„Blutige Seide“ genießt in den entsprechenden Kreisen uneingeschränkten Kultstatus. Das hat diese Story über Morde im Modezirkus nicht verdient. Sie ist simpel und hat nur am Ende eine wirklich nette Wendung. Sie ist außerdem sehr mäßig gespielt.
Kultstatus hat allerdings ihre Umsetzung verdient. Bava zeigt mal wieder, was er kann. Er setzt Farbe und Licht grandios ein. Seine Kameraführung ist elegant bis raffiniert (das Beobachten der Handtasche hätte Hitchchock nicht besser hinbekommen können) und zeitweise beklemmend panisch (in dem Antiquitätengeschäft). Bava ist auch nicht zimperlich bei der Art der Morde, ohne sich in Gewaltorgien zu ergehen. Er leitet durch die Verwendung drastischerer Tötungsmethoden ohne diese explizit darzustellen eine wichtige Wendung zum modernen Horrorfilm ein. Hätte er tricktechnisch voll draufgehalten, wäre diese Bewegung wohl im Keim erstickt worden. Der einzige Mord, den er in epischer Breite zelebriert, ist das Ertränken des „Sündenbockes“. Da konnte Bava wohl dem Reiz dieser Aufgabe nicht widerstehen und legt in wenigen Aufnahmen sein ganzes Können dar. Sein Sohn hat das auch mal probiert – naja.
Was man dem Film „Blutige Seide“ auch noch zu Gute halten kann, ist die sehr geglückte Stimmungsumsetzung von „Alle gegen alle“. Hier traut jeder jedem alles zu. Niemand ist unschuldig, sondern alle haben irgendwelche Leichen im Keller. Das bringt nicht nur nette Wendungen in der Geschichte, sondern ist für mich ein wichtiger Keim der späteren Slasherfilme. Nur wenn alle irgendwie nicht ganz koscher sind (Drogen, Sex, Geldnot. Erpressung) kann das Prinzip der Bestrafung greifen. Der Mörder verliert sein normalerweise gebotenes Entsetzen, sondern kann befreit von ethischem Ballast seine Arbeit tun. Erst dadurch wird er spannend. Ohne dieses Prinzip, das Bava hier zum ersten Mal aufzeigt, hätte „Freitag der 13.“ nie funktioniert (auch wenn dort die Schuld bestenfalls moralischer Natur ist).
Es drängt sich der Vergleich von „Blutige Seide“ mit Lambertos „Remake“ auf. Auch wenn normalerweise Lamberto nicht so ein glückliches Händchen wie sein Vater hat, ist ihm doch das Einfangen der Schickimicki-Atmosphäre besser gelungen. Es mag an der Zeit gelegen haben, aber das Mondäne, was der geneigte Zuschauer von der Modewelt erwartet, konnte Bava in „Blutige Seide“ nicht einfangen. So wirkt das Modehaus irgendwie altbacken und provinziell. Kann es ruhig, aber dann glaubt auch niemand, dass es sich lohnt, dafür zu morden. Selbiges gilt auch für das armselige Schatzkästchen am Ende.
Auch wenn die Story nicht die beste ist, sollte man „Blutige Siede“ unbedingt einmal gesehen haben. Allein der innovative Ansatz von Bava ist es wert. Aber der Film ist auch nicht die Offenbarung, als die er zuweilen dargestellt wird. Von mir gibt es 7 Punkte.