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"Lost Heaven" ist ein ziemlich ungewöhnlicher Film. Man kann ihn als sogenannten "Coming-of-Age-"Film einstufen. Im Grunde geht es um die bekannten Probleme des Erwachsenwerdens: Ärger mit den Lehrern, der Schule, der Familie. Es geht um die erste Liebe, um Freundschaft, Loyalität und um das Entfliehen aus der Wirklichkeit, der harten Realität, indem man sich Traumwelten erschafft.

Unsere Jungs entfliehen der Realität, indem sie sich ihre Alter-Egos erschaffen. Als Superhelden sind sie die Beschützer der Welt, kämpfen für Recht und Ordnung, beschützen die Schwachen, und sich selbst. Wer hat sich nicht schon mal seine eigene Welt erträumt, in der er selbst die Regeln bestimmt, immer zu den Siegern gehört und am Ende das Mädchen abbekommt!? Genauso machen es die vier Jungs in diesem Film.
Francis ist ein relativ bodenständiger junger Kerl, der Feuer und Flamme für seine hübsche Mitschülerin Margie ist. Zu seinem besten Kumpel Tim pflegt er eine innige, auf tiefem Vertrauen aufgebaute Freundschaft. Die beiden machen jeden Spaß gemeinsam, üben Streiche aus, rauchen, trinken, begeben sich bei Mutproben in Gefahr. Und sie denken sich einen Comic aus: die Altar Boys! Während Francis ein halbwegs missverstandenes Familienleben sein Eigen nennt, ergeht es Tim da schon weitaus schlechter. Er kommt aus einem zerrütteten Elternhaus, indem er so etwas wie Liebe und Geborgenheit nie richtig kennen gelernt hat. Dies bekommt er eigentlich nur durch Francis, den gemeinsamen Unternehmungen und dem Comic.
Selbst als Margie hinzu kommt und Francis mit ihr eher in der Realität leben möchte, überschattet dies die Freundschaft der beiden Jungen nicht lange.

Der Film zieht im Grunde seine Stärke aus den beiden Hauptfiguren des Francis und Tims. Er behandelt heikle Themen wie z. B. sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung in der Familie aber auch illegale Streiche sehr sensibel und weitestgehend kitschfrei. Das es an katholischen Schulen, gerade in den 50er, 60er oder 70er Jahren, teilweise relativ hart zugegangen sein muss ist auch ein Thema, mit dem sich der Streifen befasst. Schwester Assumpta möchte eigentlich nur das Beste für die Kids, wird aber durch ihre Strenge zum erklärten Feindbild der nach Freiheit strebenden Jugendlichen. Auch Vater Casey hat, trotz allerlei scheinheiligen Bekundungen, nicht wirklich Interesse oder auch ein Gehör für die Probleme der Jugendlichen. Sie bleiben sich selbst überlassen.

All das wird unheimlich gut von den Schauspielern verkörpert. Emile Hirsch spielt den verliebten Francis überzeugend, und gerade in den gemeinsamen Szenen mit Jena Malone (Margie) blüht er in seiner Rolle förmlich auf. Jodie Foster als die "böse Nonne" liefert eine solide Vorstellung ab, jedoch scheint sie ein bisschen unterfordert zu sein. Das Gleiche gilt für Vincent D'Onofrio als Vater Casey, sind doch beide Vollblutmimen, die sich garantiert etwas mehr Anspruch an ihre Rollen gewünscht hätten.
Aber die beste Vorstellung liefert eindeutig Kieran Culkin, der jüngere Bruder von Macauley Culkin, ab! Er verleiht der Figur des Tim diese leichte Tragik, die sie, trotz der Energie, die ihr innewohnt, umgibt. Obwohl man es auf den ersten Blick nicht sieht, strebt Tim nach Anerkennung, nach Liebe und nach Geborgenheit. Die Flucht in die Comicwelt, gemeinsam mit seinen Freunden, ist für ihn das Größte. Umso verständlicher und auch tragischer ist seine Entscheidung, nachdem Schwester Assumpta, ihnen, nein ihm selbst seinen Traum gestohlen hat, es ihr unbarmherzig heimzuzahlen. All das bringt Kieran Culkin glaubhaft rüber.

Kommen wir zur Überraschung und gleichzeitig auch der Schwäche des Filmes. Er wird gelegentlich von echten Comic-Sequenzen, in denen die vier gegen die "böse Nonne" als Superhelden antreten, unterbrochen. Diese Szenen wurden von Todd McFarlane, dem Schöpfer von "Spawn", gezeichnet und sind handwerklich umwerfend gut gelungen, keine Frage. Interessant an diesen Comic-Szenen ist auch, dass reale Veränderungen mit einfließen, so z. B. als Francis mit Margie zusammenkommt, nimmt sie eine zentrale Rolle im Comic ein. Francis möchte sie erretten aus ihrer persönlichen Hölle. Oder als sich Wade und Joey verabschieden, werden sie aus dem Comic "ausradiert". Ja, auch die phantastische Comicwelt fordert ihre Opfer, nicht nur die Realität.
Diese Aspekte sind interessant und gut eingearbeitet worden, jedoch stören mich persönlich die erwähnten Comiceinspielungen ein wenig. Die "übertriebenen" Comicschlachten, gegen eine motorradfahrende Nonne und ihren Gehilfen, passen nur bedingt zu diesem Drama. Da hat mich die gelegentlich visualisierte Phantasiewelt der beiden Mädchen in "Heavenly Creatures" weitaus weniger gestört. Das passte irgendwie besser.

Nun denn, so bleibt zum Schluß zu sagen, dass Peter Care ein teilweise ungewöhnliches Jugenddrama gelungen ist, welches ziemlich gut unterhält, sich aber dann doch das eine oder andere Klischee leistet und mit gut gemachten, jedoch oftmals leider etwas unpassenden Comic-Passagen überrascht.
Keine Offenbarung, trotzdem bietet "Lost Heaven" Denkanstöße zum Interpretieren, gute Schauspieler und eine etwas ungewöhnliche Herangehensweise an die sogenannten Alltagsprobleme. Einen Blick sollte und darf man sehr gerne riskieren!

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