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Nach einem Kurzfilm und der Mitarbeit am Drama „Alle Kinder dieser Welt“ ist „Cracks“ aus dem Jahre 2009 die erste eigenverantwortliche Regiearbeit Jordan Scotts, der Tochter Ridley Scotts. Die aus Sicht einer Lehrerin erzählte Mischung aus Jugend- und Beziehungsdrama basiert auf einem Roman Sheila Kohlers und entstand in britisch-irischer Koproduktion.

Die junge Lehrerin Miss G. (Eva Green, „Die Träumer“) bringt Leben in ein englisches Mädcheninternat in der ersten Hälfte der 1930er-Jahre: Den Literatur-Pflichtstoff erweitert sie nach Schulschluss um moderne Prosa. Sie berichtet von der großen weiten Welt und erzieht die Mädchen zu eigenständigen Persönlichkeiten. Sie übt mit ihnen Schwimmen und Turmspringen – gern auch nachts – und lässt auch ausschweifende Partys durchgehen. Doch die Idylle wird getrübt, als die Spanierin Fiamma (María Valverde, „Die Frau des Anarchisten“) als neue Mitschülerin zum mittlerweile verschworenen Haufen stößt und zum Mobbing-Opfer der eifersüchtigen Mädchen wird…

„Cracks“ ist ein Film der sanften Zwischentöne; man muss schon genauer hinsehen, um ihn – bzw. vielmehr Miss G. – zu durchschauen. Diese ist zwar für ihre Schülerinnen eine geliebte Respektsperson, eine Art Idol, weltgewandt, selbstbewusst und emanzipiert, doch hinter der Fassade verbirgt sich ein unglücklicher, unerfüllter, ja, schwacher Mensch. Was zunächst an „Der Club der toten Dichter“ erinnert, entwickelt sich zu einem Drama für alle drei Parteien: Miss G., Fiamma und die pubertierenden Mitschülerinnen. Der fast permanent eingesetzte, sanfte Klavier- und Streicher-Soundtrack wechselt nach den „erfolgreichen“ Mobbing-Attacken gegen die Spanierin zu zunehmend dramatischeren Klängen, die Bilder wenden sich von schwelgerischer Idylle zu düsterer Eleganz – um sich nach Rückkehr Fiammas wieder von der Sonne durchfluten zu lassen.

Was anschließend, nach ca. 75 Minuten, passiert, ist die entscheidende Wendung der Handlung (Achtung, Spoiler!): Miss G. hegt ein weiterführendes Interesse an Fiamma und versucht, sie zu verführen. Dies und ihr anschließendes Verhalten – sie startet eine Rufmordkampagne gegen Fiamma und tötet sie schließlich durch unterlassene Hilfeleistung – stellt alles infrage, wofür Miss G. zuvor stand bzw. zu stehen schien. Miss G. ist nicht mehr die starke Persönlichkeit, sondern eine Mörderin, die sich an Schutzbefohlenen vergreift. Machte sie ihre Schülerinnen mit moderner Literatur und alkoholschwangeren Partys vertraut, um sie für ihre eigenen Zwecke zu lockern? Schickte sie sie nacktbaden, um sich an ihren entblößten Körpern zu ergötzen? Ist sie eine derart schwache Person, dass sie gar keine andere Möglichkeit sieht, als ihr Glück bei gleichgeschlechtlichen Minderjährigen zu suchen? All diese Fragen drängen sich auf, und darüber hinaus diejenige nach der Intention dieses Films, inwieweit er trotz vorsichtiger Relativierung Miss G.s als Opfer ihrer eigenen Internatslaufbahn evtl. eine fragwürdige Aussage zu streuen versucht. Doch darüber möchte ich an dieser Stelle nicht spekulieren.

Was neben dieser Frage bleibt, sind Eindrücke eines angesichts seiner Thematik etwas arg weich gespülten Films, der stellenweise nur knapp an der Grenze zum Kitsch vorbei schrammt, wenn er seine Idylle errichtet, die er nach 75 Minuten radikal einreißt. Zu den positiven Aspekten gehört zweifelsohne Eva Green in ihrer aus Schönheit, Anmut und Ambivalenz kombinierten Rolle, der zuzusehen ebenso Spaß macht wie den Jungschauspielerinnen, die Natürlichkeit und Spielfreude mitbringen. Lediglich Juno Temple („Wild Child“) mit ihrem irgendwie aufgedunsenen Gesicht wirkt unvorteilhaft und vor allem zu häufig in Szene gesetzt. Unterm Strich bleibt ein ästhetisch gelungenes, dramaturgisch ungewöhnlich leises, aber inhaltlich zweifelhaftes und von vielen Andeutungen lebendes Drama, von dem ich mir etwas mehr versprochen hätte.

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