Von einem Dämonen besessene High School-Schönheit mutiert zur Kannibalin und hat ihre zahlreichen Verehrer fortan im Wortsinn "zum Fressen gern" - das klingt eigentlich nach einem etwas schrägen, schwarzhumorigen Splatterfilm, und genau so hat die 20th Century Fox Jennifer's Body auch vermarktet. Nur ist der Film das in Wahrheit dummerweise gar nicht.
Es fängt schon damit an, dass tatsächlich weniger die buchstäblich männermordende, titelgebene Jennifer (Megan Fox) und ihr Unwesen im Mittelpunkt der Handlung stehen, sondern die postpubertären Befindlichkeiten von Jennifers bester Freundin Needy (Amanda Seyfried). Die sitzt zu Beginn des Films bereits in der geschlossenen Psychiatrie und erzählt dem Zuschauer dann in einer Rückblende, wie und warum sie dort gelandet ist. Diese Geschichte hat zwar damit zu tun, dass ihre beste Freundin Jennifer eines Tages einen ziemlich verstörenden Appetit auf das Fleisch ihrer Schulkameraden entwickelt, aber in erster Linie berichtet die Erzählerin von den Befindlichkeiten ihrer eigenen Psyche und ihrer schon vor den Ereignissen des Films ungewöhnlichen Freundschaft mit der Titelfigur.
Denn Needy und Jennifer sind eingeschworene Freundinnen, wie sie unterschiedlicher gar nicht sein könnten: während Jennifer attraktiv, selbstbewusst, begehrt und sexuell bereits höchst aktiv ist, ist Needy eine Außenseiterin, ein nerd, wie sie im Buche steht - unscheinbar, schüchtern und unsicher, die nervös ihrem ersten Geschlechtsverkehr mit ihrem Freund Chip (Johnny Simmons) entgegenblickt und sich dann zu allem Überfluss noch mit den beängstigenden Verhaltensänderungen ihrer eigentlich engsten Vertrauten auseinandersetzen muss.
Dieses tiefe Eintauchen in die Lebens- und Gefühlswelt seiner jugendlichen Figuren befördert Jennifer's Body schnurstracks in das Genre des Teeanger-Horrorfilms, auf dessen in Scream thematisierten Regeln und Mechanismen er auch erkennbar beruht: 1. "Sex ist gleich Tod!" Nicht nur, dass Jennifer ihren Opfern vorspiegelt, diese zu einem Schäferstündchen zu bitten, um sie dann zu verspeisen. Es ist, wie der Lauf der Ereignisse enthüllen wird, vor allem auch ihr freizügiges Sexualverhalten, das letztlich kausal zu ihrer Verwandlung führen sollte.
Eine gewisse Rolle dabei spielt auch ein Besuch Jennifers und Needys im heruntergekommenen und sicherlich nicht für Jugendliche geeigneten, aber offenbar einzigen Vergnügungslokal im fiktiven Spielort Devil's Kettle, dem "Melody Lane". Der endet in einer Tragödie, als während eines Konzerts dort ein Feuer ausbricht, das zahlreiche Menschenleben fordert. Sozusagen Regel Nr. 2: "Nicht trinken und keine Drogen. Das alles fällt unter Sünde. Sünde ist die Erweiterung von Nummer 1."
Zwei junge Frauen im Teenager-Alter im Widerstreit der Gefühle zwischen Angst und Regeln einer-, Neugier und Lebenslust andererseits. Das "böse Mädchen" verführt das "brave Mädchen" zum Überschreiten gewisser Grenzen, geht selbst noch weiter - und wird schließlich dafür bestraft. Die Strafe zu stoppen, obliegt dann wiederum dem braven Mädchen, das dafür aber zunächst selbst seine Grenzen sprengen muss. Das ist der absolut typische Stoff, aus dem Teenager-Horrofilme sind.
Für diese eignet sich das Thema Kannibalismus aber wiederum eigentlich gar nicht. Auch wenn sie mit ihren Figuren nicht zimperlich umgehen - manchmal sogar so wenig zimperlich, dass sie im Lande der Teutonen nur der exzessive Einsatz der Blechschere vor einem völligen Verbot bewahrt - beschränken Teenager-Horrorfilme sich dabei dennoch doch darauf, den Zuschauer letztlich eher nur visuell zu schockieren. Die Morde mögen mit reichlich Kunstblut sowie unter Einsatz höchst kreativer Waffen und Werkzeuge inszeniert sein, aber verantwortlich für diese ist stets ein Mörder, der entweder aus letztlich banalen Motiven menschlicher Schwäche (i. d. R. Rache) handelt, oder aber der offensichtlich eben gar kein normaler Mensch ist, sondern eine Art metaphysisches Wesen als Verkörperung des boogey man, des "Schwarzen Mannes", der Angst an sich.
Kannibalismus gehört psychologisch noch auf eine ganze andere Ebene. Er ist zu hart und zu radikal, bricht zu viele gesellschaftliche Tabus und dringt zu tief in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Psyche ein, als dass er nur mit allgemeinen und verbreiteten Ängsten sowie einer heimlichen Lust am Ekel spielen könnte.
Horrorfilme, die sich um Kannibalismus drehen, richten sich daher sonst auch stets an ein entsprechend älteres Publikum, an die Liebhaber harter torture porns im Stile etwa von Hostel oder den Filmen der Saw-Reihe, die sich folgerichtig auch um erwachsene Figuren drehen. Weder Tobe Hoopers Texas Chain Saw Massacre, noch dessen Remake Michael Bay's Texas Chain Saw Massacre können hier übrigens als wirkliche Ausnahmen gezählt werden - zwar findet Kannibalismus in diesen Erwähnung, ist aber nicht das zentrale Motiv. Ob Leatherface und seine Sippe ihre Opfer nun verspeisen oder nicht, spielt letztlich nämlich keine Rolle. Es geht in ihren Filmen zentral bloß darum, dass sie eben da sind, um die jugendlichen Figuren zu jagen und umzubringen. (Und die insgesamt drei Fortsetzungen des Hooper-Originals von 1974 drehen sich dann auch um ältere Figuren.)
Somit ist es im Prinzip nur konsequent, dass Jennifer's Body sein eigentlich zentrales Motiv eher zaghaft und vorsichtig angeht: der Bodycount ist für einen Teenager-Horrorfilm ungewöhnlich gering, und Jennifers Morde werden, selbst in der "Extended Version", nur höchst zurückhaltend inszeniert. Dieses wohl unumgänglich notwendige Zurückstecken an Blood & Gore versucht der Film dann zu kompensieren, indem er Okkultismus und Parapsychologie stärker in den Mittelpunkt rückt, sowohl über satanische Rituale und Besessenheit, als auch ein scheinbar besonderes, metaphysisches Band zwischen Jennifer und Needy.
Solche Themen können auch in einem Teenager-Horrorfilm funktionieren, siehe u. a. Carrie nebst seinem losen Sequel Carrie 2 - The Rage, The Craft oder Warlock: The Armaggedon. Jennifer's Body jedoch verreckt daran, mit aller Gewalt ein Teenager-Horrorfilm um das Thema Kannibalismus sein zu wollen, was sich aber wie gesagt überhaupt nicht miteinander verträgt.
Drehbuchautorin Diablo Cody und Regisseurin Karyn Kusama hätten besser daran getan, sich zunächst zu entscheiden, was für einen Film sie überhaupt machen wollen: einen Teenager-Horrorfilm über zwei ungleiche beste Freundinnen, von denen die eine gegen einen Dämon kämpfen muss, der von der anderen Besitz ergriffen hat? Dann wäre es besser gewesen, das Thema Kannibalismus auszusparen.
Oder aber einen mit schwarzem Humor abgeschmeckten Splatterfilm um eine menschenfressende Femme Fatale? Den hätten sie durch Spielort, Figuren und Subtext auf ein älteres Publikum abstimmen müssen und unbedingt auf sonderliche Mystery-Elemente verzichten sollen, hätten dafür aber die Möglichkeit eines offeneren und direkteren Umgangs mit ihrem Thema gehabt.
Der Mischmasch Jennifer's Body jedoch ist einfach nur misslungen, und das sozusagen mit Ansage. Das ist sogar umso ärgerlicher, da Cody und Kasuma an einigen Stellen doch durchaus zeigen, was in ihnen steckt: die Bilder der Ereignisse im Melody Lane etwa, als ein anfangs ausgelassenes Konzert wie in Videoclip-Ästhetik und unterlegt mit den Klängen des Konzerts plötzlich in eine tödliche Flammenhölle umschlägt, sind für den Zuschauer ein heftiger Schlag in die Magengrube, und machen die anschließende Thematisierung des Unglücks in einer Schulstunde noch viel aufwühlender und verstörender. Selten gelingt es einem Horrorfilm, Leid, Tod und Trauer für den Zuschauer so eindriglich fühlbar zu machen wie hier.
Auch einige herrliche Pointen in den Dialogen - mal rabenschwarz, mal augenzwinkernd, mal zynisch auf den Zeitgeist an der Schwelle zum zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts gemünzt - sowie vor allem der raffinierte Einsatz des stimmungsvollen Soundtracks beweisen ganz klar, dass hier keineswegs völligen Amateurinnen am Werk waren (klammert man Ms. Fox einmal aus, über deren, äh, "schauspielerisches Können" ich mich lieber nicht näher auslassen möchte)!
Fazit: Schade! Zwei jeweils für sich genommen interessante, aber so einfach nicht miteinander kompatible Ideen wurden unbedacht in einen Film zusammengeklatscht, und auf diese Weise jede Menge Potenzial verschenkt. Wirklich empfehlen kann man das dabei herausgekommene Werk eigentlich niemandem: für Splatterfans ist der Film zu zahm und verbringt zu viel Zeit mit Okkultismus- und Mystery-Elementen. Liebhabern solcher Filme wiederum ist er wahrscheinlich dennoch zu makaber und zu hart - immerhin geht es ihm zentral ja letztlich doch um Kannibalismus.
Andererseits hat Jennifer's Body aber dennoch einige Momente, die es wiederum durchaus lohnenswert machen können, ihn zumindest einmal gesehen zu haben - wie eben die Inszenierung des Infernos im Melody Lane, oder auch die Beerdigung eines von Jennifers Opfern. Hier präsentiert er sich für einen Teenager-Horrorfilm ungewöhnlich ernst, mit einer intensiven melancholischen Stimmung, die den Zuschauer so schnell nicht mehr loslässt und die sich, über den atmosphärischen Soundtrack transportiert, wie ein pessimistischer Schleier über den ganzen Film legt.
Er hätte ein ganz und gar ungewöhnlicher Horrorfilm werden können, ob nun mit Teenagern oder jüngeren Erwachsenen als Zielgruppe. Statt dessen deutet Jennifer's Body die bemerkenswerten Ideen seiner Schöpferinnen nur an, und verliert sich ansonsten überwiegend in den schon zigfach durchgekauten Konventionen des Teenager-Horrorfilms, diesmal mit - auch nicht neuem - okkultistischem Anstrich.