Review

Nicolas Winding Refn dürfte einer der kreativsten Regisseure unserer Zeit sein.

Der gebürtige Däne begann seine Karriere mit dem Thriller “Pusher“, einem Thriller, mit dem er sein Talent schon beweisen konnte, allerdings bedurfte es noch einiger anderer Werke, bis Hollywood auf ihn aufmerksam wurde, und ihm schließlich 2011 mit “Drive” endgültig auch der internationale Durchbruch gelang.

Refn versteht es meisterlich, Konventionen aufzubrechen und auch eher “gewöhnlichen” Geschichten seinen eigenen, fast schon unverwechselbaren Stempel aufzudrücken.

Selbst der massenkompatiblere “Drive” beinhaltete die von Refn favorisierten Elemente, wie zB wenige, eher kurze Dialoge und vor allem den wortkargen “Helden” sowie drastische, oftmals unvermittelte Gewalteruptionen.

Mit “Walhalla Rising” schuf Refn sein bis dato sperrigstes Werk, welches für den Fan von Mainstream eine einzige Tortur darstellen dürfte.

Dieses verlässt nicht nur den Weg üblicher Narration, sondern stellt einen völligen Gegensatz zu heutigen Sehgewohnheiten dar.

Angefangen bei langen Einstellungen und minimalistischen Dialogen, wird dem Zuschauer fast jegliches Gerüst vorenthalten, das ihm Hilfestellung beim Verstehen des Gezeigten geben würde, geschweige denn Erklärungen liefert.

Was heutzutage kaum noch stattfindet: der Zuschauer wird gefordert!

Der übliche Overkill an möglichst aufwändiger Inszenierung, der das genaue Gegenteil von Kreativität darstellt, und der den Zuschauer entmündigt, ohne dass dieser es merkt, wird durch eine elegische Bilderflut ersetzt.

Das Medium Film wird hier nicht auf ein reines Konsumgut unterster Ebene reduziert.

Doch was hat “Walhalla Rising” uns über die eigentlich Handlung hinaus zu sagen? Dem Zuschauer werden kaum Erläuterungen geliefert.

Wenig Eindeutiges kann hierzu gesagt werden, da der Film selbst keinerlei Stellung bezieht. Es gibt weder Gut noch Böse, keine Schwarz-Weiß-Malerei, erst recht keine Auflösung noch gar ein Happy-End.

Szenen ungezügelter Rohheit weichen poetisch anmutenden Landschaftsaufnahmen, die im nächsten Augenblick durch psychedelisch-farbenfrohe Visionen abgelöst zu werden. Dadurch schafft Refn eine Atmosphäre, der sich der aufgeschlossene Zuschauer kaum entziehen kann.

Der Verweis im Titel und die Person One-Eye, deuten auf einen Zusammenhang mit der nordischen Mythologie hin.

Der Hauptgott, Odin, opferte demnach sein linkes Auge, um mehr Weisheit zu erlangen, indem er sich seherische Kräfte erhoffte. Diese Überlegung liegt nahe, zumal Odin nun auch nicht für seine “Zimperlichkeit“ bekannt ist, sondern sich in Walhall (so die korrekt Bezeichnung) mit allen Helden der Erde umgab, um mit ihnen gegen die den Weltuntergang herbeiführenden Mächte zu kämpfen.

Auch One-Eye hat seherische Fähigkeiten, die ihm seine eigene Zukunft vorhersagen. Diese Visionen durchziehen den Film, beziehen den Zuschauer also mit ein.

Steht hier die nordische Religion nicht nur auf der Handlungsebene, sondern auch auf der Metaebene im Konflikt mit dem aufstrebenden Christentum, dass jegliche Toleranz vermissen lässt und mit Gewalt alle „Nichtgläubigen“ missionieren will?

Man könnte zu dem Schluss kommen, dass die Aussage darin liegt, dass alle Religionen den Menschen ziellos und letztendlich ohne wahre Erlösung umherirren lassen, sodass von diesen letztendlich nur Hass und Gewalt ausgehen.

Are wird von den christlichen Kriegern anfangs als Glücksbringer gesehen, er scheint auch der einzige zu sein, auf dem keine Schuld lastet. Er erklärt des Öfteren, dass man sich auf den Weg nach Hause begeben solle, wobei er nicht erklären kann, wo dieses nun läge.

Ist Are eine Art Messias, der den Menschen nur aufzeigen kann, dass sie ihren inneren Frieden nicht im Erreichen von vermeintlich glückverheißenden Orten oder Zielen finden können, sondern nur in sich selbst? Und das stetige Suche nur dazu führt, dass man sich im wahrsten Sinne des Wortes in der eigenen Hölle verliert?

Dieses Verlorensein wird durch die Unendlichkeit der kargen Landschaften und durch das Einfangen der Darsteller verstärkt, deren Blick fast nie in die Kamera, sondern meist auf einen entfernten Punkt gerichtet ist.

Welche Rolle kommt dann One-Eye zu, außer dass man ihn stellvertretend für Odin sehen könnte. In der nordischen Mythologie kann Odin den Weltuntergang nicht aufhalten. Auch One-Eye wird am Ende getötet, wobei er sich seinem Schicksal kampflos ergibt. Ein weiterer Hinweis, dass am Ende, trotz allen Glaubens, alles umsonst war.

„Walhalla Rising“ erscheint somit als ein abstrakter Endzeitfilm, wobei er nicht nur die Sinnlosigkeit des religiösen Aufbegehrens offenbart, sondern auch, dass der Weltuntergang durch unsere Rastlosigkeit von uns selbst herbeigeführt und in letzter Konsequenz in uns selbst stattfindet.

Die Wallfahrer sehen am Ende in One-Eye denjenigen, der sie in die Hölle geführt hat. Sie erkennen dabei nicht, dass One-Eye nur seinem eigenen Schicksal folgt, und sie es selbst sind, die ihren Untergang herbeiführen.

One-Eye ist stumm, brutal und agiert ohne wirkliches Ziel. Er scheint daher auch stellvertretend für die heuchlerischen Motive der Wallfahrer zu stehen, die Widersprüchlichkeit von Gewalt und Glaube, die nur das Ende allen Seins bedeuten kann.

Die Bildkompositionen erinnern im Übrigen an “Stalker”, dem für mich besten Film überhaupt (Review: http://www.ofdb.de/review/2746,536282,Stalker), wobei Refn (noch) nicht an die Genialität des neben Eisensteins besten russischen Regisseurs, Andrej Tarkovsky, heranreicht.

“Stalker” funktioniert auf mehreren Metaebenen, kann neben Regimekritik auch als umfassende Studie des Menschen selbst verstanden werden. Diese Vielschichtigkeit erreicht “Walhalla Rising” imho nicht ganz. 


Fazit:

Was man nicht bekommt: einen martialischen, actionreichen Wikingerfilm und schon gar nicht Stumpfsinn a la "300" (zum Glück).

Was man bekommt: ein grandioses, meditatives, fast psychedelisches Werk, mit perfekter Kameraführung, dem besten Score, den ich seit langem genießen durfte, minutenlangen, ruhigen Einstellungen (vergleichbar mit „Stalker“), die von explosionsartigen Gewaltszenen abgelöst werden, die mich an Cronenberg erinnerten, letztendlich als Gesamtwerk wohl ein Tribute an Werner Herzog.

Anschauen, staunen, rätseln, genießen!

9/10

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