Es war einmal...
Selbst wenn ein Tim-Burton-Film in seiner Rahmenhandlung mit einer Oma beginnt, die ihrer Enkelin eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt, kann man sich sicher sein, daß hier kein reines Märchen erzählt wird. So kommt es dann auch. Am ehesten ließe sich die Handlung noch mit „Die Schöne und das Biest“ umreißen, aber natürlich ist das keine Wiederauflage, sondern Burtons ureigenste Variante der Geschichte, die märchenhafte Elemente einbindet, um sie immer wieder zu brechen. Da gibt es eine Prinzessin namens Kim (Winona Ryder), die Tochter der vierköpfigen Familie Bogg. Ihr Freund ist der etwas tumbe Jim (Anthony Michael Hall). Störung erhält die Beziehung, die man schon nach wenigen Blicken als nicht von langer Dauer identifiziert, alsbald durch den titelgebenden Edward (Johnny Depp), einer unvollendeten künstlichen Schöpfung eines Erfinders (Vincent Price), die anstatt Händen Scheren besitzt. Kims Mutter Peg (Dianne Wiest) hat ihn aus seinem finsteren Schloß in die Kleinstadtidylle geholt, wo er fortan die Einwohner mit seinen eigenwilligen Heckenkreationen verzückt. Dabei schafft der schüchterne Naivling es auch, Kims Herz zu erobern.
Vordergründig ein Märchen erkennt man schon sehr bald, mit welcher Frage sich Burton hier hauptsächlich beschäftigen möchte: Wie reagieren die Bewohner einer Kleinstadt darauf, wenn ein Fremdling mit einer außergewöhnlichen Gabe auftaucht? Dabei wählt er das Stilmittel der Übersteigerung und überzeichnet fast jede Figur. Das äußert sich vor allem in Joyce (Kathy Baker), obwohl verheiratet, ein männerfressender Vamp mittleren Alters, der sich bereits in der ersten Szene unverhohlen an den Waschmaschinenmonteur heranmacht und natürlich auch gleich interessiert ist an diesem ungewöhnlichen Mann und ihm Avancen macht, die Edward nicht versteht, aber die ihm spätestens dann unangenehm werden, wenn Joyce ihn im Friseurstuhl verführen will. Doch auch mit der Ankunft Edwards in der Stadt werden bereits alle Klischees bedient, die man vom Kleinstadtleben hat: Die Frauen, in ihrem Leben offenbar nichts Aufregendes erlebend, aber für den neuesten Klatsch und Tratsch mehr als empfänglich, haben nichts Besseres zu tun, als ihren Bekannten gleich telefonisch von dem andersartigen Neuankömmling zu berichten. Klar, daß die Haus an Haus wohnenden Nachbarn sich auch zum regelmäßigen Plausch auf der Straße treffen und sofort auf der Matte stehen, um Edward endlich kennenzulernen. Wie ein Spielberg in „Poltergeist“ oder ein Dante mit „Die teuflischen Nachbarn“ wird hier ein karikiertes Bild gezeichnet, das ungemein treffsicher ist. Teilweise fühlt man sich gar an die Springieldianer aus „Die Simpsons“ erinnert.
Wirklich störend in diesem bunten Panoptikum ist dabei die Figur des Jim, ein lächerlich überzeichneter Stereotyp, das aber bei weitem nicht so genau wie der Rest, sondern einfach nur schwarz-weiß, weil es nun mal einen echten Antagonisten als Gegenspieler in der Geschichte geben muß, dem die Freundin ausgespannt werden muß, an sich aber nur wenig funktionell für den Plot. Geradezu kopfschüttelnhervorrufend die Szene, in der er und sein Kumpel fast Kims Bruder über den Haufen fahren und völlig unklar bleibt, ob dies ein Beinaheunfall des alkoholisierten Kumpels oder pure Absicht von Jim war. Man könnte glatt letzteres annehmen, wenn man sieht, wie er am Ende ohne Rücksicht auf Verluste auf den von Natur aus doch etwas besser bewaffneten Edward und kurz darauf in blinder Wut auf Kim losgeht. Hier verwandelt er sich in eine rasende Bestie, ein Charakterwandel, der so weit hergeholt wie ärgerlich ist und einiges zu ruinieren droht, weil er einfach nicht hineinpaßt.
Wie eine Oase der Normalität wirkt da schon die Familie Bogg: Peg ist eine hinreißend sympathische Frau, der wahrscheinlich niemals ein böses Wort über die Lippen kommen würde und die Edward so nimmt, wie er ist. Als beide gemeinsam in einer Fernsehsendung auftreten, in der eine Zuschauerin anmerkt, daß er ja gar nichts Besonderes mehr wäre, wenn er seine Scherenhände per Operation in echte Hände umwandeln lassen würde, ist Peg diejenige, die ihn verteidigt und insistiert, daß er auch so etwas Besonderes sei. Vater Bill (Alan Arkin) versucht’s auf die kumpelhafte Tour und läßt sich wenig von dem Gewäsch der anderen einnehmen, der Sohn ist, wie üblich im Schulalter, zunächst von den coolen Scheren beeindruckt („Mom, kann ich ihn mit in die Schule nehmen?“), um irgendwann das Interesse an ihm zu verlieren, wie das ja bei Spielzeug auch der Fall ist, das nach der Zeit einfach langweilig wird. Kim selbst ist nach den ersten Begegnungen erst einmal Edward skeptisch und ablehnend gegenüber, zumal ihr erstes Aufeinandertreffen ziemlich traumatisch verläuft. Am Ende wird sie neben Peg die einzige Person sein, die noch zu ihm halten wird.
Bald ist aber klar, daß ein Leben dieses Außenseiters in der Stadt nicht mehr möglich sein wird: Joyce verunglimpft ihn, nachdem er ihre Annäherungsversuche nicht erwidert, er läßt sich für einen Einbruch in Jims Haus mißbrauchen und wird als einziger gefaßt, schließlich machen auch die gefährlichen Klingen seiner Hände Probleme. Dies ist die tragische Komponente der Geschichte, bereits vorher zu wissen, daß Edward keine Zukunft hat und früher oder später das Unheil hereinbrechen muß.
Es ist letzten Endes allerdings weniger der überaus gelungene parodistische Aspekt, der in Erinnerung bleibt: Es ist die Romanze zwischen Kim und Edward sowie nahezu jede Szene, die Johnny Depp und Winona Ryder gemeinsam bestreiten. Davon gibt es nicht allzu viele, aber die wenigen vorhandenen sind so ausgezeichnet und anrührend geschrieben, daß daraus eine ganze Reihe magischer Momente entsteht, die man nicht vergißt. An diesen Stellen bekennt sich Burton offen zum Kitsch, ohne daß er negativ aufstoßen würde. Jede Szene könnte hier aufgeführt werden: als Edward in der TV-Sendung gefragt wird, ob er eine Freundin hätte, der sein Herz gehört, und er nur schweigend in die Kamera guckt, während Kim über den Fernsehbildschirm feststellt, sich in diesem Moment gerade verliebt zu haben; als Kim nach der kurzzeitigen Verhaftung erfährt, daß Edward wußte, wo er eingebrochen ist („Warum hast du mitgemacht?“ – „Weil du mich darum gebeten hast.“); als Edward gesucht wird und er nicht weiß, wo er hin soll, und deshalb nach Hause zurückkehrt, wo Kim auf ihn wartet und ihn, weil er es aus physischen Gründen nicht schafft („Halt mich fest!“ – „Ich kann nicht.“), fest umarmt; als er wie ein getriebenes Tier in sein Schloß zurückkehrt und Kim ihm zum Abschied ihre Liebe gesteht. Es bedarf nicht vieler Worte zwischen ihnen, um derart bezaubernde Momente zu inszenieren. Das beweist die wohl schönste und gewiß berühmteste Szene des gesamten Films, als Kim durch den Schnee tanzt, den Edward durch das Schneiden und Schleifen an einer riesenhaften Eisskulptur erzeugt. Diese ist von einer sich tief im Kopf einbrennenden Schönheit, transportiert solche Emotionen, daß es kaum vorstellbar erscheint, davon nicht überwältigt zu werden, auch weil Danny Elfmans durchgängiger Traum von einer Filmmusik noch zusätzlich tatkräftig unterstützt.
Manchmal kommen sich Parodie und Romanze ein wenig in die Quere (da erscheinen dann auch kleine Nebeneinlagen wie etwas Slapstick, so z.B. Edwards nächtliche Sauferei mit Bill, mitunter etwas deplaziert und albern), und vom Gefühl her hätte ich nichts gegen mehr Romanze und weniger Parodie einzuwenden gehabt, aber es bleibt die Frage, ob die Momente mit Depp und Ryder immer noch die Kraft entfacht hätten, wie sie es jetzt tun. Depp ist jedenfalls auch mit wenigen Dialogzeilen ganz wunderbar, Ryder süß, engelhaft und auch schauspielerisch überzeugend, was aber durchweg für alle gilt (auch Hall macht als Bad Guy das Beste aus seiner Rolle). Besondere Erwähnung verdient Vincent Price, der in seiner letzten Kinorolle bleibenden Eindruck hinterläßt (und nach wie vor eine leichte Unheimlichkeit mit sich herumträgt, obwohl er hier keinen Schrecken verbreiten soll) und in Rückblenden als Erfinder auftaucht.
... und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute? Das schon, aber leider nicht gemeinsam.
Tragisch, anrührend, wunderschön. 8/10.