Raylan Givens tauchte als Figur in den Elmore-Leonard-Romanen „Pronto“ und „Riding the Rap“ auf und bekam vom Autor die Kurzgeschichte „Fire in the Hole“, welche Graham Yost wiederum als Basis für die von ihm kreierte Serie „Justified“ nahm.
Der Titel ist Programm, denn es stellt sich die Frage ob die zahlreichen Tötungen von Kriminellen, die U.S. Marshal Raylan Givens (Timothy Olyphant) im Dienst begeht gerechtfertigt sind. Er trägt nicht nur dauernd einen Stetson-Hut, sondern hat auch die Mentalität des Wilden Westens verinnerlicht: Als Raylan einen Drogendealer, dem er 24 Stunden Zeit gegeben hatte aus Miami zu verschwinden, nach Ablauf des Ultimatums im Duell erschießt, wird die Handlung von Zeugen zwar als Notwehr beschrieben, Givens aber dennoch strafversetzt – nach Lexington in Kentucky, in die Nähe des Harlan County, wo er aufwuchs. Der weggeballerte Dealer wird nicht der Letzte sein, der so sein Ende findet, denn dafür hat Raylan die Law-and-Order-Mentalität der Westernhelden und deren Umsetzung mit der Knarre zu sehr verinnerlicht und schließlich wird er von dem Schauspieler verkörpert, der als Sheriff in der Westernserie „Deadwood“ so richtig bekannt wurde.
Eigentlich hatte Raylan seiner Heimat, seinem kriminellen Vater Arlo (Raymond J. Barry), seiner Ex-Frau Winona (Natalia Zea) und anderen alten Bekannten den Rücken gekehrt, doch an seiner neuen Dienststelle kann er Begegnungen mit Vergangenheit, sowohl während der Arbeit als auch privat, nicht vermeiden…
Einer, dem Raylan nicht ausweichen kann, das ist Boyd Crowder (Walton Goggins). Ursprünglich nur als Antagonist des Piloten geplant, kam die Figur bei den Zuschauern so gut an, dass er nicht nur die erste Folge überleben durfte, sondern zur zweitwichtigsten Figur der ganzen Serie avancierte. Anfangs ein Terrorist mit White-Power-Attitüde macht Boyd eine komplexe Entwicklung durch, angefangen mit seinem Beschluss sein Leben zu ändern und zum Priester zu werden, das kriminelle Dasein hinter sich zu lassen und Buße zu tun. Während Raylan sowie der Zuschauer rätseln darf, ob derartige Versprechen ernst gemeint sind, gibt es natürlich noch die widrigen Umstände, die Boyd jederzeit auf die schiefe Bahn zurückbringen könnten, vorausgesetzt, er peilt diese nicht eh schon an. Boyd ist eine faszinierende Figur, charismatisch, bedrohlich, rücksichtlos, aber auf seine ganz eigene Art sympathisch, dass ihm einen Sieg oder gar einen Ausstieg aus dem kriminellen Sumpf gönnen würde.
Damit ist Boyd nicht allein. Raylan ist zwar eine coole Sau, keine Frage, doch sein Image bekommt im Laufe der Serie immer mehr Risse: Sind die privaten Opfer den Erfolg beim Bekämpfen von Verbrechen wert? Wann überschreitet Raylan Grenzen, wenn er Befehle missachtet, das Gesetz biegt und andere benutzt, nur um einen Verbrecher dranzukriegen? Ist er unter der Fassade des knallharten Typen letztendlich vielleicht auch ein Verlierer, so wie viele andere Einwohner Harlans? Da wäre Ava Crowder (Joelle Carter), Boyds Schwägerin, die sich ihres gewalttätigen Gatten mit der Flinte erledigt hat, aber den gewalttätigen Crowder-Clan fürchten muss. Da ist Arlo (Raymond J. Barry), Raylans krimineller Vater, der vor allem durch Abneigung mit seinem Sohn verbunden ist. Da ist der minderbemittelte Kleinkrimelle Dewey Crowe (Damon Herriman), mit der bemerkenswerten Fähigkeit immer wieder auf die Füße zu fallen.
Selbst die Big Player auf beiden Seiten des Gesetzes sind alles andere als eindeutige Gewinner. Raylans Chef Art Mullen (Nick Searcy) weiß ebenso wenig, ob er seinen störrischen Marshal maßregeln oder gewähren lassen, wie auch die Kollegen Tim Gutterson (Jacob Pitts) und Rachel Brooks (Erica Tazel) nicht wissen, ob sie seine Alleingänge bewundern oder verachten sollen. Auf der kriminellen Seite tauchen Personen wie der schwarze Kingpin Ellstin Limehouse (Mykelti Williamson), der in einem Wohnmobil hausende Gangsterboss Wynn Duffy (Jere Burns) und Cousin Johnny (David Meunier), ein weiterer Spross des Crowder-Clans, immer wieder auf, doch auch hier muss jeder tricksen, lügen und betrügen um durchzukommen, keiner erscheint als übermächtiger, alles kontrollierender Supergangster. Tatsächlich sind viele von den großen Bossen, sei es nun Dixie-Mafia-Boss Robert Quales (Neal McDonough), Hillbilly-Clanchefin Mags Bennett (Margo Martindale) oder Daryl Crowe Jr. (Michael Rapaport), Chef des Floridazweigs der Crowe-Verwandtschaft, in erster Linie Antagonisten für den jeweiligen Season-Arc, danach meist aber aus dem Spiel – Macht ist hier vergänglich, am ehesten kommen die durch, die sich durchwieseln können, womit sich „Justified“ mit zunehmendem Verlauf das Verliererballade entpuppt.
Das große Geflecht aus Figuren ist einer der Punkte, die „Justified“ immer komplexer machen. Fängt die erste Season noch eher als Procedural an, gibt Raylan einen Fall der Woche und nur einen weit im Hintergrund stehenden übergreifen Storybogen, so gibt nicht nur jede neue Bedrohung der Folgestaffel ihren Arc, sondern die Geschichten sind miteinander verzahnt, wirken auf das Kräfteverhältnis der (oft familiär verbandelten) Interessengruppen in Harlan ein und auch die Pläne jener Figuren, die noch aus den vorigen Staffeln mit am Start sind. So wird „Justified“ mit jeder Season mehr zum Kaleidoskop des Machtgefüges, in dem auch Raylan nur ein Rädchen ist, wenn auch ein wichtiges, bestrebt das Verbrechen auszumerzen und die zu bestrafen, die er für schuldig hält. Wandelnde Allianzen und Liebesbeziehungen prägen das Bild, ohne dabei jedoch ins Kitschige oder Gewollte abzugleiten – jede Figurenentwicklung macht Sinn, auch wenn manche Figur etwas auf der Strecke bleibt: Gerade Tim und Rachel, zwei beliebte Nebenfiguren, werden fast nur über ihre Arbeit definiert, selten bekommen sie eine Persönlichkeit über den Sidekickstatus hinaus, was schade ist.
Ein komplett nüchternes, realistisches Krimidrama wie „The Wire“ ist „Justified“ dabei nicht, sondern punktet immer wieder mit Actioneinlagen, in denen Raylan in guter alter Westerntradition schneller zieht und besser trifft als seine Gegner, zumindest wenn es zum offenen Duell kommt und keine Massenschießerei, Verfolgungsjagd oder auch ein gelegentlicher, roher Nahkampf angesagt ist. Damit wird „Justified“ nicht zur hauptsächlichen Actionserie, bietet aber auflockernde Schauwerte, die nicht unbedingt realistisch sind, sondern eher in der Tradition des klassischen Actionkinos stehen, in den Profis die Feinde dutzendweise umlegen, doch die Serie schafft es dies nicht als Bruch mit der behutsameren Charakterzeichnung wirken zu lassen, auch wenn diese nicht die Tiefe artverwandter Serien wie „The Shield“ oder „Sons of Anarchy“ erreichen mag, die auf dem gleichen Sender liefen und personelle Überschneidungen mit „Justified“ aufweisen.
Reizvolles Südstaatenflair, knackige Oneliner, gelegentlicher lakonischer Humor und starke Wortgefechte gehören zu den Stärken der Serie, die allerdings etwas braucht um Sog zu entwickeln, gerade durch den Procedural-Charakter der ersten Staffel und die Tatsache, dass immer recht klar ist, dass zumindest der große Bösewicht der jeweiligen Season nur den aktuellen Zwischengegner darstellt, relativ sicher besiegt wird und das Schicksal von weniger großen Playern wie Boyd, Dewey oder Johnny wesentlich weniger vorhersehbar ist. Oft dienen die großen bösen Wölfe eher als Katalysatoren, welche alle Beteiligten, egal ob Gesetzeshüter, Outlaws oder Zivilisten, so richtig anstacheln. Gelegentlich wiederholt sich „Justified“ im Staffelaufbau auch, aber nicht wirklich schlimm. In einer Sache kann die Serie jedoch sehr klar punkten: Ihrem Ende. Gerade die Finalfolge ist ein Beispiel dafür, wie man eine Serie abschließen sollte. Nach einem turbulenten, für diverse Beteiligten tödlichen Auflösen der Verstrickungen verbringt „Justified“ fast die Hälfte seiner letzten Folge damit die Geschichte ausklingen zu lassen. Das trifft tonal den Kern, zeigt die Protagonisten als Leute, die sich durchschlagen, auch Raylan eher als Lebenskünstler denn als großen Helden und der finale Dialog ist ein famoser Abschluss des melancholischem Mix aus Noir-Krimi, modernem Western und Cop-Action.
Dieser Mix lastet auf den starken Schultern von Timothy Olyphant und Walton Goggins, die als Hauptdarsteller die Serie zu tragen wissen: Olyphant als Held mit lakonischer Coolness, in dessen Fassade sich mehr und mehr Risse offenbaren, Goggins als monologisierender, mit großen Gesten arbeitender und doch nie zum Overacting neigender zweiter Protagonist, dessen Schicksal so eng mit dem von Raylan verbunden ist. Stark auch Joelle Carter als Frau, die sich in der Männerwelt herumschlagen muss, während Natalie Zea immer etwas blass bleibt, aber auch den Nebenrollenstatus behält. Ansonsten fallen großartige Nebendarsteller wie Nick Searcy, Jacob Pitts, Erica Tazel, Jere Burns, David Meunier, Raymond J. Barry, Damon Herriman, Kaitlyn Deaver und Mykelti Williamson auf; in mehr oder weniger großen Gastrollen darf man sich auf Margo Martindale, Sam Elliot, Michael Rapaport, Mary Steenburgen, Neal McDonough, Jim Beaver, Ron Eldard, Alicia Witt, Garrett Dillahunt, Jeff Fahey, Dale Dickey, Adam Arkin, William Mapother, Eric Roberts und William Forsythe freuen. Auch Komiker Patton Oswalt passt in einer wiederkehrenden Nebenrolle ins Bild, was für das hervorragende Casting und das damit verbundene Schauspiel passt: Hier gibt es wenige bis gar keine Ausfälle in der Besetzung, stets treffen Darstellerwahl und Performance ins Schwarze.
Insofern mag sich „Justified“ manchmal etwas wiederholen, anfangs noch recht simpel aufgebaut sein, doch nach und nach zieht Graham Yosts Südstaaten-Krimi-Drama mehr und mehr in seinen Bann: Tolle Darstellerleistungen, interessante Charakterstudien der Beteiligten, ein schickes Südstaatenflair und gelegentliche, kompetent inszenierte Actionszenen gehören zu den Stärken von „Justified“, das nicht ganz die Tiefe mancher artverwandter Serie erreichen mag, aber dennoch einen faszinierenden wie nachvollziehbaren Kosmos von Kriminellen, Gesetzeshütern und jenen zwischen den Fronten aufbaut.