Unterernährte, hilflose Außerirdische vegetieren ohne jede Leitung in ihrem Mutterschiff über Johannesburg dahin. Knapp 2 Jahrzehnte werden die Aliens von der Regierung, die jeden Image-schädlichen Fehler vermeiden will, in einem Sperrbezirk untergebracht: fernab von den Menschen - die sich bedroht fühlen, weil unterschiedliche soziale Konzepte in Verbindung mit Vorverurteilung & Abneigung ein bisweilen aggressives Ausrasten der Außerirdischen zur Folge haben! - und unter der Aufsicht des Konzerns MNU, der in erster Linie am Waffensystem der Aliens interessiert ist. Wikus van der Merve, ein kompetenter, vordergründig freundlicher, selbstsüchtiger & etwas unsicherer Feigling, leitet fernab moralischer Hemmschwellen [Achtung: Spoiler!] eine Übersiedelung der Aliens aus dem District 9: tatsächlich werden jedoch die Aliens von MNU als Versuchsmaterial für Experimente verwendet, die überdeutlich an die Menschenexperimente in deutschen & japanischen KZs des 2. Weltkriegs erinnern und Erkenntnisse über ihr - mit dem jeweiligen außerirdischen Träger biotechnologisch verbundenes - Waffensystem liefern sollen.
Bald schon infiziert sich Wikus mit einer Flüssigkeit, die ihn - Cronenbergs "The Fly" (1986) steht Pate! - nach und nach in ein Alien verwandelt. Sein Schwiegervater und Vorgesetzter macht nun eiskalt Jagd auf ihn, um ihn als willkommenes Forschungsobjekt zu missbrauchen. Wikus flieht und schlägt sich notgedrungen mit einem der Aliens in District 9 zusammen, um diesem die Heimreise zu ermöglichen und zugleich den eigenen Mutationsprozess zu stoppen. In diesem Gefecht, das einen großen Teil des Films ausfüllt, wandelt sich Wikus dann auch allmählich - Stanley Kramers "The Defiant Ones" (1958) lässt grüßen! - zum Freund des Aliens, welcher sogar sein Leben daran setzt, wenigstens dem neuen Verbündeten noch helfen zu können... und verwandelt sich dann am Schluss des Films vollends in eines der Aliens.
Die Moral der Geschichte folgt dabei zwei längst klassischen Mustern des kommerziellen Spielfilms: zum einem dem bereits genannten "The Defiant Ones"-Prinzip, welches gegensätzliche, eher feindselig gegenübergestellte, von Vorurteilen durchtränkte Protagonisten aneinanderschweißt (durch Fesseln & Schellen, oder bloß durch deckungsgleiche Motivationen); zum anderem der Gesellschaftskritik einiger Science Fiction Filme der 50er Jahre, welche xenophobe Ängste & Befürchtungen anhand von Aliens durchspielten; der Klassiker schlechthin ist in dieser Hinsicht wohl Jack Arnolds "It Came From Outer Space" (1953) gewesen.
Auffällig bei der zweiten Sparte ist der Umstand, dass gegenwärtige Probleme anhand von rein fiktiven Figurenkonstellationen thematisiert werden: Jack Arnolds Konzept ist problemlos als eine Reaktion auf die McCarthy-Ära lesbar und hätte ohne wunderbaren Hintergrund keinesfalls problemlos ausformuliert werden können. Im nicht-realistischen Kontext konnten schon immer Tabus inszeniert werden: das Tabu der sexuellen Perversion in den Geister- & Vampirstoffen der Literatur des frühen 19. Jahrhunderts ist sicherlich eines der prominentesten Beispiele für eine phantastische Verschleierung des insgeheimen Rührens am Tabu.
"District 9" mutet vor diesem Hintergrund seltsam an, denn hier wird die rein fiktive Geschichte rassistischer Vorurteile gegenüber Außeriridischer explizit in einen realistischen Rahmen gebettet, während zuvor der realistische Rahmen eigentlich immer bloß durch die wunderbaren Elemente suggeriert, aber nie direkt angesprochen worden ist.
"District 9" kehrt seine angestrebte Gesellschaftskritik überdeutlich hervor: Folgen der Apartheid unter den Briten, aber auch medizinische Experimente in deutschen und japanischen KZs finden sich in variierter Form wieder, ausgeübt an dahinvegetierenden Aliens, die (mal ängstlich, mal - weil in die Enge gedrängt - aggressiv) zahlreichen Übergriffen durch den Menschen ausgesetzt sind. Der gemeinsame Nenner dieser aggressiven Ablehnung, Bevormundung und der kalkulierten Vernichtung mit zeitlich wie räumlich verschiedenen historischen "Vorbildern" fällt dann denkbar breit gehalten aus: Das Fremde erscheint dem Menschen immer minderwertiger als das Eigene. Gekoppelt wird diese Aussage an die Geschichte eines aus einer Zweckgemeinschaft entstandenen Kennenlernens, mit welchem mehr und mehr auch Toleranz bis Akzeptanz einhergeht - hier bleibt der Film durchgängig s/w: böse, feindselige Menschen auf der einen Seite, auf der anderen Seite angefeindete, vergewaltigte Aliens; in welches sich dann auch der Protagonist - parallel zu seinem moralischen Wandel - wandelt.
Das Ganze wird dann aber in einem realistischen Umfeld angesiedelt, an welchem Ursachen & Auswirkungen von Rassismus selbst durchgespielt werden könnten - freilich mit einer weniger breit formulierbaren Einsicht, dafür mit mehr Realitätsbezug: denn den Ort des Geschehens gibt Südafrika, dessen Kolonialisierung durch die Niederlande über den Protagonisten van der Werve sehr direkt ins Gedächtnis gerufen wird. Dargestellt werden dann auch etliche Missstände: etwa der Aberglauben, der bisweilen zu moralisch verwerflichen Übergriffen auf die Unversehrtheit Anderer führt, oder das erhöhte Maß an Kriminalität. (Hier ist zudem der Vorwurf des Stereotyps nicht gänzlich unangebracht.) Doch die Darstellung begnügt sich in der bloßen Abbildung: eine Analyse der Gegebenheiten wird hingegen nicht vorgenommen, gleichwohl hier sehr konkret Auswirkungen von Rassismus verhandelbar wären, spielt doch hier auch die Güterverteilung zwischen Schwarz und Weiß hinein. Die Realität wird in "District 9" nicht bloß über das phantastische Element durchleuchtet, sondern sie ist selbst ausdrücklich ein zusätzlicher Bestandteil des Films. Dass dies nicht Mehrwert, sondern Unausgewogenheit des Films ist, lässt sich daran festmachen, dass die Analyse der Realität ausbleibt und dass darüber hinaus die Schilderung der Realität von Stereotypen durchdrungen ist, während das phantastische Element eine sehr breit & unkonkret formulierte Gesellschaftskritik liefert, die von einer naiven s/w-Malerei gezeichnet ist. Eine Kritik, die zudem (höchst populär) schon über ein halbes Jahrhundert zuvor im Kino vorformuliert worden ist.
Von einem berauschenden Gehalt kann bei "Disrict 9" also kaum die Rede sein, mögen die Intentionen auch löblich gewesen sein. "District 9" bildet inhaltlich (trotz einiger origineller Aspekte) in erster Linie konventionelles Mainstreamkino mit leicht verständlichem Aufruf zu mehr Toleranz und sogar Akzeptanz.
Formal - und hier liegen vor allem die Stärken von "Dictrict 9" - wird dann das übliche Popcorn-Kino-Schema gekonnt und beachtlich herausgeputzt: Einführung - die besonders! - & Ende setzen voll und ganz auf den Stil von Fernsehnachrichten, die ihrerseits mit fiktiven Interviews gerahmt werden, wodurch eine jahrelange Vorgeschichte dramaturgisch höchst wirksam, wenngleich auf großer Leinwand etwas befremdlich - man kennt diese Ästhetik schließlich eher aus dem TV-Programm und weniger aus dem Kino! -, zusammengefasst wird. Das wirkt sich freilich auch positiv auf die Trickeffekte des Films aus, denn die durchaus hervorragenden Animationen gewinnen über Authentifizierungsstrategien, die seit "Blair Witch Project" (1999) wieder in die Mode gekommen sind und mittlerweile zurückhaltend, aber pointiert & wirksam eingesetzt werden, doch erheblich. Im langen Finale des Films rückt man sie dann auch noch in den Vordergrund und bietet damit durchaus einige Schauwerte, wenngleich das ganze Spektakel bei etwas plump werdender Charakterentwicklung dann doch etwas selbstzweckhaft wirkt.
"District 9" erweist sich alles in allem als recht löbliches aber schon zigmal dagewesenes Märchen über das Überwinden von Vorurteilen und Xenophobie, das jedoch herbeibemühte realistische Elemente kaum analysiert bzw. einen Realitätsbezug überhaupt vermissen lässt, dafür allerdings auf formaler Ebene punkten kann. Ein naiver, aber gutmütiger Genrebeitrag in brillanter Form, der als unterhaltsames, mal düsteres, mal heitereres Abenteuer völlig überzeugen kann. Und auch wenn die Darstellung der Aliens - sie sind zwar noch nicht integriert, bilden aber dennoch einen recht profanen Teil des Alltags! - womöglich einen Startschuss für ähnliche Inszenierungen liefern könnte, so ist "Dictrict 9" von einem Meilenstein des Genres doch noch weit entfernt...
Gute 7/10