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Aus der heutigen Sicht fällt es manchmal schwer, die in den 60er und 70er Jahren häufig gedrehten französischen Kriminalfilme zu unterscheiden. Dadurch das meist die selben Hauptdarsteller mitwirkten - Alain Delon, Lino Ventura, Jean-Paul Belmondo oder Jean Gabin waren damals die großen männlichen Stars in Frankreich - verschwinden in der Erinnerung die Grenzen zwischen den einzelnen Werken und der Blick auf besonders herausragende Leistungen geht verloren.

Dazu orientiert sich die Praxis der DVD-Veröffentlichungen auch nicht an tatsächlichen Qualitäten, weshalb ein Film wie "Der Clan der Sizilianer" in deutscher Synchronisation schon zu bekommen ist, während die Meisterwerke von Jean-Pierre Melville aus der selben Zeit nur in Originalfassung erhältlich sind. Doch gerade deshalb ist die Analyse eines Werkes wie der "Clan der Sizilianer" sehr interessant, da man hier erkennen kann, was dem Film im Vergleich zu den Meisterwerken des Genres fehlt.

Henri Verneuils Film gliedert sich zeitlich zwischen zwei Meilensteinen des französischen Kinos ein und setzt auch vordergründig auf die selbe Karte. 1967 war "Die Abenteurer" erschienen, ein Film ,in dem Alain Delon und Lino Ventura zum ersten Mal gemeinsam drehten. Während sie hier Freunde waren, sind sie in "Der Clan der Sizilianer" Gegenspieler. Zu Beginn findet eine Vernehmung des Einbrechers und Polizistenmörders Roger Sartet (Delon) statt, an der kurz Kommissar Le Goff (Ventura) teilnimmt. Dieser bleibt angesichts des Verbrechers ganz ruhig, da er sich in der Gewissheit fühlt, daß es diesem sowieso bald an den Kragen geht. Doch er täuscht sich, denn Sartet wird während eines Gefangenentransportes befreit und es kommt zu keiner weiteren Begegnung der beiden Protagonisten.

Eine tatsächliche Auseinandersetzung zwischen den beiden Darstellern findet im Film nicht statt , nicht einmal in emotionaler Form, da Le Goff bei seiner Polizeijagd immer sachlich bleibt und der Kommissar für Sartet auch nur irgendein Polizist ist, dem er entkommen muß. Verneuil verzichtet hier auf Psychologisierungen, die eine besondere Verbindung zwischen Jäger und Gejagtem verdeutlichen würden. Allerdings hat das auch zur Folge ,daß Lino Venturas Polizistenrolle insgesamt sehr oberflächlich angelegt ist. Verneuil verläßt sich auf Venturas Charisma, da dieser noch der profansten Rolle Leben einhauchen kann. Das funktioniert so weit, daß die Dialoge zwischen ihm und Jean Gabin zu den besten Momenten des Films zählen, aber als Gesamtfigur bleibt der Kommissar wenig pointiert.

Ähnlich verhält es sich auch bei der Verbindung Alain Delon zu Jean Gabin. Jean Gabin spielt das aus Sizilien stammende Familienoberhaupt Vittorio Manalese, dessen Familienmitglieder Sartet befreiten. Es war ein Auftrag, für den sie von Sartets Schwester bezahlt wurden. Doch Sartet will weiter mit der Familie zusammenarbeiten, da er Pläne für ein großes Ding erhalten hat, daß er mit den Manaleses durchführen will.

Delon hatte im Jahr 1967 die Hauptrolle in Melvilles "Der eiskalte Engel" gespielt und damit eine völlig neue Stilisierung des Auftragkillers geschaffen, doch seine Rolle in "Der Clan der Sizilianer" ist eine merkwürdige Mischung aus dieser Rolle und der Rolle des Draufgängers in "Die Abenteurer". Einerseits wirkt er hier beherrscht und kühl, andererseits begibt er sich unnötig in Gefahr, um endlich mal wieder Sex zu haben. Man könnte Verneuils Ansatz auch als menschlicher oder normaler ansehen, aber stattdessen wirkt Sartet unausgegoren und charakterlich oberflächlich - Einsamkeit, innere leere, Fatalismus sind ihm ebenso fremd wie Lebensfreude und Wagemut, alles wird nur angedeutet. Selbst eine kurze Affäre mit einer verheirateten Frau versprüht keinerlei heftige Emotionen. Auch hier verläßt sich Verneuil zu sehr auf den Schauspieler Alain Delon und vernachlässigt das Drehbuch.

Auf Grund dessen unzuverlässigen Charakters, schließt Malanese Sartet aus seinen weiteren Planungen aus, so daß Alain Delon im Mittelteil des Films kaum zu sehen ist. Auch zwischen Gabin und Delon kommt es deshalb - bis auf den abschließenden Showdown - zu keinerlei echten Berührungspunkten. Die Familie der Malaneses in die Nähe der Mafia zu rücken, was ja der Titel andeutet, ist ebenfalls übertrieben. Jean Gabin wird hier eindeutig als Sympathiefigur gezeigt, die nie die Beherrschung verliert und auch weiß, wann sie verloren hat. Mafiöse Verbindungen gibt es nur zu einem alten Bekannten in den USA, der ihn bei dem großen Coup unterstützt, aber seine Familie selbst ist eine sympathische Gaunerbande von überschaubarer Größe mit einer bürgerlichen Fassade, die Gewalttaten vermeidet. Die Begegnungen zwischen Gabin und Ventura bleiben deshalb auch immer professionell freundlich.

Verneuils Film ist keineswegs schlecht und als Unterhaltungsfilm sicherlich deutlich zugänglicher als Melvilles Meisterwerke "Der eiskalte Engel" und "Vier im roten Kreis". Die Handlungsstränge werden abwechlungsreich erzählt und optisch gefällig umgesetzt. Doch auf Grund der mangelnden charakterlichen Tiefe der Hauptpersonen und der fehlenden echten Konflikte zwischen den Protagonisten, entsteht nie eine wirkliche Spannung. Einzig die Identifikation mit Jean Gabin erzeugt insofern Spannung, daß man bei seinen Aktionen mitfiebert.

Fazit : Äußerlich kommt der "Clan der Sizilianer" mit seinem Aufgebot an Stars groß daher und Verneuil erzählt auch eine aufwändige Geschichte um Gefängnisausbruch, Polizeiverfolgung und einem großen Coup, für den sogar ein Flugzeug entführt werden muß.

Letztlich bleibt "Der Clan der Sizilianer" ein ordentlicher Kriminalfilm, dem die Emotionen, die tragischen Einblicke in die menschliche Seele und die überragenden stilisierten Bilder fehlen. Aber auch aus heutiger Sicht handelt es sich immer noch um einen sehr gut gespielten,unterhaltender Film mit einer modernen Optik , der aber nicht an die Meisterwerke des Genres herankommt (7/10).

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