„Week End" ist für lange Zeit der letzte Godard, der sich noch halbwegs an Genrefilmen orientiert: es gibt vage Anleihen beim Kriminalfilm, das Road Movie gibt aber mit seiner freien episodenhaften Struktur in erster Linie den Ton an. Der Plot ist schnell umschrieben: ein gutsituiertes Paar (sie betrügt ihn, er betrügt sie - sie wünscht sich ihn tot, er wünscht sich sie tot) zieht zusammen los, um ihre Eltern zu morden und das Erbe einzustreichen. Man prügelt sich auf der Reise mit anderen Verkehrsteilnehmern, steckt im Stau fest, begegnet diversen historischen Persönlichkeiten, hat Unfälle, wird von Pianisten und Müllmännern mitgenommen, erlebt die Rache der dritten Welt, meuchelt die Eltern - und der Mann wird letztlich von seiner Frau und einigen Guerilla-Kämpfern verspeist.
„L'Ange exterminateur", „De La Révolution [] Francaise aux [] Weekends UNR", „Du côté de chez Lewis Car roll"[1], „Action musicale", „Monde [] _______ [] 3", „Scène de [] la vie de [] province", „FLSO", „Totem et Tabou" bilden als Zwischentitel einige der groben Kapitelüberschriften - die man schnell übersieht, weil sie sich graphisch nicht von den Zwischentiteln abheben, die keine Kapitelüberschriften darstellen.
"Ein Film, verirrt im Kosmos" und "Ein Film, gefunden auf dem Schrott" verkünden zwei der berühmtesten Zwischentitel gleich zu Beginn des Films: ein Film offenbar, den keiner mehr haben wollte, ein weggeworfener Film, ein untergegangener Film. Wenn der Film dann knapp 100 Minuten später endet, folgen zwei weitere Zwischentitel, die zu den bekanntesten aus Godards Oeuvre zählen: „Ende des Films" und „Ende des Kinos" - „Week End" wird jetzt nicht mehr bloß zum weggeworfenen, untergegangenen Film erklärt, sondern gar zu einer Art Markstein, der den Verfall, die Verschrottung des Kinos generell behauptet.
Wortwörtlich sollte man das nicht nehmen: Kino existierte weiter, selbst gutes Kino. Aber versteht man unter „Kino" nicht einfach den materiell vorhandenen Vorführsaal und die Existenz eines dafür gedachten Films, sondern ein Prinzip, das die Erfahrung von Kunst und den Austausch zwischen einem Werk künstlerischer Ambition und einem Publikum ermöglichen soll, dann ist diese Äußerung zumindest tendenziell angebracht. Sie ist ein pessimistischer Blick auf die Entwicklung (nicht nur) der Film-Kultur, zugespitzt bis ins Extrem: die (Film-)Kultur kränkelt nicht nur, sie ist tot - und zwar nicht erst ab oder gar nach „Week End", sondern schon vorher; „Week End" ist bloß das Moment der Feststellung dieses Todes. „Week End" ist filmgewordener Kulturpessimus in seiner polemischsten Form. (Dass Polemik immer leicht angreifbar ist, gereicht ihr stets zum Nachteil - damit ist sie aber nicht automatisch unintelligent... und zumeist unterhaltsamer als ein weniger polemischer Vortrag.)
Die These vom Tod, vom Ende kündigt sich schon im Titel an: „Week End", nicht „weekend" oder „week-end" lautet der Titel (im Vorspann als fortlaufendes „END WEEK END WEEK..." angeführt), es geht nicht einfach um ein „Wochenende", sondern um „Woche" und (vor allem) um „Ende".
Dem Ende scheint in Godards apokalytischer Filmwelt so ziemlich alles zum Opfer gefallen zu sein: die Humanität und die Liebe sowieso, auch ein natürliches Verhältnis zum eigenen Körper; aber auch die Musik, auch das Kino, auch die Literatur, auch die Philosophie, auch die Freiheit, sogar - was unangenehmerweise am erstaunlichsten ist - der Luxus ist im Prinzip hinüber.
Hinüber ist all dies, weil alles schon längst einer Verwertungslogik zum Opfer gefallen ist, weil all dies für sich selbst nichts mehr zählt. (Eine Sache gibt es im Film, von der explizit behauptet wird, sie zähle nur für sich selbst: ein - unbearbeiteter - Stein ist es und Emily Bronte behauptet es. Ein Stein ist bedeutungslos und wertlos, er zählt bloß für sich selbst und für nichts anderes. Eintauschbar ist er allenfalls gegen andere Wertlosigkeiten: Poesie und Wissen und den ganzen Plunder, den Brontes Begleiter von sich gibt und dafür seine Steine erhält.)
Fast alles ist vermarktbar und verliert damit in letzter Konsequenz seinen Eigenwert. (Und das wenige, was nicht vermarktbar ist, und sich damit problemlos seinen Eigenwert bewahren kann, wird nur von einigen wenigen Narren in ihrem Eigenwert wahrgenommen und geschätzt.) Selbst das Körpergefühl ist in „Week End" davon betroffen: die weibliche Hauptrolle wird sich erst als „echte" Blondine wohlfühlen können, sie wäscht sich nach Vorbildern aus der Malerei und setzt (quasi das „you" in Harpos „Moviestar" vorwegnehmend) Film und Leben gleich - während Godard bemüht ist, seinen Film so unglaubwürdig wie möglich zu halten...
Der Film bringt dies nach ungefähr der Hälfte der Laufzeit überdeutlich auf den Punkt: „Ich sagte mir, wozu mit ihnen reden? Sie kaufen Wissen, um es zu verkaufen. Was sie wollen, ist Wissen günstig kaufen, um es teuer zu verkaufen. Sie wollen siegen. Was dem Sieg schadet, wollen sie nicht. Sie wollen nicht unterdrückt sein, sondern unterdrücken. Sie wollen keinen Fortschritt. Sie wollen die Ersten sein. Sie unterwerfen sich jedem, der verspricht, sie könnten das Gesetz machen. Ich dachte mir: 'Was ihnen sagen?' Und dann beschloss ich: Dies werde ich ihnen sagen: ---" Nichts wird mehr um seiner selbst Willen gewollt, sondern bloß noch, um es immer wieder gegen neues und nochmal neues einzutauschen. Selbst wenn die männliche Hauptfigur im Auto nach ihren innigsten Wünschen befragt wird, fällt ihr etwa ein Mercedes ein: man hat zwar schon eine Karre zum Umherbrausen, will aber sofort wieder die nächste und bessere. Eine bis ins Extrem beschleunigte Konsumgesellschaft, die nirgends verweilen mag, sondern einfach bloß andauernd konsumieren will.
Zwei Kapitel gewinnen dem Ganzen noch eine moralische Komponente ab. In „De La Révolution [] Francaise aux [] Weekends UNR" wirst erstmals angeführt, dass die Freiheit der einen nur auf Kosten der anderen durchsetzbar ist - und in „Monde [] _______ [] 3" schlägt Godard dann die Brücke zum krassen Unterschied zwischen hochzivilisierten Konsumgesellschaften und der sogenannten dritten Welt und den Kolonialgebieten. (Letzteres bietet dann nochmal die Möglichkeit, die französische Politik während des Algerienkrieges scharf zu verurteilen.)
Dass Godard hier einen heiligen Narren das Ende der Grammatik - vor allem auf dem Gebiet des Films - verkünden lässt, ist nicht bloß die Schilderung eines Ausbruchsversuches (aus der Verwertbarkeit, die aus allem Objekte des Handelns werden lässt, & in die künstlerische Autonomie, die gerade im Filmgeschäft nur schwer zu erreichen ist) die Godard hier in „Week End" schon weitestgehend umzusetzen versteht (das Filmbild zerfällt mal in Einzelteile; dramaturgisch wird eine Schwerfälligkeit angestrebt, die stellenweise die Belastungsgrenze etlicher Zuschauer erreicht; die Zwischentitel nehmen größeren Raum ein als jemals zuvor bei Godard und verweisen als "Faux[]togr[]aphie" und „Faux raccord" teilweise schon auf die stilistischen Absonderlichkeiten des Films): diesen Ausbruchsversuch wird Godard gut 12 Jahre durchziehen und in den Gruppenarbeiten der Dziga Vertov Gruppierung vollkommen radikalisieren.
Für ihn persönlich also war „Week End" neben „1+1" (1968) tatsächlich für über ein Jahrzehnt das Ende des Kinos... und dass in diesem Zeitraum zahlreiche und mitunter äußerst bemerkenswerte Filme entstanden sind, spricht vielleicht dafür, dass sich Godards Verweigerungshaltung letztlich sogar als fruchtbar erwiesen hat.
Auch ansonsten lag er mit dem Ende des Kinos nicht so verkehrt - wenn man es eben liest als Übergang vom Prinzip künstlerischer Autonomie zum Prinzip kommerzieller Verwertung. Angesichts der immer abwechselungsloser werdenden Programme der Multiplex-Kinos und eines häufig zu beobachtenden Sehverhaltens, das sich ausschließlich an den jeweils aktuellsten Filmen orientiert, scheint sich einiges von Godards pessimistischen Ansichten durchaus zu bewahrheiten.
„Week End" inszeniert letztlich die Gegenwart als sperrigen Sci-Fi-Endzeitfilm, als Apokalypse, in der alles zur Ware verkommt und setzt damit die Richtung von „2 ou 3 choses que je sais d'elle" (1967) konsequent fort. Der wütende Tonfall, das Rühren an einigen Tabus, der plakative Einsatz von blutiger - und grotesker - Gewalt machen aus „Week End" zwar durchaus einen verhältnismäßig grimmigen und durchaus pessimistischen Godard, gleichzeitig aber sind schwarzer Humor und optimistische Spitzen nicht zu übersehen: zu letzteren zählen wohl die närrischen Gestalten, die an ansonsten unverwertbaren Eigenwerten genug haben, die nicht in erster Linie am Verwerten interessiert sind, sowie der damit verbundene Hoffnungsschimmer, dass nach „End" auch wieder „Week" kommen kann, wie es der Titelschriftzug suggeriert.
Im Vergleich mit unmittelbar vorangegangenen Werken wirkt „Week End" sicherlich eine Spur interessanter - weil bizarrer - entpuppt sich aber zugleich auch als weniger dichtes Beziehungsgefüge (wenngleich auch „Week End" mehrfaches Sichten verlangt und jedesmal mehr enthüllt). Auch mit Godards bewusster Entscheidung für teils nervenzerrenden Leerlauf muss man sicherlich nicht völlig übereinstimmen, wenngleich sie konsequent aus der Thematik des Films resultiert.
Aber trotz alledem ist „Week End" formal so kreativ wie handwerklich gelungen umgesetzt, bietet reichlich inspirierende Thesen, und ist nicht zuletzt auch durchaus humorvoll (egal ob der Film in absurdes Theater abdriftet, kalauert oder einfach die alltäglichen Arschlöcher des Straßenverkehrs attackiert, denen die Hupe als Möglichkeit des Agressionsabbaus dient). Und nicht zuletzt bietet der Film Jean Pierre Leaud mal wieder einige Gelegenheiten, sich als stürmischer Schalk zu präsentieren.
8/10
1.) Die besondere Stellung des zweiten "R" in "Carroll" zerlegt den Namen nicht zufällig in "car" und "roll": das Auto, das in "Week End" eh schon eine unübersehbare Sonderstellung einnimmt, steht wie das Rollen für das Vorwärtskommen, für das andauernde Schreiten, also auch für das andauernde Konsumieren, das Vermehren und Verwerten, das auch nicht stoppen und an einer Sache genug haben kann - entsprechend gerät dann auch ein Autostau zur Geduldsprobe für alle. Dass dieses kompromisslose Vorwärtskommen-Wollen früher oder später zum Crash, zum Totalschaden, zur Vollverschrottung führt, das klingt in den sich durch den Film ziehenden brennenden Autowracks immer wieder an.