Review

Ich tue mir immens schwer damit, alle Filme nach denselben Bewertungsmaßstäben zu beurteilen. Das Filmuniversum ist so dermaßen riesig und vielfältig, daß mir das einfach ungerecht erscheint. Und selbst wenn man sich um absolute Objektivität bemühen würde, so wäre dieses Vorhaben aufgrund persönlicher Präferenzen sowieso zum Scheitern verdammt. Ziehen wir als Beispiel nur einmal das Budget heran. Auf der einen Seite hochwertig produzierte Big-Budget-Spektakel wie Raiders of the Lost Ark (1981), Titanic (1997) oder Avengers: Infinity War (2018), auf der anderen mühsam realisierte No-Budget-Wunder wie Carnival of Souls (1962), Bad Taste (1987), oder The Good Sisters (2009). Würde man all diese Filme über einen Kamm scheren, dann wäre das in etwa so, als würden bei der Weltmeisterschaft im Rennfahren durchtrainierte Formel-1-Fahrer mit ihren High-Tech-Boliden gegen korpulente Hobby-Go-Kart-Fahrer mit ihren selbst gebauten Seifenkisten antreten.

Und das ist einer der Gründe, weshalb Filme wie Addicted to Murder von mir eine höhere Bewertung erhalten als die zwei, drei Gnadenpunkte, die ihnen rein objektiv zustehen würden. Natürlich lasse ich auch diverse andere Aspekte in mein Gesamturteil mit einfließen, wie z. B. die technische Umsetzung, das Schauspiel, die Figurenzeichnung, die emotionale Komponente und dergleichen mehr, aber diese Punkte fallen hier weit weniger stark ins Gewicht als bei professionellen Produktionen. Als eine Art Ausgleich versuche ich dafür, die Ambition, die Leidenschaft und die Kreativität zu berücksichtigen, mit der die jeweiligen Filmemacher ihr Projekt verwirklicht haben. Addicted to Murder ist Kevin J. Lindenmuths zweiter Spielfilm. Bereits im zarten Alter von zehn Jahren unternahm der 1965 geborene DIY-Horrorfilmer erste Gehversuche mit seiner Super-8-Kamera, doch erst viele Jahre später machte er mit Vampires and Other Stereotypes (1994) sein erstes Werk einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich.

Im Laufe der Jahre folgten weitere Filme (Rage of the Werewolf) sowie diverse Anthologien (Alien Agenda: Out of the Darkness; GoreGoyles: First Cut) in Kooperation mit Kollegen, bevor er sich vom Genre abwandte und Dokumentation fürs Fernsehen, z. B. I'm Not Nuts: Living with Food Allergies oder The Life of Death, drehte. Neben Vampires and Other Stereotypes ist Addicted to Murder der Film, der ihn bekannt machte, nicht nur, weil einschlägige Genrezeitschriften wie Fangoria oder Cinefantastique darüber berichteten, sondern auch, weil die Filme auf Videokassette dank Mail-Order einfach zu beziehen waren. Addicted to Murder schaffte es dank Manic Entertainment sogar nach Deutschland, wo der Streifen ungeprüft und ungekürzt auf VHS veröffentlicht wurde. Manic Entertainment brachten damals hierzulande unter anderem auch Tim Ritters Killing Spree, Leif Jonkers Darkness und Massimo F. Lavagninis und Brigida Costas Sick-o-pathics heraus. Den Fan hat das gefreut.

Doch zurück zu Addicted to Murder. Erzählt wird die Geschichte von Joel Winter (Mick McCleery), der einst in seiner Kindheit die Vampirin Rachel (Laura McLauchlin) beim Dinner im Wald überrascht hatte. Mittlerweile erwachsen und geschieden - die Ehe mit Kathy (Bernadette Pauley) hielt nicht lange - lebt Joel in New York City und ist mit Rachel zusammen. Ihre Beziehung ist allerdings, vorsichtig formuliert, etwas speziell, da die unsterbliche Blutsaugerin darauf abfährt, daß Joel ihren Körper gelegentlich mit Messer und Kettensäge penetriert. Als sie seiner überdrüssig wird und ihn verläßt, trifft Joel in einem Nachtclub auf Angie (Sasha Graham), ebenfalls eine Vampirin. Auch mit ihr ist es nicht wirklich einfach, ist sie doch davon überzeugt, daß er ein geborener Jäger ist. Unaufhörlich drängt sie ihn, seiner Mordlust freien Lauf zu lassen und auf die Jagd zu gehen. Und tatsächlich wird New York von einem Serienmörder heimgesucht, der sich ein Opfer nach dem anderen holt, ohne Spuren zu hinterlassen.

Die Handlung ist komplex, bisweilen überfrachtet und verworren, nicht nur in Bezug auf die verschachtelte Erzählweise (die Geschichte wird immer wieder durch Interviewschnipsel unterbrochen, in denen über den Killer debattiert wird), sondern auch in Hinblick auf die Beziehung der Figuren untereinander. Eine positiv besetzte Hauptfigur gibt es hier nicht. Joel ist ein wortkarger Eigenbrötler, ein mörderischer Creep, in dem es so stark brodelt, daß man das Gefühl hat, er könnte jeden Moment explodieren. Rachel nutzt Joel für ihre masochistischen Spielchen aus, da sich ein Teil von ihr danach sehnt, wieder menschlich zu sein. Und Angie ist eine manipulative Bitch, die alles versucht, um Joel ihren Willen aufzuzwingen. Keiner der drei ist sympathisch, aber es sind zumindest interessant gezeichnete Charaktere abseits der üblichen Klischees. Leider läuft das Geschehen sehr distanziert und emotionslos ab; dem Zuschauer ist es deshalb ziemlich egal, was mit den Figuren passiert.

Die vielleicht größte Schwachstelle des Filmes ist Mick McCleery als Joel, der im Zentrum steht und um den sich alles dreht. McCleery agiert zwar nicht schlecht, bleibt aber aufgrund seiner schauspielerischen Limitierung hölzern und wenig glaubhaft. Und ein wenig Charisma hätte ihm bestimmt auch ganz gutgetan. Mit Charisma haben Laura McLauchlin (Twisted Tales) und Sasha Graham (Polymorph) hingegen keine Probleme. Die Ladies spielen nicht nur passabel, sie sind auch hübsch und haben eine angenehme Ausstrahlung, wodurch sie die Blicke spielerisch auf sich ziehen. Star der Show ist zweifellos Graham, die mit ihrer launigen Performance den Film gehörig aufwertet. Ein weiterer Pluspunkt ist Lindenmuths recht originelle Herangehensweise, indem er den (entstaubten) Vampirmythos mit Serienmördermotiven kreuzt und dem Ganzen dadurch neue Seiten abgewinnt. Auch der Schauplatz, der Moloch New York City, gibt einen hübsch stimmigen Hintergrund für das Geschehen ab.

Positiv hervorzuheben ist natürlich, daß Lindenmuth nicht bloß die Gore-Schiene fährt, was Addicted to Murder einige Stufen über die meist strunzdoofen Wald-und-Wiesen-Splatter-Stümpereien hebt. Klar geizt der Streifen nicht mit blutigen Effekten (die, by the way, sogar recht gut umgesetzt wurden), aber überraschenderweise wirken diese Szenen niemals selbstzweckhaft, sondern stehen stets im Dienst der Geschichte, die Lindenmuth - wie auch die Figuren - sehr ernst nimmt. Der Film hat einen coolen, stylischen Look (einige Szenen sind ganz wunderbar ausgeleuchtet, andere in Schwarzweiß), und auch der starke Score trägt das seine zum gelungenen Gesamtbild bei. Im technischen Bereich (Kamera, Ton, Schnitt) gibt es die gewohnten Defizite, wie sie bei mikrobudgetierten SOV-Indie-Filmen immer wieder auftreten. Aber genau das macht ja einen großen Teil des Reizes aus, den diese Underground-Movies ausüben. Die Ecken und Kanten, Ritzen und Erhöhungen, der rauhe Ton, die Ungeschliffenheit, die ungeschlachte Rohheit.

Man kann über diesen Film sagen, was man will, aber eines läßt sich wohl kaum abstreiten. Er ist das Werk eines engagierten Filmemachers, der seine eigen(willig)e Vision auf Video gebannt hat, ohne Kompromisse einzugehen, ohne Zugeständnisse zu machen, ohne es irgendwem - abgesehen von sich selbst - recht machen zu wollen. Und auch wenn es das Ergebnis leider nicht geschafft hat, mich auf emotionaler Ebene zu erreichen, so nötigt es mir doch Respekt und Bewunderung ab. Drei Jahre nach diesem so verschrobenen wie faszinierenden Großstadt-Vampir-Flick folgte mit Addicted to Murder 2 - Tainted Blood (1998) ein Sequel/Prequel, bevor Lindenmuth die Trilogie schließlich mit Addicted to Murder 3 - Blood Lust (2000) abschloß. Falls jetzt noch jemand wissen will, wie es ist, solcherart Projekte auf die Beine zu stellen und zu stemmen, der kann sich mit Lindenmuths Buch How to Make Movies: Low-Budget/No-Budget Indie Experts Tell All dahingehend schlau machen.

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