Review

Oh mein Gott, was habe ich da gesehen?! Kunst!, schreit mein Herz, obwohl mein Verstand weiß, dass hinter alldem mal wieder das Team Mattei/Fragasso steckt, das der Filmwelt einige ihrer haarsträubendsten Momente bescherte. Mattei an sich war ja schon ein Wunder im Körper eines Menschen. Ich finde es schlicht erstaunlich, wie konsequent dieser Mann einige Leitlinien quer durch sein gesamtes Oeuvre ziehen ließ, am dominantesten natürlich den klebrigen Strang, an dem eine Fremdidee nach der nächsten kleben blieb, sodass er letztlich für einen eigenen Film diese stibitzten Einfälle einfach nur noch zusammenwerfen musste, zuweilen auch garniert mit ganzen Szenen, die er freimütig aus Werken herausschnitt und bei sich einfügte, für die er, da bin ich mir sicher, nicht die geringsten Rechte hatte. "Besser schlecht geklaut als gut selbst ausgedacht" ist im Grunde das Motto, das ich über alle mir bisher bekannten Mattei-Filme, mit Verlaub nicht gerade wenig, schreiben würde. Zudem eint sie, dass ich sie fast alle maßlos unterhaltsam finde, gerade weil sie zumeist Flickenteppiche darstellen, die gar nicht erst zu verbergen versuchen, dass ein Großteil der Kreativität ihrer Schöpfer darin bestand, so viele erfolgreichere, bessere Filme in ihnen unterzubringen wie eben möglich.

LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA ist da eine Ausnahme. Behaupte ich zumindest, da mir der 1969 unter der Regie von Eriprando Visconti entstandene LA MONACA DI MONZA noch unbekannt ist. Aber selbst wenn Mattei dort munter geklaut haben sollte: ich kann mir kaum vorstellen, dass das "Original" auch nur ansatzweise das bietet, was einem hier alles entgegenspringt. Meine These: Wäre dieser Film von einem unbekannten Regisseur gedreht worden, der für nur ein, zwei Filme verantwortlich zeichnete, und danach völlig in der Versenkung verschwand, wäre ich sofort bereit, LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA als ein avantgardistisches Meisterwerk in die Annalen der Filmgeschichte einzuschreiben. Nein, kein Scherz: Mattei hat mich im Herzen berührt. Nicht das Herz, das jedes Mal hüpft, wenn in VIRUS die geklaute (was sonst?) Goblin-Melodie aus DAWN OF THE DEAD erklingt, oder wenn die Charaktere in CALIGOLA E MESSALINA in unmotivierte Softsexszenen verfallen, sondern das andere Herz, in dem ich eher solche Dinge wie die Tanzszene aus Godards BANDE À PART oder den unbeschreiblichen Moment, wenn Isabelle Adjani in Zulawskis POSSESSION mit weit aufgerissenen Augen mitten in die Kamera starrt, verwahre.

Meine fünf liebsten Momente in LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA bzw. meine fünf Gründe, weshalb jeder, der den Streifen noch nicht kennt, ihn sich schleunigst anschauen sollte:

1. Der einzige mir offensichtlichen Diebstahl, den Mattei hier begangen hat, offenbart sich gleich zu Beginn, wenn der Film ständig zwischen Zora Kerova alias Virginia De Leyva (angeblich eine historisch verbürgte Figur mit historisch verbürgter Geschichte), die aufgrund einer Familientradition, die nie wirklich klar wird, in ein Nonnenkloster eintritt, und Pferdekopulationsszenen hin und her schneidet, die eindeutig aus Borowczyks LA BÊTE entlehnt wurden. Was genau das alles soll, verrät der Film auch nicht. Eine Idee wäre, dass es einem Giampaolo Osio, ein Lebemann und Wüstling der nahen Stadt, der den Pferden ungeniert und geil beim Akt zuschaut, von Anfang an unsympathisch machen soll. Eine andere, dass Mattei die Pferdeszene einfach mochte und sie unbedingt in seinem Film haben wollte, auch wenn die Story für sie keinen Platz hergibt. Kurz darauf, Virginia kniet noch immer vor dem Altar und empfängt ihre Klosterweihe, torkelt Giampaolo mit verbündeten Saufbrüdern ins Gotteshaus und gebärdet sich wild. Virginia dreht sich um, blickt in seine Richtung. Das Bild gefriert und jetzt erst, nach schätzungsweise sieben Minuten, beginnt der Vorspann mit einem bizarren Musikstück, das allein mir schon eine Gänsehaut einbrachte (so Richtung Mischung aus Fabio Frizzi und gesampelten Nonnenchorälen).

2. LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA ist ein psychedelischer Film par excellence, obwohl eigentlich nur eine einzige (dafür famose) Szene diese Behauptung auf den ersten Blick stützt: Virginia, gegen ihren Willen im Kloster, wird von Sexträumen gepeinigt. Sie sieht sich umringt von ihren Mitschwestern, die grimassieren, züngeln und sie schließlich mit einem Eimer Wasser (!) überschütten. Daraufhin schleicht sie durch das Kloster, begegnet ständig sich selbst in Sexposen mit nackten Männern verschränkt und zu Standbildern gefroren, die sich zu bewegen beginnen, nachdem sie sie eine Weile anstarrte und aus dem Nichts ein Scheinwerferlicht auf sie fällt. Ansonsten bleibt der Film auf dem Boden und frei von derartigen Delirien. Die Delirien leben sich allerdings auf ganz andere Weise aus. Sofort fallen mir Polselli (RITI, MAGIE NERE E SEGRETE ORGE NEL TRECENTO) oder auch Batzella (NUDA PER SATANA) ein, wenn ich erklären sollte, was genau ich meine. Nicht nur dass die Geschichte derart konfus ist, dass es über weite Strecken schwer fällt, ihr überhaupt zu folgen, sie wird auf eine Art umgesetzt, die sie noch zusätzlich verkompliziert. Gerade schnitttechnisch ist der Film eine Pracht. Teilweise ordentlich wirr wechseln Szenen, werden Zeit und Raum außer Kraft gesetzt, wenn man sich als Zuschauer hilflos den unzähligen Storyentwicklungen gegenübersieht, und oftmals nicht weiß, in wessen Kammer die Handlung jetzt gerade anlangte und wie viele Stunden, Wochen, Monate seit der vorherigen Szene vergingen. LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA hat was von einem Rausch, ist ein Film, der wie im Fieber vor sich hinplappert und sich dabei nicht ein bisschen darum schert, ob sein Gestammel Sinn macht oder nicht.

3. Die Charaktere, die Mattei hier versammelt sind selbst für seine Verhältnisse schlicht unfassbar. Neben Giampaolo, der seit dem ersten Blickkontakt mit Virginia von der unstillbaren Begierde erfüllt ist, sie unbedingt entjungfern zu wollen, muss vor allem Franco Garofalo (beliebt wegen seiner Malcolm-Mc-Dowell-Parodie in VIRUS) erwähnt werden, der seinen Saufbruder und Verbündeten spielt - und seines Zeichens auch Beichtvater des Nonnenklosters ist! Wilde Orgien feiern die unlauteren Gesellen mit Nonnen und Prostituierten! Einer der Höhepunkte des Films, bei dem ich Tränen lachte: Pater Arrigone taumelt, noch sturzbesoffen und in einem Ganzkörper-Teufel-Kostüm (mit Gummihörnern!) in die Kirche, fällt in den Beichtstuhl und hört sich das Dilemma Virginias an, die ihm, nicht um seinen Zustand wissend, anvertraut, dass der Satan ständig ihr Fleisch versuche. Geil geworden von ihrem Bekenntnis hält der Priester ihr erst eine lästerliche Rede, um dann wie von Sinnen über sie herzufallen und, noch immer in seinem Teufelchen-Outfit, mitten im Gotteshaus zu schänden. Da fehlen selbst mir die Worte...  

4. Bedenklich wird es bei dem ersten Zusammentreffen von Giampaolo und Virginia. Die nämlich schleppen zwei ihrer Mitschwestern und der Pater in irgendein Gewölbe, wo Giampaolo sie nach allen Regeln der Kunst vergewaltigt. Während des Akts hat jeder seinen Spaß. Eine von Virginias Verbündeten beginnt gar, sich angesichts der Qual ihrer Äbtissin selbst zu befriedigen. Damit jedoch nicht genug. Giampaolo, ein Heuchler vor dem Herrn, sucht die Geschändete am nächsten Tag auf und beteuert ihr, wie sehr er sie liebe und dass er die Vergewaltigung als einzige Möglichkeit gesehen habe, ihr nahe zu sein. Virginia bekommt von ihm einen Dolch gereicht. Sie solle ihn erstechen, falls sie ihm nicht verzeihen könne. Unsre Heldin jedoch wirft sich ihm an den Hals. Getoppt wird der Szeneninhalt einzig durch ihre Inszenierung. Kitschige Musik wie aus einer billigen Seifenopfer ertönt, wenn Giampaolo ihr seine Fake-Liebe gesteht und Virginia sich ihm hingibt, die den Verdacht erweckt, Mattei wolle sich über seinen eigenen Film lustig machen. Was folgt: Virginia verstrickt sich immer mehr in die dunklen Machenschaften von Giampaolo, begreift lange Zeit nicht, wie der Mann, den sie liebt, sie hintergeht, wird schließlich schwanger und muss dies vor den meisten ihrer Mitschwestern verbergen, eine eigentlich klare, einfache Handlung, die der Film aber, wie oben erwähnt, auf eine Art umsetzt, die man gesehen haben sollte.

5. Eine der Machenschaften, in denen Virginia sich alsbald wiederfindet, besteht darin, die ehemalige Mutter Oberin, die ausbüxen wollte, um die Autoritäten über das Treiben in ihrem Kloster in Kenntnis zu setzen, auf den Dachboden zu verbannen. Aus einem Grund, den der Film mir nicht erklärte, wird sie dort über Tage von niemandem aufgesucht, anscheinend sowohl von Skript wie auch den Protagonisten vergessen, sodass Virginia, als sie dann doch mal nachschauen geht, eine Überraschung erwartet: die Äbtissin ist zu einem halb abgenagten Skelett geworden, auf dem Ratten ein Fest feiern, das wohl so etwas wie das Präludium zu THE RIFFS 3 sein sollte. Diese Szene, die einzige übrigens, die man mit dem Horror-Genre in Verbindung bringen könnte, mag schlicht sein, mich hat sie tatsächlich erschrocken. Ich meine, wer außerhalb von Matteis Kopf rechnet damit, dass eine Frau, mag sie noch so krank und alt sein, innerhalb von drei, vier Tagen fast völlig von niedlichen Nagern aufgefressen wird?!
 
Gegen Ende spitzt sich alles zu: die Gewalt, der Sex, die Schlinge um die Hälse der Verbrecher. Im Grunde ist keine Figur in LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA ohne Tadel, alle gebärden sie sich äußerst ambivalent. Nicht mal Virginia, so etwas wie unsre Heldin, wird als solche stilisiert. Gleich zu Beginn akzeptiert sie die Machtmechanismen des Klosters und versucht, die noch amtierende Äbtissin auszubooten bis diese, gezeichnet von Krankheit, ihre Position an sie abtreten muss. Es ist, als wolle Mattei, bewusst oder unbewusst, mit sämtlichen Genre-Regeln des Nunploitation-Films brechen, wirft alles durcheinander, und führt seine Zuschauer in die Irre. Nur rein formal scheint der Film mir etwas mit dem Genre zu tun zu haben, dem er gemeinhin zugeordnet wird. Kritik an der Kirche wird nie geübt. Viel eher könnte man das Werk als Lobpreisung der Institution Kirche verstehen. Das Böse in den Klostermauern wird von außen hereingetragen, indem der Priester und die Nonnen ihm Tür und Tor öffnen. Unschuld gibt es nicht. Am Ende, wenn alle "Helden" ihre mehr oder weniger gerechte Strafe bekommen, wurde die Ordnung der Welt wiederhergestellt. Wo in vielen Nunploitation-Filmen der Witz ja gerade darin besteht, dass vermeintlich Unschuldige zum Opfer von Macht, Ausbeutung und sexueller Unterdrückung werden und schließlich ihren Kopf für Taten hinhalten müssen, die sie nie begingen, verläuft hier alles nach Regeln, die der Film nie hinterfragt, sondern eher noch untermauert, wenn die im Grunde einzig lauteren Figuren ein paar greise Nonnen sind, die dafür sorgen, dass der Chefinquisitor das Kloster besucht und ihrer Äbtissin und ihren Verbündeten das Handwerk legt. Sympathisch ist von denen keiner, und wenn der Pater am Ende noch Zweifel anbringt, ob Gott es so toll fände, wenn er im Priestergewand Straftaten beginge, ist das nur ein weiteres Mattei-Manöver, sein Publikum ungläubig blinzeln zu lassen. Durch die Bank weg sind alle Hauptpersonen des Films keine, die ich auf einen Kaffee einladen würde. Besonders schön setzt Mattei das in Szene, wenn Giampaolo zusammen mit einer weiteren eingeweihten Nonne das totgeborene Kind entsorgt, das Virginia ihm gebar, indem er es ungerührt in einen Fluss wirft, und danach nichts Besseres zu tun hat, als seinen Kummer zwischen den Beinen der Nonne, die ihm ihre Schenkel anbietet, zu ertränken. Ja, LA VERA STORIA DELLA MONACA DI MONZA ist für mich tatsächlich so etwas wie ein kleines Meisterwerk.

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