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Es gab eine Zeit, da konnte man mit den Filmen des am 26. November 1946 in Cleveland, Ohio, geborenen Mark L. Lester nicht viel falsch machen. Wenn in den Credits sein Name auftauchte, dann war das eine Art Gütesiegel, und man wußte, daß man die damit ausgezeichneten Filme auf keinen Fall verpassen sollte. In dieser Periode entstanden Kracher wie Class of 1984 (Die Klasse von 1984), Firestarter (Der Feuerteufel), Commando (Das Phantom Kommando), Class of 1999 (Die Klasse von 1999), Showdown in Little Tokyo, und Extreme Justice (Extreme Justice - Ein Cop nimmt Rache). 1994/95 drehte Lester dann Night of the Running Man, und es schien, als wollte er noch ein letztes Mal so richtig dolle auf die Kacke hauen, als ob er ahnen würde, daß sein beeindruckender Lauf mit diesem Film enden würde (heutzutage tragen seine wenig bemerkenswerten Filme lustige Titel wie Pterodactyl - Urschrei der Gewalt, Groupie - Sie beschützt die Band oder Poseidon Rex).

Night of the Running Man erzählt die Geschichte des ambitionslos in den Tag hineinlebenden Taxifahrers Jerry Logan (Andrew McCarthy, Weekend at Bernie's), der zur falschen Zeit am falschen Ort ist und in ein Schlamassel stolpert, das ihm Kopf und Kragen kosten könnte. Am Ende des Tages ist seine Karre demoliert, der von ihm beförderte Fahrgast Eric Nichols (Matthew Laurance) liegt tot auf dem Asphalt, und in seinem Besitz befindet sich ein unscheinbarer Koffer. Inhalt des Koffers: eine Million Dollar. Da der Verlust des Geldes für den ehemaligen Besitzer jede Menge Komplikationen nach sich zieht, heftet sich David Eckhart (Scott Glenn, The Silence of the Lambs) an Jerrys Fersen. Eckhart, ein heißer Anwärter auf den Titel "gnadenlosester Killer des Jahres", soll das Geld wiederbeschaffen, Jerry verschwinden lassen und sämtliche Spuren des unangenehmen Vorfalls beseitigen. Also nimmt Jerry die Beine in die Hand und setzt sich ab, aber gegen den gewieften Eckhart und dessen Kumpel Derek Mills (John Glover, Gremlins 2: The New Batch) steht er von Anfang an auf verlorenem Posten.

Die Vorlage zu diesem so schnörkellosen wie garstigen Reißer stammt von Lee Wells, der aus seinem 1981 veröffentlichten Roman gleichen Namens ein stellenweise zwar etwas konstruiert wirkendes aber nichtsdestotrotz starkes und ziemlich cleveres Drehbuch formte. Obwohl die Charaktere nur grob skizziert sind, gelingt es den durch die Bank tollen Schauspielern, sie nicht nur glaubhaft zum Leben zu erwecken, sondern sie auch dem Zuschauer auf einer emotionalen Ebene nahe zu bringen. Mit Jerry und seiner Freundin Chris (Janet Gunn, The Quest) - eine hübsche Krankenschwester, die sich um ihn kümmert, nachdem seine Füße eine Erfahrung gemacht haben, die normalerweise Krebsen vorbehalten ist - fiebert und leidet man mit, wohingegen man das charismatische Killer-Duo, trotz der unheimlichen wenn auch abstoßenden Faszination, welche die von Scott Glenn und John Glover brillant dargestellten Figuren ausstrahlen, bald zu hassen beginnt. Dabei sind Eckhart und Mills höchst unterschiedliche Charaktere; Eckhart ist ein eiskalter, emotionslos handelnder, jedes Risiko sofort eliminierender Bastard, während hinter der freundlichen, kumpelhaften Fassade von Mills ein sadistischer, unberechenbarer Psychopath lauert.

Lester schickt sein Publikum auf eine rasante Reise, die in der schillernden Glücksspielmetropole Las Vegas beginnt und im finsteren Keller eines Wohnhauses in Los Angeles endet. Diese mit vielen, oftmals bösen und sehr unerquicklichen Überraschungen gespickte Reise wird vom Regisseur mit einer atemberaubenden Intensität versehen, sodaß man zartbesaiteten Gemütern diesen ungemein kaltschnäuzigen Streifen auf keinen Fall zumuten sollte. Night of the Running Man ist nicht nur hochspannend und verdammt packend, er ist auch äußerst gewalttätig, wobei die Gewalt niemals cool oder verharmlosend dargestellt wird, sondern sehr häßlich und überaus schmerzhaft. Und manchmal kommen die heftigen Gewalteruptionen aus dem Nichts, schwappen ohne Vorwarnung über den geschockten Zuschauer hinweg. Photographiert wurde der Film von Mark Irwin, der zuvor bei vielen Arbeiten des kanadischen Kultregisseurs David Cronenberg (u. a. The Brood, Scanners, Videodrome, The Dead Zone und The Fly) für die Kamera verantwortlich war, und das Production Design geht auf das Konto von Alfred Sole (Regie u. a. bei Communion aka Alice Sweet Alice sowie Tanya's Island).

An einer Stelle im Film meint Eckhart lakonisch: "You started thinking you were smart, when all you were was lucky." Daß Night of the Running Man ein so gnadenlos guter Reißer geworden ist, hat mit Glück kaum etwas zu tun. Es ist ein Verdienst aller Beteiligten vor und hinter der Kamera, die mit ihrem Engagement, ihrem Talent und ihrer Energie dafür sorgten, daß aus einem recht unoriginellen und uninteressanten Stoff eines der besten und memorabelsten B-Movies der Neunziger wurde.

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