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Für Kinder funktioniert das Eintauchen in fantastische Welten meistens dann am besten, wenn sie sich die äußeren Rahmenbedingungen kreativ zusammenbasteln: Das Baumhaus als Schaltzentrale der Waldabenteurer, das Iglu als Schutz vor gefährlichen Schneemonstern oder auch die Wolldecke zwischen Fernsehsessel und Wohnzimmertisch gespannt, um die Familie der Stofftiere vom Zugriff der Erwachsenen fernzuhalten.
„Wo die wilden Kerle wohnen“ nimmt die Weltanschauung eines achtjährigen Rebellen durchaus ernst und phasenweise wirkt das Abenteuer fast befreiend, doch am Ende mangelt es der Geschichte an Ecken und Kanten, während die melancholischen, manchmal gar depressiven Untertöne des Streifens definitiv nicht für Kinder unter acht Jahren geeignet sind.

Max (Max Records) lebt in einer dysfunktionalen Familie und hadert mit dem Zustand zu geringer Beachtung. Seine Mutter verbringt entweder viel Zeit mit ihrer Arbeit oder dem neuen Freund, während die Freunde seiner älteren Schwester im Spiel sein Iglu zerstören.
Eines Abends reißt er von Zuhause aus und landet im Fantasiereich einer exotischen Insel, wo die wilden Kerle wohnen…

…welche Max nach einigen Überlegungen zu ihrem neuen König krönen. Doch auch im Reich der gefiederten und pelzigen Zeitgenossen gibt es Problemfälle und Max muss bald erkennen, was Verantwortung, Zusammenleben und das Einhalten von Grenzen bedeutet.

Regisseur Spike Jonze scheinen die Kostüme, die aus Jim Henson´s Creature Shop stammen, stark inspiriert zu haben, denn phasenweise kommt ein Charme zwischen „Muppets“ und „Fraggles“ auf. Zudem wird mit viel Hingabe an die kauzigen Inselbewohner herangegangen, - mit charakteristischen Feinheiten, die den „realen“ Menschen in Max´ Umfeld leider deutlich fehlen.
In der Welt der trollartigen Wesen zwischen Ziegenbock, Eulen und Stier, findet Max im einstigen Häuptling Carol seinen Verbündeten, da sich die beiden in einigen Verhaltensweisen recht ähnlich sind, vor allem die zeitweilige Zerstörungswut beider sticht sogleich ins Auge.
Auch die übrigen Inselbewohner stellen einen sympathischen Haufen mannigfaltiger Persönlichkeiten dar, so dass die meisten Individuen vor allem von den jüngeren Zuschauern problemlos ins Herz geschlossen werden dürften.

Leider arbeitet Jonze die ohnehin spärliche Geschichte ohne sonderliche Finesse oder markante Szenen ab. Zweifelsohne sieht der herbstlich goldene Wald fantastisch aus, die am Computer nachbearbeitete Mimik der etwa zwei Meter großen Fabelwesen ist durch und durch nuanciert und besonders der stimmungsvolle Score übt einen starken Einfluss auf einige Schlüsselszenen aus.
Doch von der Erzählung an sich nimmt man primär das unbedarfte Kindsein, das Herumtollen, Schreien und Kaputtmachen in Form scheinbar grenzenloser Freiheit mit, jedoch kaum Botschaften, die am Ende mehr vermitteln, als dass man überall Verantwortung für sein Handeln übernehmen muss.

Im kritischeren Sinne könnte man dem Verlauf sogar mangelnde Reflexion vorwerfen, denn lange Zeit tollen, schubsen und verprügeln sich die Raufbolde ohne den Hauch einer negativen Konsequenz und erst am Ende muss Max erkennen, dass selbst grenzenloser Spaß innerhalb einer Fantasiewelt sanktioniert wird, wodurch das Unbeschwerte zu Beginn einen leicht fahlen Beigeschmack erhält.

Demnach ist der Streifen als Familienfilm auch eher zu schwermütig, doch auf der Habenseite dürfte den Jüngeren das ungestüme Herumtoben auf der Insel eine Menge Freude bereiten, während die Erwachsenen mit den sorgfältig herausgearbeiteten Figuren, den teilweise malerisch in Szene gesetzten Kulissen und den fast altbacken wirkenden Effekten ein wenig Nostalgie vermittelt bekommen könnten.
6 von 10

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