Aliens. Sie kamen hinab zu uns auf die Erde, um uns ein Spiegel von außen zu sein. In die Metaperspektive, die sie schaffen, dringen wir Menschen ein, um uns selbst zu beobachten: Sind wir gut oder sind wir schlecht? Wer könnte das objektiv beurteilen, wenn nicht die fremden Wesen aus einer anderen Welt?
Begegnen wir im Film feindseligen Außerirdischen, so ist die Menschheit für den Filmemacher ein tendenziell wertvolles, ein zu beschützendes Gut; friedliche Besucher aus dem All dagegen deuten oft die dunklen Seiten der menschlichen Natur an, sie zeigen, wie verdorben wir im Vergleich zu den Aliens eigentlich sind, auch wenn praktisch jeder Filmschaffende einen guten Kern in seinesgleichen entdeckt. Was aber, wenn die Aliens uns nun keine Waagschale für den Wert des Lebens bieten? Was, wenn wir das schwebende Monstrum von Mutterschiff über dem Himmel von Johannesburg kapern und darin als Besatzung ein Häufchen Elend antreffen, das sich gut und gerne auch unter der Plane eines Segelbootes von einem gewissen Danny Glover in einem gewissen “Lethal Weapon 4" hätte verstecken können? Wie gehen wir damit um, dass die Landung und Entdeckung extraterrestrischen Lebens die Geschichtsschreibung neu ansetzt, die betroffenen Geschöpfe sich dieser umwälzenden Zäsur irdischer Geschichte allerdings kaum als würdig erweisen?
Die Antwort darauf kennt kaum einer besser als Peter Jackson, dessen Handschrift aus Neill Blomkamps Spielfilmdebüt kristallklar heraussticht. Unverhohlenheit ist es, die “District 9" auszeichnet; eine solche, wie sie die dreist humanen Antagonisten aus Peter Jacksons “Bad Taste” schon anhing. Blomkamps Film wurden nun “Shrimps” getaufte Alien-Krustenkreaturen designed, die sich - ohne Geheimniskrämerei, ungeachtet ihrer CGI-Herkunft - unverblümt ins Kamerablickfeld positionieren, ohne sich zu verstecken oder hineinzudrängen. Verhaltensbiologisch gesehen passen sie sich dabei nahtlos dem Menschen an: Sie haben die gleichen Grundbedürfnisse (gemäß der Maslow’schen Bedürfnispyramide), sie sprechen, sie zeigen Emotionen, hegen Beschützerinstinkte ihren Kindern gegenüber und reagieren auf äußere Umwelteinflüsse. Sie sind uns, so die Aussage des Films, gleich. Und doch werden sie von der irdischen Menschheit separat behandelt.
Natürlich birgt das eine ganze Reihe von sozialkritischen Ansätzen mit sich, allen voran durch die Apartheid, deren Einbringung dann auch den ungewöhnlichen Handlungsort Afrika erklärt. “District 9" trennt von den andere sozialkritischen Alienfilmen aber die Erzählebene, handelt es sich doch zugleich um eine Parodie auf die Kollegen. Deutlich macht das der Mockumentary-Ansatz: vorgetäuschte Nachrichteneinblendungen und Interviews vor laufender Kamera integrieren die Aliens endgültig in den Kreislauf der Erde und ihrer Bewohner. Wie das Raumschiff da am Himmel steht und durch diffuse Lichtverhältnisse mit der Atmosphäre verschmilzt, so schmiegen sich auch die Fremdkörper der “Shrimps” in den zuletzt durch J.J. Abrams wieder gepushten Pseudorealismus ein. Blomkamp nimmt das Absurde und stellt es als Tatsache dar, aber nicht nur das: als ärgerliche Tatsache.
Wie sich das Fiktionale mit dem Realen vermengt, so verschmelzen unter dem südafrikanischen Himmel auch die Genregrenzen: “District 9" ist ein gewagter Aufprall der Themengebiete, Action, Science Fiction, Parodie, Sozialdrama und Komödie werden mit erwähnter Mockumentary scheinbar wahllos in einen Topf geworfen, doch eben nur scheinbar wahllos. Tatsächlich hat Blomkamp seinen Eintopf von vorne bis hinten im Griff. Angeführt durch einen schmierigen, in seiner nicht vorhandenen Coolness fast schon wieder coolen Witz von Hauptdarsteller, einen frechen Gegenentwurf des klassischen Helden, bahnt sich das Skript seinen Weg durch ein unvorhersehbares Dickicht aus Wendungen, die kommen wie der Donnerschlag. “District 9" ist wie ein Ritt durch den Dschungel: Die verdeckenden Blätter immer einen Meter vor dem Gesicht, so dass der Horizont mit jedem Messerhieb seine Form verändert.
Dadurch wahrt das Treiben auf volle Distanz seine Kurzweil. Mit jedem Haken, der geschlagen wird, wagt sich der Film weiter auf unerobertes Gebiet und sieht sich gar nicht erst der Lage ausgesetzt, Klischees bedienen zu müssen. Wenn überhaupt, sind sie derart entfremdet wie etwa ein Alien-Kind, das unter einer Schicht aus Krusten und Fühlern eines der nach Vorbildern gierenden Hollywood-Kinder sein KÖNNTE. Erstaunlich ist es auch, mit welcher Eleganz sich die anfangs dominanten Doku-Ansätze in Wohlgefallen auflösen und die Kamera zunehmend unsichtbarer machen, als sie den Figuren in private Situationen folgen. Der schnelle Wechsel der technischen Grundlagen des Films lässt ihn grob und beinahe gehäusefrei wirken, was dem Geschehen auf der Leinwand aber nur entspricht, da dort auch grob agiert wird: Unter Schmutz, Abfall und Wohnprovisorien werden auch gerne mal Gliedmaßen abgerissen, Körperflüssigkeiten aufgestoßen oder Mutationen vollzogen.
Nun mag man bemängeln, dass Blomkamp seine Fäden in einem bombastreichen Finale voller Krawumms aus der Hand gebe, doch letztlich ist diese Quasi-Parodie auf die ach so niedlichen “Transformers” doch die Sahnehaube auf dem Dreckloch des neunten Distrikts, wenngleich Sahne nicht so recht dorthin passen mag.
Unter Jacksons Obhut gelingt die damit wahrscheinlichste aller Varianten eines außerirdischen Pit Stops auf der Erde: Aliens bringen nicht die erhoffte Erlösung, Erkenntnis oder Weisheit, sondern nur noch mehr Bürokratie und noch mehr Probleme. So sind sie halt die Menschen. Selbst Gott höchstpersönlich könnten sie profanisieren oder sogar in die Slums verweisen. Und wie sie das tun, weiß “District 9" in wildem Draufgängertum zu erzählen, ohne dabei auf das durch “Herr der Ringe” geübte Auge der Übersicht zu verzichten. Neil Blomkamp und Peter Jackson - Dream Team?