Stell Dir vor, Du wirst nachts in Deinem Haus von einer dunkelgekleideten Gestalt attackiert, die Dich nach kurzem Kampf überwältigt und Dir eine lange, mit paralysierendem Gift präparierte Akupunkturnadel tief in den Nacken sticht. Du wirst sofort bewegungsunfähig, kannst keinen Finger mehr rühren. Deine schreckgeweiteten Augen starren ins Leere, und doch bist du bei vollem Bewußtsein, nimmst jedes Detail wahr. Dann zückt der Unbekannte ein Messer und macht sich an die Arbeit, und Du kannst nichts dagegen tun...
So ergeht es Maria Zani (Barbara Bouchet), einer hübschen Blondine, deren außereheliches Verhältnis kurz zuvor zu einem heftigen Streit mit ihrem Mann Paolo (Silvano Tranquilli) geführt hat. Der ist nun der Hauptverdächtige und taucht prompt nach dem Verhör durch den für den Fall zuständigen Inspektor Tellini (Giancarlo Giannini, der es viele Jahre später mit den Herren Lecter und Bond zu tun bekommen wird) unter, nur um den Privatdetektiv Catapult (Ettore Mattia) zu beauftragen, den Mann ausfindig zu machen, mit dem sich seine nymphomane Frau zuletzt vergnügt hat. Während der desillusionierte Inspektor gegenüber seiner Frau Anna (Stefania Sandrelli) Selbstzweifel hegt, ob er der Richtige für den Job ist, wird eine weitere Frau auf dieselbe schreckliche Weise ermordet. Und sie wird nicht das letzte Opfer des geheimnisvollen Killers bleiben...
Anfang der 1970er Jahre verirrte sich allerlei Getier in die mysteriösen Titel italienischer Giallos; es tummelten sich fröhlich Katzen, Fliegen, Skorpione, Schmetterlinge, Eidechsen, Libellen... selbst Enten, Leguane und Widder gesellten sich munter dazu. In Paolo Cavaras brillantem La Tarantola dal Ventre Nero lockte 1971 nicht nur das achtbeinige Spinnentier, sondern auch die erstklassige weibliche Besetzung: Barbara Bouchet, Claudine Auger, Barbara Bach, Rossella Falk und Annabella Incontrera erfreuen die leuchtenden Augen des Betrachters. Cavaras Genrebeitrag ist im Prinzip ein konventioneller Giallo klassischen Zuschnitts, ohne große Überraschungen, ohne gewagte Experimente. Die Ingredienzien (schöne Frauen, grausame Morde, ein mysteriöser Killer, ein zu Unrecht Verdächtigter, etc.) sind altbekannt, und trotzdem entwickelt sich La Tarantola dal Ventre Nero zu einem großartigen, geschickt inszenierten und überaus eigenständigen Whodunit-Thriller, nicht zuletzt aufgrund des extrem grausamen Modus Operandis des Killers (angelehnt an die Wegwespe, welche eine betäubte Tarantel als Nahrung für ihre Larven mißbraucht). Der Film ist bedächtig und großteils unaufgeregt inszeniert, beeindruckt mit Marcello Gattis eleganter Kameraarbeit und zwei überraschend sympathischen Protagonisten, und hat darüber hinaus einen zwar nicht unbedingt eingängigen, nichtsdestotrotz aber grandiosen Score von Ennio Morricone spendiert bekommen. Zugegeben, übermäßig spannend ist der Film nicht, auch wenn Cavara die eine oder andere schöne Suspense-Sequenz gelingt; erst als il grande finale näher rückt, wird gekonnt und genußvoll an der Spannungsschraube gedreht. Aber wie bei vielen tollen Giallos sind es auch hier die illustren Charaktere, die bedrohliche, erotisch aufgeladene Atmosphäre, der sexuelle Subtext, das virtuose Zusammenspiel von Bild und Musik, und die fulminant gestalteten Set-Pieces (herausragend: der Mord in einem Raum voller Mannequins), welche die eigentümliche Faszination des Filmes ausmachen. Schon die wunderbare Eröffnungsszene, in der sich die nackte Frau Bouchet eine Massage gönnt, entfacht - verstärkt durch Morricones suggestiven Score - einen unwiderstehlichen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Und dem man sich auch gar nicht entziehen möchte.
Fazit: La Tarantola dal Ventre Nero ist ein nahezu perfekter Giallo, der mich vollauf begeistert hat.
PS: Während der exzellenten "Mannequin-Szene" kann man übrigens einen Blick auf den Regisseur erhaschen, vorausgesetzt, man hat Argusaugen oder stellt rechtzeitig auf Standbildfortschaltung um. Es sind wirklich nur drei, vier Einzelbilder, in denen Cavara zu sehen ist. Wer im Besitz der amerikanischen DVD ist und das gerne überprüfen möchte, sollte sich die ersten paar Sekunden der Minute fünfundzwanzig mal genauer ansehen.