Die Goldene Ära Hollywoods und die Große Depression. Zwei Begriffe, die trotz ihrer Unterschiedlichkeit eng miteinander verbunden sind; die Massenunterhaltung als Ablenkung in Zeiten von Notlagen, als eine zeitweilige Flucht aus den Krisen der Realität, die im Jahre 1932 ihren absoluten Tiefstand hatte. Arbeitslosigkeit und Hungermärsche prägten das Strassenbild, Stagnation und Pessimismus hatten sich die letzten drei Jahre über breitgemacht und die bis 1929 blühende Hoffnung auf Wohlstand längst vertrieben. Rechtsnormen verloren ihre Gültigkeit, gesellschaftliche und soziale Ordnungen wurden erschüttert. Die scheinbar widerstandsfähige Filmindustrie, die mit der Einführung des Tones als künstlerische Neuheit und Sensationen auf der Leinwand immer noch die Neugier der Menschen erfüllte, folgte erst mit Gangsterfilmen, die als Katharsis die Musikkomödien in der Zuschauergunst ablösten. Damit kamen auch die sozialkritischen Werke, die wirkliche Probleme aufgriffen und den einfachen Leuten aus der Seele sprachen, die psychologischen Dramen, die Kriegsfilme bar abenteuerlicher Verklärung. Und als direkter Gegenzug eine Art kulturelle Wiedergeburt der Stars, die den Eskapismus mit grossen Shows, ein Ausweichen in fremde Welten, in Exotik oder in Märchen ermöglichten und eine Scheinwirklichkeit vorgauckelten. Eine Normalität, die keine ist und Gedanken, Vorstellungen, Gefühle, Empfindungen und Wahrnehmungen abfälschen und umleiten sollten. Aus dem Alltagstrott reissen und Trost, Zutrauen und Lichtblicke spenden. Menschen im Hotel war einer dieser Filme; er legte das Motto vor, perfektionierte es gleichzeitig und spielte 2 ¼ Millionen Dollar allein in den USA ein. Und dies in einer Ära, wo man sich nur zwischen etwas zu Essen und 90min Amüsement entscheiden konnte, da für mehr das Geld eh nicht reichte.
Der für $ 700.000 in zwei Monaten gedrehte Ensemblefilm beruhte auf dem Roman von Vicky Braun, und wurde bereits als Vorlage für eine erfolgreiche Broadway - Aufführung verwendet. Unter der Ägide von Louis B. Mayer und der Aufsicht von Irving Thalberg, der seit jeher für die Prestigeproduktionen von MGM verantwortlich war, wurde ein Kollegium an schauspielerischen Schwergewichten zusammengestellt, die die wichtigsten Figuren des Stückes präsentieren und bereits von vornherein die Aufmerksamkeit auf sich verankern sollen. Dabei nimmt man fünf verschiedene Persönlichkeiten in Augenschein, die noch von dem Portier Senf [ Jean Hersholt ] und dem Arzt Dr. Otternschlag [ Lewis Stone ] begleitet werden:
Baron Felix von Geigern [ souverän: John Barrymore ] wird erpresst, die Perlen der im Grand Hotel abgestiegenen Ballerina Grusinskaya [ theatralisch: Greta Garbo ] zu stehlen. Bei dem Versuch des Diebstahls wird er überrascht; Grusinskaya hat den vertraglich vereinbarten Auftritt platzen lassen und will sich vor Einsamkeit und Verzweiflung das Leben nehmen. Währenddessen kämpft der totkranke Buchhalter Otto Kringelein [ im nutzlosen Marx-o-rama Stil: Lionel Barrymore ] auf seine letzten Tage darum, auch einmal von Reichtum und Wohlstand zu kosten und stösst dabei auf seinen Arbeitgeber Preysing [ belastbar: Wallace Beery ], der unbedingt eine Fusion unter Dach und Fach bringen muss und deswegen auch Lügen in Kauf nimmt. Die kurzfristig für die Geschäftskonferenz bestellte Sekretärin Fräulein Flamm [ burschikos kokett: Joan Crawford ] verguckt sich währenddessen in den charmanten von Geigern; ohne zu merken, dass Preysing trotz bestehender Ehe auch ein Auge auf sie geworfen hat.
Den Schauplatz des Hotels verlässt man nicht. Mehrmals wirft man einen Blick auf die Strasse davor, immer wenn das Auto der Tänzerin bereitsteht, um sie zum Theater zu bringen. Einmal bekommt man die Aussenfassade zu Gesicht, aber auch nur dann, als von Geigern seinen kriminellen Akt durchzieht. Alles andere findet in der Lobby, in der Bar, vor den Fahrstühlen oder in den jeweiligen Zimmern statt; das schwelgerische Art Déco Hotel in einem vorgetäuschten Berlin zwischen den beiden Weltkriegen steht in einer generischen und metaphorischen pars-pro-toto Beziehung für eine artifizielle Gegenwart. Ein überlebter Fantasieort, durch Fortschritt und Medien verklärt. Die Fata Morgana des westlichen Menschen. Eine kosmopolitsche Karawanserei. Den Gesamtüberblick haben neben dem allwissenden, durch Edmund Gouldings beobachtende Regie eingeweihten Betrachter nur noch die Telefonistinnen, die in der gefüllten Verbindungszentrale für die Anschlüsse und Verknüpfung der zahlreichen Gespräche sorgen. Die Einführung und Vorstellung der Handelnden erwächst aus Einzelmonologen, die sie jeweils an unsichtbare Teilnehmer verkünden. Jeder von Ihnen hat etwas Entscheidendes in den nächsten Tagen vor und bei den Meisten hängt auch gleich das gesamte Leben davon ab. Nur weiss der Rest nichts davon, Schein bestimmt das Sein, Menschen kommen und gehen und nie geschieht etwas. Erst wenn das Enigma im Aufstellungsprozess von Informationsübertragung zusammengesetzt ist, ergibt sich aus der schimmernden objektiven Aussenwelt ein subjektives Innenleben narrativer Intarsien. Sich puzzleartig verschränkende Stränge, gespickt mit moralischem Gefühl, emotionaler Intelligenz, der rein rationalistischen Ebene und der instrumentellen Vernunft. Mit Verzweiflung, Freud- und Mutlosigkeit, Niedergeschlagenheit, Kummer, Unglück, Bedrückung. Mit Erwartungen, Möglichkeiten, Vertrauen, Zuversicht, Wunsch, Glauben, einer Ahnung, einem Ausweg. Mit Chancen, mit Lichtblicken. Das Leben in all seinen Facetten halt.
Das Konzept strukturierter Einschlüsse ist dabei todsicher und ging damals entsprechend auf, wie es auch für die Neuverfilmungen Weekend im Waldorf [ 1945 ] und Menschen im Hotel [ 1959 ] gilt und noch heutzutage bei einer gänzlich anders zielgerichteten Arbeit wie Bobby [ 2006 ] angewandt werden kann. [Langlebige Fernsehserien wie Hotel, Love Boat, Fantasy Island griffen ebenfalls auf die Methodik zurück.]
Die Personen, ihre Taten und ihre Gedanken besitzen eine multiperspektivische Bildlichkeit, sind aber dennoch in ihrer Position festgelegt; aus den sich kreuzenden Wegen ergeben sich erst die eigentlichen Geschichten. In diesem Fall ist es eine parallele, nichtlineare Mischung aus Trivialliteratur, wie sie in Groschenheftromanen kolportiert wird, einer beschwingten Traumwelt, die aus der antirealistischen Bewegung mit ihrem "Show must go on" Engagement entsteht und einem problemfokussierten Verfahren, dass sich Licht und Schatten sowie Vergessen und Erinnerung einer Existenz zu Gemüte führt und dies in Arbitrarität, Konventionalität und Assoziativität darbreitet. Die filmische Bearbeitung entnimmt dem Roman den Ausgangspunkt der Verknappung von Raum und Zeit und die allgemein verkürzte Prosa; Nachdrehs, Zusatzaufnahmen und Rollenverstärkungen entwickelten die Figur der Grusinskaya statt der wirklich zentralen Stenographin 'Flaemmchen' zum Mittelpunkt des Geschehens und verschoben so die Kontextüberlagerungen. Die plötzliche Liebesgeschichte zwischen ihr und von Geigern hat am Wenigsten mit einer psychologischen Reportage zu tun, deudet auf der Habenseite aber am Meisten eine wünschenswerte Illusion an: Heute noch müde, einsam und allein im Zimmer mit zugezogenen Gardinen und morgen schon in der grossen weiten Welt, die vor Helligkeit und Glanz erstrahlt; mit einem Partner in der Hand, der die kommende glückliche Zeit mit einem teilt.
Auch die anderen Mitglieder besitzen die Wünsche, Sehnsüchte und Interessen ganz Normalsterblicher; ihre einfachen Charakterisierungen, das zumindest prägnante Schauspiel und die ausdrucksreichen verbalen Äusserungen sorgen dafür, dass man durchgängig die Züge eines Alter egos erkennt und sich mit den meisten Gruppierungen schnell vertraut machen und verbinden kann. Besonders der sein gesamtes Dasein schuftende und nichts dafür erreichende Arbeitnehmer Kringelein, der selbst auf die rar verbleibende Spanne noch vom Chef Preysing getrietzt und zurückgestellt wird, ging sicherlich Vielen zu Herzen, wenn er sich verzweifelt zur Wehr setzt. Die hier polemisch überspitzte, aber ansonsten doch ausgeglichene und fast universale Identifikation mitsamt sentimentaler Anteilnahme sorgt für ein hypertextuell organisierten Kontakt mit der Aktualität und folglich eine inspirierende Mitwirkung, die weit über ein starres Betrachten der Ereignisse hinausgeht. Als ein Spiegel von Sinneseindrücken und Interpretationen als auch Bestandteil ihrer plastischen Ausformung. Wie ein glaubwürdig entwickeltes Denkspiel, in denen man für wenige Minuten die Biographien gänzlich unterschiedlicher Menschen mit differierender Herkunft und ungleichen Stand mitverfolgt; wobei man weniger eine stilistisch inszenatorische Qualität, gesellschaftskritische Substanz oder durchgängig grossartige Darstellung bewundern darf, sondern eine geschickt formulierte Dramaturgie, die in einer zeitlos affektiven Dekorationstechnik massig gefühlsbetonte Formenvielfalt bereithält. Mit Blick für das Offensichtliche und die Nuancen. Ein leicht sentimentaler Gegenentwurf zu Robert Siodmaks mit Erzählhandlung ausgestatteter Sozialreportage Menschen am Sonntag [ 1929 ], die mit Natürlichkeit, Improvisation und Lebensnähe ein "So ist es und nicht anders" aufzeigt und wiederum eine Konkurrenzvorlage zu Walter Ruttmanns Berlin: Die Sinfonie der Großstadt [ 1927 ] auswirft: Auch dort "Ein Film ohne Schauspieler", aber diesmal eben 'nur' ein formell distanziertes Stadtporträt mit panoramaartigen Querschnitt der geographischen Oberfläche.
Menschen im Hotel hat weder Originalschauplätze noch eine intuitive, von Innen herauskommende Selbstdarstellung zu bieten, dafür aber die tröstlichen Formeln eines Bedürfnisses nach Glück, einen verstiegenen Optimismus, eine unwiderstehliche all - star - power und das klassische Rezept einer gediegenen Soap Opera. Schwereloses, eher irrealisiertes, aber stilistisch ausgewogenes Kino mit umfangreichem Rahmenprogramm, argumentationsfester Mikrologie und zuweilen katalytischer Wirkung. Die Auszeichnung als Bester Film des Jahres folgte auf dem Fuss.