadt auch niemand,
gigantische Gebirge von weggeworfenen Lebensmitteln zu produzieren –
diese Berge draußen vor der Stadt („Aus den Augen – aus dem
Sinn“) bilden schließlich die Sintflut, die die sündige Gemeinde
fast zu verschlingen droht. Der große Held, Star und Liebling der
Stadtbewohner ist übrigens ein leicht einfältiger Ex-Kinderstar,
dessen Dasein von dem Ruhm zehrt, den er einst als Baby-Model in
einer Werbekampagne einheimste. Sein Markenzeichen ist das
Runterlassen seiner Hosen. Das ist das Idol der Massen, Aische
Pervers in männlich.
So führt WMAAF einen Rundumschlag
gegen die Moderne des Jahres 2009, der mir merkwürdig vertraut
vorkommt. Ich kenne genug Öko-Freaks, die sich abseits der
Mainstream-Medien ähnlich kritisch über unsere Gegenwart äußern.
Mich erstaunt, dass die gleiche Botschaft scheinbar auch dem System
willkommen ist, sonst hätte sie Sony-Columbia nicht so expliziert
platziert (Platz 1 in der Kinostartwoche). Was ist WMAAF nun?
Subversiv oder systemerhaltend?
Für uns BetrachterInnen jedenfalls
gereicht es WMAAF zum Vorteil, dass sich all diese „wertvolle“
Moral, die ich hier so in den Mittelpunkt rücke, hinter einer rasant
erzählten Geschichte voller Wortspiele und bizarrer Details
versteckt. Mit diesen Zuckerstückchen schluckt man sogar die Moral,
da rast eine Flut aggressiv-lebendiger Brathähnchen auf die Helden
los, Rattenvögel bevölkern Hitchcock-like die Lüfte, der
Affengedanken-Übersetzungsapparat fördert auch die Gedanken des
Vaters zu Gehör, eine Alien-Königin-artige Nahrungsmittelmaschine
würgt Essen hervor wie im Horrorfilm, ein Dixi-Klo-Aufzug führt ins
Geheimlabor, in dem unzählige verrückte Bedienschritte zu
verrichten sind, der TV-Kameramann verbirgt Augen und eine Unmenge
seltsamer Talente (inklusive „Komiker“), Riesentoastbrote werden
zu rettenden Archen und „Schokoladenschneebälle“ entpuppen sich
als... – lassen wir das! - Dann noch eine süße Liebesgeschichte
unter Nerds, Vater und Sohn finden zusammen, Baby-Brent verliert sein
Aische-Image und wird zum Helden, all das in atemlosen Tempo. Eine
schöne Sache, rund wie ein Fleischbällchen.