„Wir reichen jedem die Hand der friedlich zu uns als Gast kommt.
Sollte es aber jemandem einfallen mit dem Schwert zu kommen, so werden wir ihn mit dem Schwerte richten.“ Alexander Nevski (1220-1263, Schutzheiliger der Stadt St. Petersburg)
Sergei M. Eisenstein war der große Visionär des sowjetischen Kinos, ein bis heute nur selten erreichter Ästhet, der gemeinsam mit Leni Riefenstahl den Weg ebnete für weitere legendäre Filmemacher wie Stanley Kubrick. Eisensteins Bildsprache, sein virtuoser Umgang mit allen technischen Aspekten des Films und seine mathematisch anmutende Produktionsweise, die Liste seiner bekannten Tugenden ist lang. In Russland hatte er besonders den Stummfilm auf seinen künstlerischen Höhepunkt erhoben, Meisterwerke wie „Panzerkreuzer Potemkin“ oder „Streik“ sind heute Standardwerke für Filmtheoretiker wie angehende Regisseure. In den frühen Dreißiger Jahren begab sich Eisenstein in die USA um im amerikanischen Tonfilm Fuß zu fassen, jeder einzelner seiner zahlreichen Versuche zur Realisation eines Werkes, scheiterte an den Schwierigkeiten Eisensteins mit dem amerikanischen Studiosystem. Seine ihm bekannte und vertraute Arbeitsweise wollte er nicht aufgeben, Hollywood blieb ihm somit unerschlossen. Diese immer herberen Dämpfer veranlassten den Regisseur dazu, zurück in die russische Heimat zu kehren um wieder zum wichtigsten Filmemacher des Landes aufzusteigen. Josef Stalin persönlich wählte Eisenstein, dessen Revolutionsfilme schon immer einen positiven Eindruck auf den Diktator machten, als Regisseur für das hoch budgetierte und groß angelegte Projekt „Alexander Nevski“.
Basierend auf der Lebensgeschichte des gleichnamigen russischen Volkshelden inszeniert Eisenstein das Portrait eines Helden in übermenschlicher Größe. Da sich Stalin mit Nevski identifizierte und diese Parallele auch im Film deutlich herausgearbeitet sehen wollte, ist „Alexander Nevski“ ohne Zweifel ein stark propagandistischer Film, dessen patriotische Wucht und eindeutige Bezüge zur zeitgenössischen politischen Entwicklung Europas eine deutliche Sprache sprechen. Nicht umsonst sind die Gegner Alexanders, der schon die Schweden aus Russland vertrieb, die durchweg unnahbar düster gezeichneten Deutschen, deren willkürliche Brutalität und territorialen Ausbreitungspläne eindeutig auf die Politik Hitlers gemünzt ist. Selbst der Hitlergruß findet in kaum verfremdeter Form Verwendung. Eisenstein Film ist also nicht nur eindeutig in seiner politischen Stellungnahme sondern auch kalkuliert in seiner Wirkung auf das damalige Publikum, somit ist sein „Alexander Nevski“ ebenso ein Propagandafilm wie die Meisterwerke von Leni Riefenstahl. Ästhetisch ist Eisenstein Kino auch Jahre nach Etablierung des Tonfilms eindeutig am Stummfilm orientiert. Die wortkargen Hauptfiguren schreiten durch Bildkompositionen allerreinster symmetrischer Aufteilung, drücken sich verstärkt aus durch theatralische Gestik und Mimik, schaffen Platz für die Entfaltung der überaus komplexen Filmmusik.
Die wenigen Dialogzeilen für Hauptfigur Alexander sind von fast schon poetischem Heroismus erfüllt, der dem epochalen Charakter des Films vollauf entspricht. Der von der Kirche heilig gesprochene Volksheld wird hier als idealisierter Führer portraitiert, dessen Tapferkeit, Aufrichtigkeit und Stolz beispielhafte Tugenden darstellen. Seine Hingabe für das russische Vaterland eint das Volk und mobilisiert die Kräfte gegen den gemeinsamen Feind. Innerpolitische Konflikte werden nicht thematisiert, es geht geschlossen gegen eine bösartige Bedrohung von außen. Die Kernpunkte der Handlung folgen allesamt historisch verbürgten Ereignissen, von denen die legendäre Schlacht auf dem Eismeer die meiste Aufmerksamkeit für sich verbuchen kann. Das opulente Schlachtengemälde welches Eisenstein hier zeichnet setzte Maßstäbe für die Zukunft des historischen Films und zählt zu den einflussreichsten Sequenzen der Filmgeschichte. Trotz teilweise stark antiquierter Technik überragen die positiven Aspekte der bemerkenswert dynamisch gefilmten Massenszenen, für die etliche Statisten und Kostüme benötigt wurden. Auch die detaillierten Kulissen wurden mit viel Akribie in Szene gesetzt und machen einen authentischen Eindruck, wenngleich der theaterhafte Eindruck einiger Szenen nicht zu verhehlen ist. Das Drehbuch dagegen spart jedes überflüssige Füllmaterial aus und räumt den aufwendigen Schlachtszenen reichlich Raum um spektakulär in der entscheidenden Schlacht alles vorher Gebotene in den Schatten zu stellen.
Nicht nur der berühmten Sequenz auf dem Eismeer kommt revolutionäre Bedeutung zu, auch das Verhältnis des Films zur eigenen musikalischen Untermalung hatte es so noch nicht gegeben. Ähnlich wie später Ennio Morricone und Sergio Leone gemeinsam arbeiteten funktionierte auch das gemeinsame Schaffen von Sergei Eisenstein und seinem Komponisten Sergei Prokofjew. Letzterer schrieb verschiedene Stücke zu zentralen Themen und Sequenzen des Films, in großen Teilen noch ehe sie entstanden oder während dem Entstehungsprozess. Musik und Schnitt gehen somit eine untrennbare Symbiose ein, die dem Film eine lebendige Atmosphäre verleiht und das trockene Thema damit sehr unterhaltsam aufbereitet. Mit der asketischen Strenge einer griechischen Tragödie und der Wucht eines shakespeareschen Königsdramas entwickelt sich die von der Musik abhängige Handlung beinahe opernhaft elegant und erstarrt zu keinem Zeitpunkt in prätentiöser Künstlichkeit. Und das obwohl die Darsteller teilweise hölzern agieren und auch keine wirklich starken Charaktere geboten werden, außer natürlich der Figur des Alexander, der aber so unnahbar gezeichnet ist, das jegliche Identifikationsmöglichkeiten schon früh über Bord gehen. Kann man aber einen Film akzeptieren, der aufgrund seiner starren Entstehungsgeschichte und eingeschränkter Möglichkeiten keine wirklich fassbare Emotionalität entwickelt, dann entdeckt man einen Klassiker des russischen Kinos der nur wenig von seiner ästhetischen Klasse verloren hat.
Eisenstein war nicht nur einer der bedeutendsten Filmemacher seiner Zeit, sein filmtheoretisches Werk ist ebenfalls von hoher Wichtigkeit. Dementsprechend überlegt strebt jede Einstellung des Films nach Größe und Erhabenheit, was beinahe durchweg gelingt. Konzentriert und sorgfältig zählt für Eisenstein jeder einzelne Schnitt, jeder Kameraschwenk und jedes Detail der Beleuchtung. Nachdem der Regisseur sowohl in Amerika als auch in Russland viele Probleme mit Produzenten hatte und viele Filme nicht nach seinen Vorstellungen realisieren konnte, so war er trotz propagandistischem Auftrag in vorliegendem Werk weitestgehend sein eigener Herr. Die Vorgabe zu erfüllen war in einem Film über Alexander Nevski sehr einfach – die Titelfigur soll patriotisches Vertrauen erwecken und ein starkes Herrschaftsbild romantisieren. Bei der gegebenen Geschichte, die in Russland große Bekanntheit genießt, kein Problem für einen Mann wie Eisenstein, der damit nebenbei sein eigenes Ansehen in Russland wieder aufbesserte, seine finanzielle Lage verbessern und sich gleichzeitig bei einem teueren Film künstlerisch fast austoben konnte.
Fazit: „Alexander Nevski“ bereitet in vielerlei Hinsicht den Weg vor für Eisensteins Jahrhundertwerk „Iwan Der Schreckliche“. Dieser Vorgängerstatus bezieht sich nicht nur auf die bildgewaltige Inszenierung und die vielschichtige Komplexität des Scores, auch der Parallelismus des Diktators Stalin zur Hauptfigur sollte in den Iwan- Filmen verstärkt in den Vordergrund treten.
8,5 / 10