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Wenn es um einfallsreiche Zukunftsvisionen geht, dann greift Hollywood gern auf die Werke von Schriftstellern wie Isaac Asimov oder Philip K. Dick zurück. Oder, wenn gerade kein literarisches Material zur Verfügung steht, auf Graphic Novels ähnlicher Bauart, wie bei „Surrogates“, dessen Vorlage von Robert Venditti und Brett Weldele stammt.
Auf dieser Basis schaffen die Drehbuchautoren Michael Ferris und John Brancato eine hochinteressante Zukunftsvision, die dem Publikum in der Auftaktsequenz über Nachrichtenschnipsel nähergebracht wird. In naher Zukunft gibt es Durchbrüche in der Robotik und Prothetik, die erst zu ferngesteuerten, menschenartigen Kampfeinheiten führen, mit einigem Abstand auch für den Normalbürger erschwinglich werden. Die von Dr. Lionel Canter (James Cromwell) entwickelten Roboter, Surrogates genannt, dominieren nun die Straße: Fast jeder schickt sein Robo-Ich vor die Tür, ohne Angst vor Unfällen, Verletzungen und Krankheiten, während er daheim in der Steuerungseinheit liegt. Natürlich steckt in quasi jeder filmischen Utopie auch immer ein Stück Dystopie, andernfalls kein Konflikt. So hat sich in „Surrogates“ bereits eine gesellschaftliche Gruppe unter Führung des Propheten (Ving Rhames) formiert, welche die Robo-Doppelgänger wegen der Degradierung menschlicher Beziehungen ablehnt und in Surrogate-freien Zonen lebt.
„Surrogates“ bemüht sich jedoch um einen Punkt, der die Utopie noch schwerer angreift: Was wäre, wenn die Unversehrtheit der Surrogate-User doch nicht gewährleistet sei? Genau das passiert dem Sohn von Dr. Canter, der (bzw. sein Surrogate) sich eben noch zum Schäferstündchen hinter einem Nachtclub verabredet hat, dann aber eine Ladung aus einer neuartigen Strahlenkanone abbekommt, die Surrogate wie User grillt. Als die FBI-Agenten Tom Greer (Bruce Willis) und Peters (Radha Mitchell) den Fall untersuchen, verweist „Surrogates“ bereits auf den Unterschied zwischen Schein und Sein: Das attraktive, ebenfalls geröstete Blondinen-Date von Canter Junior erweist sich als Surrogate eines fetten, unansehnlichen Kerls, auch wenn solche Witzchen ja fast Standard in den Filmen über virtuelle und reale Avatare sind.

Nicht nur das prominente Opfer, auch die Natur der Mordwaffe birgt natürlich enorme Sprengkraft, weshalb Greer und Peters möglichst geräuschlos und schnell ermitteln sollen. Doch bald wird ihnen klar, dass hinter dem Ganzen mehr als nur Mord steckt…
Nun liegt es bei derartigen Stoffen natürlich auch in der Sache, dass ein Mord mehr als nur ein Mord sein muss, denn hier wird ein Gesellschaftsszenario entworfen und durch die Krimihandlung hinterfragt. So finden sich die amüsanten Seitenhiebe und Gedankenspiele manchmal im Detail oder in Subplots. Es ist natürlich eine ganz besondere Ironie, dass die Surrogate-Variante von Bruce Willis langes, volles Haar hat, während der reale Protagonist die bewährte Glatze des Hauptdarstellers trägt. So sehen die Surrogates auch immer bewusst etwas fake aus, eben wie aus dem Werbekatalog entstiegene, gephotoshopte Modelle ohne jene Falten, Ecken und Kanten, die echte Menschen ausmachen. Auch Peters und Maggie (Rosamund Pike), Toms Ehefrau, sehen realiter deutlich weniger makellos aus als die Surrogate-Versionen ihrer selbst, zumal die Nutzer aus den Sesseln aussteigen wie geh- und sehschwache Grottenolme, sofern sie es überhaupt tun. Der Subplot um Tom und Maggie buchstabiert das noch weiter aus: Während Tom wenigstens zu Hause er selbst sein will, lebt Maggie quasi nur noch durch ihren Surrogate und verdrängt auf diese Weise jene Real-Life-Probleme, die im Hause Greer nach einer Krise existieren.
Auf diese Weise leistet „Surrogates“ wesentlich effektiver Kritik an dem vermeintlichen Heilsversprechen als durch seinen Krimiplot, der an Werke wie „Blade Runner“ und vor allem „I, Robot“ erinnert. So geht es zwar auch hier um das Leben vieler Menschen und indirekt um die Zukunft der Menschheit allgemein, doch „Surrogates“ kann diese Tragweite nur begrenzt vermitteln. Viel zu oft wirkt das ganze Whodunit wie die Sci-Fi-Version einer Krimiserienfolge vom Kaliber „C.S.I.“ oder „Castle“, mit windigen Konzernbossen, enigmatischen Tüftlern und führenden Köpfen der Anti-Surrogate-Bewegung als potentiellen Hauptverdächtigen. Nur selten lässt sich „Surrogates“ zwischen Hinweissuche und Zeugenbefragung auf reizvolle Spiele mit den Möglichkeiten der Schein-Identität ein – erst im letzten Drittel wird dieses Potential genutzt, wenn Figuren überraschend aus dem Spiel genommen werden oder sich vermeintliche Gewissheiten als Täuschung entpuppen. In diesen Momenten zeigt sich das enorme Potential von „Surrogates“, der über weite Strecken leider wie ein braver Krimi wirkt.

Natürlich geht ein solcher Sci-Fi-Verschwörungsplot nicht ohne die eine oder andere Krawallsequenz ab und die Action bietet dabei genau jene Form von solidem, wenn auch etwas gesichtslosem Handwerk, das man bei Jonathan Mostow auf dem Regiestuhl erwarten darf. Neben ein paar kleineren Scharmützeln sind es vor allem zwei Verfolgungsjagden, die den Film prägen. In der ersten hetzen Greer und Polizeikollegen einen Verdächtigen, der die neue Wunderwaffe bei sich trägt, was Greer einiges Geschick abverlangt: Erst via Helikopter, dann als lädierter Surrogate jagt er seinen Gegner, der ihm wirklich gefährlich werden könnte. Die zweite, leider manchmal etwas sehr CGI-lastige Szene invertiert das Szenario: Nun muss Greer (in Menschenform) einen wild gewordenen Surrogate aufhalten, der ganz andere Methoden der Fortbewegung und Gegenwehr hat. Auf der Habenseite kann man allerdings verbuchen, dass Mostow mit Übersicht und längeren Einstellungen zu Werke geht anstatt auf das Schnitt-Stakkato und Kameragewusel billiger Bourne-Imitate zu setzen.
Auch die Besetzung stimmt. Bruce Willis hat sichtlich Spaß an der Gegenüberstellung von gelacktem Surrogate und zupackendem Menschen dahinter, bleibt aber seiner Actionstarpersona in beiden Versionen verpflichtet. Tom Greer tritt auch Vorgesetzen und Konzernfuzzis auf die Füße, falls nötig, tritt mit Bauernschläue und dem gelegentlichen coolen Spruch auf, auch wenn man keine Oneliner Marke „Stirb langsam“ oder „Last Boy Scout“ erwarten sollte. Auf ihm lastet dann auch der Film. Denn prominente Namen wie Radha Mitchell, Rosamund Pike und James Cromwell liefern gelungenen Support ab, bleiben aber ganz klar zweite bis dritte Geigen in dem auf seinen Hauptdarsteller zugeschnittenen Film. Akzente setzt allenfalls noch Ving Rhames, die vor allem optischer Natur sind, denn sein Prophet tritt mit Rastalocken auf, während Rhames ansonsten gewohnt gut die ehrfurchtgebietende, etwas düsterer Anführerrolle spielt.

„Surrogates“ wandelt sicher sehr eindeutig auf den Spuren bekannter Vorbilder und lässt in seinen Krimiplot weitaus weniger Aufwand fließen als in seine hoch interessante, ansprechend visualisierte Zukunftsvision. Mit seiner überzeugenden Besetzung und seiner Laufzeit von rund 90 Minuten kann man „Surrogates“ aber als flotten Sci-Fi-Actionthriller mit netten Schauwerten, aber ohne größeren Nährwert ruhig konsumieren. Mit dem Gefühl teilweise verschenkten Potentials muss man dabei allerdings leben.

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