Review

Auch der dritte und letzte Teil der „Millennium-Trilogie“ nach den Romanen des schwedischen Schriftstellers Stieg Larsson erschien im Jahre 2009 in schwedisch-deutscher Koproduktion, Regie führte wie beim Vorgänger „Verdammnis“ der Schwede Daniel Alfredson („Wolf“), das Drehbuch stammt erneut von Jonas Frykberg. Auch in diesem Falle habe ich die Literaturvorlage nicht gelesen und zunächst einmal die Kinofassung anstelle des längeren Director’s Cuts gesehen.

„Vergebung“ knüpft nahtlos an „Verdammnis“ an, beide Filme hängen enger miteinander als mit dem Auftakt der Trilogie zusammen und bilden eine Einheit. Als eigenständiger Film funktioniert „Vergebung“ wenn überhaupt nur sehr bedingt, die Kenntnis des Vorgängers scheint mir unabdingbar. Nachdem die unbequeme Hackerin und Punkerin Lisbeth Salander (Noomi Rapace) im Laufe der Ereignisse aus „Verdammnis“ mit der erschreckenden Wahrheit konfrontiert wurde, dass ihr gehasster, sadistischer Vater Alexander „Zala“ Zalatschenko (Georgi Staykov), entstellt von durch Lisbeth im Kindsalter zugefügten Brandwunden, ein ehemaliger, nach Schweden übergelaufener russischer Spion ist, der einer geheimen, staatlich subventionierten Politgruppe angehört und von den Behörden unbehelligt sowie gut abgesichert seinen mörderischen Umtrieben nachgehen kann, sie zudem ihren Halbbruder Ronald, ein hünenhaftes Monstrum ohne Schmerzempfinden, das es ebenfalls auf sie abgesehen hat, kennenlernte, kam sie bei der finalen Konfrontation mit ihrer „Familie“ beinahe ums Leben. Ronald befindet sich auf der Flucht, ihr Vater und sie werden im Krankenhaus behandelt. Gleichzeitig wird Mordanklage gegen Lisbeth erhoben, die in Notwehr mit einer Axt auf ihren Vater einschlug. Mikael Blomkvist (Mikael Nyqvist), Enthüllungsjournalist für sein „Millennium“-Magazin, dessen Wege sich bereits in den vorausgegangenen beiden Teilen kreuzten, versucht, Lisbeth zu helfen...

Kommt bei Filmfreunden gemeinhin der Trilogieauftakt „Verblendung“ am besten weg, so muss ich zugeben, dass mir nach Erstsichtung aller drei Teile in der jeweiligen Kinofassung dieser Abschluss noch eine Idee besser gefiel, was insbesondere an der meines Erachtens äußerst einnehmenden Geschichte liegt. Nicht nur, dass „Vergebung“ endlich alle Geheimnisse um Lisbeths Person lüftet und ihre Vergangenheit aufdeckt, nachdem man in den ersten beiden Teilen zunächst sehr zurückhaltend („Verblendung“), dann verstärkt („Verdammnis“) an sie herangeführt wurde, nein, „Vergebung“ entwickelt sich darüber hinaus nach dem actionlastigeren Vorgänger zu einem reinrassigen Polit-/Justiz-Thriller, indem er den in „Verdammnis“ gesponnen Faden aufnimmt und aus ihm eine gewohnt intelligente und komplexe, dabei jedoch wunderbar in die Tiefe gehende Politposse strickt, die mir eng mit der jüngeren schwedischen Geschichte verknüpft scheint. „Vergebung“ spinnt ein Intrigennetz, eine Verschwörungstheorie um eine zu Zeiten einer „bürgerlichen“ Regierung etablierten, von oberster Stelle legitimierten Geheimagentensache, die zu einem sich jeglicher Kontrolle entziehenden, antidemokratischen Selbstläufer wurde, der unter zukünftigen Regierungen gar in Vergessenheit geriet, aber deren Involvierte ein luxuriöses Leben von der Öffentlichkeit unbemerkt führen und unbehelligt mafiaähnliche Strukturen aufbauen konnten. „Verdammnis“ und „Vergebung“ greifen vorsichtig das nationale Trauma ungeklärter mörderischer Attentate auf fortschrittliche schwedische Politiker wie Olof Palme auf, der 1986 auf offener Straße erschossen wurde.

Dies geschieht auf subtile Weise, denn explizit ausgesprochen wird es zu keinem Zeitpunkt. Die Filme bzw. Larssons Romane zeigen aber, wie sich mächtige Strukturen außerhalb der offiziellen Politik entwickeln und an empfindlicher Stelle einnisten. Kritisch setzt man sich mit konspirativ agierenden Organen wie der „Sicherheitspolizei“ auseinander und zeigt sie als keinesfalls der öffentlichen Ordnung, Recht und Gesetz verpflichteten Diener des Gemeinwohls, sondern als verbrecherische, kriminelle Vereinigung, für die Mord ein legitimes Mittel ist. Ein wenig Abstraktionsfähigkeit des Rezipienten vorausgesetzt, lassen sich mühelos Parallelen zu tatsächlichen gesellschaftlichen Entwicklungen und Ereignisse ziehen, nicht nur in Schweden. Dass es ausgerechnet der Hackerin und Punkerin Lisbeth Salander bedarf, um diese verkrusteten Strukturen aufzubrechen und empfindlich in ihrer Existenz zu stören, ist ein inspirierender Revoluzzertraum, der beide Randbereiche – Punk-Subkultur und Computer-Hacking – als gesellschaftliche Kräfte wahr- und ernstnimmt, statt sie anhand alberner Klischees vorzuführen. Die Relevanz zivilen Ungehorsams, der Bedarf an intelligenten, individuellen Freigeistern und Kämpfern wie Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist als Hoffnung für ein in Angst und Obrigkeitshörigkeit erstarrten, doch hinter dem biederen Schein sich selbst zerfleischendes System ist ein dominantes Thema der Film- und damit vermutlich auch Buch-Reihe, abstrakt genug, um Ansprüchen an Unterhaltung zu genügen, dabei jedoch realitätsnah genug, um zumindest nachdenklich hinsichtlich fragwürdiger Autoritäten, als gegeben hingenommener Umstände und antisozialer Vorurteile zu stimmen.

Während die alternden und kranken Verschwörer also erkennen, dass sich die Schlinge um sie zuzieht und ihre Zeit abgelaufen ist, nimmt eine letzte große Vertuschungsaktion ihren Lauf. Morde und Selbstmorde werden begangen und Lisbeth Salander soll mundtot gemacht werden, indem sie u.a. auf Grundlage eines gefälschten Gutachtens ihres ehemaligen, sie ebenfalls misshandelt habenden Psychiaters Dr. Teleborian (Anders Ahlbom) des versuchten Mordes überführt und ins Gefängnis gesteckt werden soll. Nun bekommt Blomkvist Gelegenheit, sich mittels seiner Kontakte, seines journalistischen Ehrgeizes und Geschicks massiv für Lisbeth Salander einzusetzen, die ihrerseits lernen muss, fremde Hilfe anzunehmen, nachdem sie zeitlebens auf sich allein gestellt war. Ans Krankenbett gefesselt und zur Passivität gezwungen, bleibt „Vergebung“ trotzdem eindeutig auf sie als Hauptrolle ausgerichtet. Moderne Kommunikationsmittel spielen dabei eine noch stärkere Rolle als zuvor, insbesondere in Hinblick auf Smartphones. Diese kleinen Geräte werden als wichtige, mächtige Utensilien in die Handlung integriert und finden weit über genregewohnte Klischees wie Netzausfälle in brenzligen Situationen hinaus Verwendung. Auf die Berücksichtigung modernen Nippes wie Facebook und Konsorten verzichtete man dankenswerterweise. Auch hier erscheinen die Computerhacking-Attacken indes als allzu leichte Fingerübungen und etwas arg vereinfacht dargestellt.

Die überlange Handlung fällt aufgrund ihrer Komplexität ruhiger und dialogreicher als gewohnt aus, bleibt dabei jedoch dramaturgisch gekonnt spannend genug, um den Zuschauer sich solidarisch mit Blomkvist und Salander erklären zu lassen und mitzufiebern, mitzubangen und angesichts des gesamten Ausmaßes Lisbeths persönlicher Katastrophe emotional berührt und durch den Film geführt zu werden. Die einzelnen Handlungsstränge laufen auf eine Gerichtsverhandlung mit der weitestgehend gesundeten Salander hinaus, der es nachvollziehbar, doch respekteinflößend gelingt, ihrer Linie treu zu bleiben und den Gerichtssaal zu ihrer Bühne umzufunktionieren. Der Ablauf des Gerichtsverfahrens vermag sicherlich das kritische Bewusstsein des Zuschauers in Bezug auf vermeintlich unangreifbare Gutachten und ihre wirkungsvolle Einsatzmöglichkeit als Waffe gegen unbequeme Zeitgenossen zu schärfen. Dass es im Vorfeld zu einer Zusammenarbeit Blomkvists mit dem Verfassungsschutz kommt und sich seine Schwester Annika (Annika Hallin) erfolgreich als Anwältin Lisbeths annimmt, stellt dabei aufgrund der von beiden Protagonisten angebrachten Skepsis keinen wirklichen Stilbruch dar und bewahrt den Film vor dem Vorwurf plakativer, pessimistischer Schwarzmalerei. Wie sehr sich letztlich vor Gericht die Ereignisse überschlagen ist indes eine Fokussierung auf einen glücklichen Ausgang, der bei genauerer Hinterfragung dann doch etwas überkonstruiert erscheint, hilft aber, die schier unerträglichen Ungerechtigkeiten auch für den Zuschauer auf befriedigende Weise zu sühnen.

Im Epilog lässt man sich sodann auch die Gelegenheit nicht nehmen, noch einmal auf die nach wie vor unübersehbare und das Leben verkomplizierende traumatische Störung insbesondere Lisbeths einzugehen, die wiederum jeglichen Verdacht des Aufkommens typischen Hollywood-Kitsches unmissverständlich ausräumt und den Bogen zurück zum düsteren, ernüchternd-realistischen Stil der Reihe spannt. Dass Regisseur Alfredson erneut eher als souveräner Handwerker denn als künstlerischer Virtuose in Erscheinung tritt, mag bisweilen etwas schade sein, verleiht „Vergebung“ jedoch auch auf seine Weise eine gewisse Schroffheit, die letztlich aufgrund der starken, von guten bis hervorragenden Schauspielerin getragenen Handlung keiner weiteren Ausschmückung bedarf – wenn auch hier und da sicherlich, gerade in bedeutenden Einzelszenen, mehr möglich gewesen wäre. Doch auch für sich genommen sind Mordversuche im Krankenhaus oder ein erneutes Aufeinandertreffen mit dem blonden Hünen Niedermann kleine dramaturgische Höhepunkte, die für einen Moment das bitterernste Polit-/Justiz-Thriller-Sujet aufweichen bzw. variieren. Aus meiner persönlichen, sicherlich nicht ganz gesellschaftlichpolitisch und subkulturell unvorbelasteten Sichtweise ist „Vergebung“ ein absolut würdiger Abschluss der aufgrund des viel zu frühen Todes Larssons zur Trilogie geschrumpften Reihe; ein nordeuropäischer Thriller, der sein Herkunftsland in einem interessanten, kritischen Lichte präsentiert sowie Anspruch und Unterhaltungswert grandios und unwidersprüchlich miteinander verbindet – und in dem im Übrigen nichts und niemandem vergeben wird.

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