Review
von Leimbacher-Mario
Der intellektuelle Vorgänger der Matrix
Deutsches Fernsehen - nicht gerade ein fruchtbarer Boden für tolle Filme, Projekte & Serien. Aber heute wie damals gibt es ein paar hervorragende Ausnahmen, die die Regel wohl aber eher nur bestätigen. Eine dieser großen Werke ist ohne jeden Zweifel das Sci-Fi-Epos "Welt am Draht" von Rainer Werner Fassbinder, welches hierzulande einen viel zu geringen Stellenwert genießt. Von "Inception" über "eXistenz" bis zur "Matrix" - alle haben Schulden bei diesem Film, er war seiner Zeit extrem voraus!
Lange Zeit galt "Welt am Draht" als Mysterium, welches es weder auf Video noch auf DVD gab. Erst mit der mal gerade 5 Jahre alten Restaurierung erstrahlte der Film weltweit in neuem Glanz. Besser spät als nie. Optisch eine verwirrende & hypnotisch entschleunigte Mischung aus "Uhrwerk Orange" & "Blade Runner", mit futuristischen Themen ala Wahrheit/Fiktion, Überwachungsstaaten & künstlichen Welten. Als mehr als dreistündiger TV-Zweiteiler hat die Geschichte zwar definitiv ein paar Längen, was aber das Abtauchen in die faszinierend grau-bunte Neon-Welt nur noch unterstützt. Im Film geht es um einen Mann, der an der Entwicklung einer Computer-Simulation beteiligt ist, die eine komplette Kleinstadt samt Gesellschaft lebensecht imitieren & erschaffen kann. Nach & nach verschwimmen Realität & Cyberwelt, seltsame Morde & Verschwinden geschehen. Was ist echt, was nicht? Wie viele Stufen gibt es? Können wir aufwachen? Wo hört Verrücktsein auf, wo fängt Wahrheit an? Wie weit lohnt es sich, für die Wahrheit zu gehen? Wem kann man trauen, wer spielt dir nur was vor? Liegt die Wahrheit irgendwo da draußen? Oder ganz tief in uns drin?
Obwohl der Film seine Herkunft aus den 70s nicht leugnen kann, wirkt er trotzdem auch heute noch sehr schick. In Zeiten wo retro cooler ist als je zuvor, kein Wunder. Die Darsteller irgendwo zwischen Robotern & Noir-Charaktern machen ihre Sache gut & das ganze Produkt lud Hollywood dazu ein, sich ein paar Scheiben abzuschneiden. Wer sich in einer Welt & einem wegweisenden Film verlieren will, kann das hier, genauso wie die Protagonisten selbst, absolut problemlos. Sagt aber nicht, ich hätte euch nicht gewarnt - Ausweg nicht garantiert! ;) Vielleicht emotional unterkühlt & konträr zu anderen Fassbinder Werken - dafür die Gedanken umso anregender, Diskussionen anfeuernder & Zukunftsvisionen & -ängste schürender. Ein Labyrinth aus Style & Paranoia, welches in Zeiten der undurchsichtigsten & gleichzeitig vernetztesten Welt aller Zeiten nur umso fortschrittlicher & warnender wirkt. Leider fast schon überholt...
Fazit: Fassbinder fast wie Kubrick - und das fürs deutsche Fernsehen... baff!