Als Filmemacher hat man verschiedene Möglichkeiten, wie man mit seinen radikalen Visionen umgehen kann: man kann behutsam erzählen und das Publikum so an die Materie heranführen, man kann schockieren, man kann aber auch verstören mit seinen Ideen. Und man kann auch überladen in der Hoffnung, daß sich jeder seine Geschmacksrichtung herauspicken kann.
Das funktioniert besonders gut, wenn man nicht denselben Tee aufbrüht wie die meisten Filmemacher - und Vincenzo Natali ist einer davon. Deutschen Zuschauern, die nicht weitreichend informiert sind, ist Natali hauptsächlich wegen seiner Kreation "Cube" bekannt, einer beklemmenden Studie über eine Gruppe Personen, die in einer ausweglosen Situation gefangen sind, in einem endlosen Labyrinth von Würfeln, die Todesfallen beinhalten. Dagegen präsentierte er, fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit ein paar Jahre später den äußerst bizarren Film "Nothing", in dem zwei schräge Figuren mitsamt ihrem kleinen Haus ins buchstäbliche Nichts versetzt werden: eine vollkommen weiße Leere, in dem außer ihnen nichts existiert, ein eindimensionales Labyrinth - und praktisch genauso verloren.
Ein Labyrinth eröffnet sich dem Betrachter auch im Falle von "Splice", allerdings ein Labyrinth aus Ideen und moralischen Fragen, aus Motivationen und Verantwortlichkeiten, dem sich zwei junge Wissenschaftler (die zufällig ein Paar bilden) aussetzen.
"Splice" ist, auf den ersten Blick, eine frei Versuchsanordnung, auf der sich zwei Figuren austoben, allerdings nicht weil, wie sie zunächst glauben, es können, sondern weil sie sich selbst in diese Ecke gedrängt haben. Die Problematik der Gentechnologie wird weithin diskutiert und die moralischen und ethischen Fragen, neues Leben durch genetische Neukombination zu erschaffen, läßt nicht nur theologische Gehirne heiß laufen.
Der Ausgangspunkt hier sind zwei Gewebeklumpen, die man erschaffen hat, um für Pharmaunternehmen verkaufsfördernde Proteine mit neuen medizinischen Möglichkeiten zu synthetisieren, doch wenn man schon mit heißen Eisen spielt, so will man bald auch an die letzte Grenze, das menschliche Erbmaterial. Und so probiert man - im Geheimen, da es offiziell verboten wird (allerdings eher aus kommerziellen und populären Erwägungen, denn aus moralischen) - das Gensplicing und die Neukombination aus mehreren Tierarten und Menschen-DNS - und bald schlüpft aus einem künstlichen Uterus einer Brutkammer ein neues Wesen, eins das teilweise menschlich ist...
Nicht, daß diese Idee, die Erinnerungen an "Frankenstein" und die typischen "Mad Scientists" hervorruft, besonders neu wäre und die Suche des Geschöpfs nach seinem Schöpfer und dem Grund seiner Existenz hat schon viel Schaden, Zerstörung und Tod angerichtet, aber Natali ist an einem normalen Genre-Pic nicht interessiert. Stattdessen konzentriert er sich auf eine emotionale Tour-de-Force, ob man das Wesen erforschen, erziehen oder töten soll, bei der die beiden Eltern wechselseitig die Positionen der möglichen Vorgehensweisen vertreteten.
Wann also ist Leben lebenswert - oder schützenswert - oder einfach nur ein quälende Perversion? Wann sind wir Gott oder wann sind wir Teufel? Oder man beachte noch eine dritte Position: wenn wir etwas beinahe Menschliches erschaffen, inwieweit sind wir Vater und Mutter?
Natali häuft in diesem Film, der stets die Erwartungen des Publikums unter- oder überläuft, um- und überfährt, Ideen und Fragen auf, die nicht eindeutig beantwortet werden. Tatsächlich scheint ihm mehr an der Elternfrage gelegen, bei der Adrien Brody (immerhin ein Oscarpreisträger) und Sarah Polley nie dauerhafte Positionen beziehen können und erst nach und nach ihre Motivationen offenlegen.
Wissenschaftlicher Forscherdrang zu Beginn (bei ihr) trifft da auf den moralischen Widerwillen (bei ihm), der Reiz der erwachenden Intelligenz treibt die Figuren voran, doch dann entwickelt das Geschöpf Persönlichkeit, erhält einen Namen, definiert sich als Einzelwesen mit eigenen Wünschen und Vorstellungen, auch wenn es nicht sprechen kann. Später verschieben sich die Positionen, während Clive (Brody) Vatergefühle entwickelt, erweist sich Elsas (Polleys) Mutterinstinkt als eine Möglichkeit die eigenen Kindheitsängste auf geschlossenem Raum zu ertesten oder nachzuerleben, ein persönliches Trauma, das schließlich in die Katastrophe führt, als das "Kind" nicht nur immer neue Wesensfacetten zeigt, die man selbstverständlich nicht unter Kontrolle hat, da man es als Neuschöpfung nur selten verstehen kann, sondern auch grundlegene menschliche Züge wie Eifersucht, Liebesbedürfnis, Sexualität und Fortpflanzungsdrang entwickelt.
Eine gesunde Linie können die Figuren dabei nie entwickeln, weil sie zwischen Mensch, Elter und Wissenschaftler nicht trennen können oder wollen, was wiederum ihrem Geschöpf (das später einer jungen Frau annähernd gleicht) schadet. Elsa scheitert schließlich an der Verantwortung, die Clive von vornherein abgelehnt hat und die er in der Folge entdeckt, weil seine Freundin, mit sich selbst und ihrer kaputten Psyche konfrontiert, dem Problem der Identität nur mit Wissenschaft begegnen kann und so aus der Chimäre von Gefühl, Verhalten und Kalkül eine unkontrollierbare Reaktion hervorruft.
"Splice" ist kein Film für Leute, die gern eine Idee bis zum Schluß durchdiskutieren, es ist ein furioses Sammelsurium von Ideen und Ansichten, die der Zuschauer für sich selbst durchspielen muß. Die Figuren verhalten sich dabei nicht immer geschlossen oder folgerichtig, teilweise sogar lachhaft irrational, aber in dieser künstlichen Atmosphäre (wieder die Versuchsanordnung) konjugiert man die Situation bis zum bösen Ende durch - und verstört durch die Nachhaltigkeit enorm das Publikum.
Dabei gelingt es dem Regisseur, gleichzeitig eine fremde, wie vertraute Kreatur zu erschaffen, die sowohl Alien, Tier wie auch Mensch zugleich ist und die zugleich abstößt und umarmt werden will, was schon an sich eine Leistung ist. Delphine Chanéac, die das Wesen namens "Dren" als erwachsene Frau portraitiert, leistet nur mit Blicken, Bewegungen, Mimik und Fieplauten einen Höllenjob, ständig die ganze Palette an Emotionen aktiv zu halten und so nicht eine einfache Position zuzulassen, die man ihr gegenüber einnehmen kann - denn sie ist so liebebedürftig wie gefährlich, eine Untiefe und eine Mahnung, daß man eben doch nicht Gott spielen sollte, wenn man nicht die Reife dafür entwickelt hat. Dennoch gibt der Film kein definitives positives oder negatives Statement ab, maximal der Pharmakonzern ist mehr als gefühlskalter Organismus gezeichnet, allerdings auch ohne die dicksten Klischees, die man sich vorstellen kann.
Erst am Ende dieser Lawine von Eindrücken und Lebensphasen, als das "Familienverhältnis" zunehmend aus dem Ruder läuft, geht auch die Story etwas aus dem Leim, auch wenn das ödipal angehauchte Finale nach einiger Zeit wiederum nur konsequent wirkt: eine Konstellation rund um ein Haustier für das "Wesen" (schon allein eine bizarre Dopplung) findet seine Entsprechung in einem Adoleszenzkonflikt mit tödlichen Folgen. Daß man dafür wieder leicht auf Genrekonventionen zurückgreifen muß, ist eine Ausnahme in einem unerwartet gestalteten und sehr ruhigen Film zum Miterleben.
Das wesentliche Problem ist die Fülle an Ideen, Aktionen und Reaktionen, Motivationen und Charakteren, die man beachten und bewerten muß und es dem Publikum recht schwer machen, einen gewissen Unterhaltungsfaktor auszumachen; dabei ist "Splice" Fassade und Mittel zum Zweck, der radikales Gefühlsmanagement abfordert, eine Leistung, die heute im Kinosaal eigentlich oft nur noch widerwillig erbracht wird. Mit kleinem Budget hergestellt, ist Natali aber wieder ein kleines Kunststück an Atmosphäre und inszenatorischer Geschlossenheit gelungen, in dem seine Figuren sich einmal mehr verirren, ohne wirklich jemals einen Ausgang zu finden, sie müssen schlußendlich mit den Konsequenzen ihrer eigene Fehler leben oder an ihnen sterben, hier wird nicht wirklich erlöst, sondern der nächste Schritt gegangen.
Daß sich so etwas natürlich nur im (kleinen) Kreise der Informierten, Interessierten und Spezialisierten vermarkten läßt, ist dem Künstler vermutlich klar, aber daß er radikal daran festhält, in jedem Fall zu begrüßen. (8/10)