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Schon Lumets voriger Film „Hundstage“ war gewissermaßen eine Mediensatire im Gewand eines Heist Movies gewesen, ein Jahr später umarmte er das Genre mit dem mehrfach Oscar-gekrönten „Network“ dann vollends.
Das smarte Script von Paddy Chayefsky beschreibt einen zunehmend konkurrenzgeprägten Medienmarkt, auf dem Quote alles ist – auch im Nachrichtenbereich. So kriegt Nachrichtensprecher Howard Beale (Peter Finch) im fortgeschrittenen Alter die Kündigung beim (fiktiven) Sender UBS, da zu wenig Leute zuschauen. Der reagiert auf unkonventionelle Weise, indem er während einer Sendung seinen Live-Selbstmord im Fernsehen am folgenden Donnerstag ankündigt. In der Mitarbeiterkabine fällt das nur zwei Personen auf, die bestürzt reagieren, der Rest ist dermaßen gelangweilt und teilnahmslos seinen Tätigkeiten nachgegangen, dass sie Beales Offerte gar nicht mitbekommen haben, womit „Network“ schon die erste böse Spitze austeilt.
Beales Freund und Chef Max Schumacher (William Holden) will ihn nur noch für eine versprochene On-Camera-Entschuldigung auf Sendung gehen lassen, sieht sich aber mit bedenklichen Entwicklungen hinter den Kulissen konfrontiert. UBS wurde von einem Großkonzern gekauft, dessen Manager-Vollstrecker Frank Hackett (Robert Duvall) alles auf Profit bringen will, auch die Nachrichtensparte, die bisher davon beschützt war. So schreitet Max dann auch nicht ein, als Beale statt einer Entschuldigung in die nächste Tirade ausbricht („I ran out of bullshit“), was den nächsten Skandal beschert – aber auch dicke Quote und Leitartikel auf Titelseiten renommierter New Yorker Zeitungen. Die Stadt spielt im Vergleich zu anderen Lumet-Filmen eine nur ganz kleine Rolle, aber ein wenig vom bekannten New-York-Filmer Lumet scheint auch in „Network“ durch.

Unterhaltungschefin Diana Christensen (Faye Dunaway) sieht eine große Chance: Anstelle der Kündigung bekommt Howard seine eigene Show, um Frust abzulassen, was die Leute tatsächlich begeistert. Während Max den Wahnsinn Howards und den Wahnsinn der Senderpläne erkennt, ist das für andere Beteiligte erst der Anfang…
„Network“ blickt gleichzeitig in die Gegenwart und in die Zukunft. Gegenwärtig ist der Blick auf die politische und vor allem soziale Lage der 1970er. Weniger geht es um die Liberalisierungstendenzen der Ära, sondern um die negativen Seiten, die Krisen und Skandale, auf die explizit verwiesen wird: Die schwierige wirtschaftliche Lage im Allgemeinen und die Ölkrise im Speziellen, die Arbeitslosenzahlen, die Patty-Hearst-Entführung, das Aufkommen US-Terrorgruppen, die beiden Attentatsversuche auf den damaligen Präsidenten Gerald Ford. Es erklärt die Stimmung, in der Howard Beale zum populistischen Propheten der Massen wird, obwohl er nur Frust ventiliert, aber selten etwas von Substanz anzubieten hat. Das Fenster aufmachen und einfach mal „I’m mad as hell and I won’t take it anymore“ rausbrüllen, die Lösung für die Probleme findet man dann später, wohl bekomm’s. Zukünftig daran ist der Blick auf eine sensationsgeile Medienwelt, noch vor der Gründung neuer, sensationsgeilerer Großsender neben den drei damaligen großen Networks, dem Reality-TV-Boom oder dem Aufkommen der 24-Stunden-am-Tag-Nachrichtensender in den 1980ern, die Nachrichten auch als eine Art Unterhaltung ausschlachten mussten, um Quote und Kohle zu machen. Wenn Diana von Terroristen gedrehte Aufnahmen von Banküberfällen auf Sendung schicken will, dann kann man schnell an die Täterinterviews während der Tat beim Gladbeck-Geiseldrama von 1988 oder der TWA-Entführung von 1985 denken – Chayefskys Script beweist fast prophetische Qualitäten.

Vor allem aber teilt das Drehbuch in alle Richtungen aus, ohne seine Stoßrichtung zu vergessen. Denn einfache Schuldzuweisungen sind kaum möglich. Natürlich kommen die Senderverantwortlichen kaum gut weg: Was Quote macht, wird gefördert, egal ob es journalistischen Standards entspricht oder nicht. Im Zweifelsfall lässt man schwachsinnige Formate auf Sendung gehen, in der Hoffnung, dass es den verantwortlichen Rivalen zerbröselt, doch am Ende ist man angeschmiert, wenn der Mumpitz doch ankommt. Kaum besser ist das Publikum, das den Unsinn mit Traumquoten belohnt und in Howard Beale keinen schwer gestörten Menschen, sondern den neuen Messias sieht. Mit besonderem Spaß demontieren Lumet und Chayefsky auch die Politradikalen, die sich ebenfalls einspannen lassen: Eine Terrorgruppe stimmt auf Umwegen zu genug neues Material zu drehen; da der Sender natürlich jede Involvierung bestreiten muss, wird eine Vertreterin der Kommunistischen Partei als Mittelsfrau engagiert, die ganz schön kapitalistisch auf die Barrikaden gehen kann, wenn man an ihrem Honorar kürzen möchte.
Als Ruhepol wirkt Max, der sich eine unabhängige, nicht profitorientierte Nachrichtenredaktion, journalistische Standards und psychiatrische Hilfe für seinen Freund Howard wünscht, aber schnell ausgebootet wird. Doch Lumet und Chayefsky sind klug genug ihn nicht zum reinen Sympathieträger aufzubauen, verlässt er doch die Familie für eine Affäre mit Diana, die eigentlich alles repräsentiert, was er verabscheut. Im Gegenzug ist Diana dann die ehrlichste Figur des Films. Nicht sympathisch oder nett, aber auf ihre Art ehrlich. Sie sagt Max ins Gesicht, dass sie keine Skrupel hat ihm seine Sendung wegzunehmen, sie wirbt von Anfang an für die all die Bullshit-Showkonzepte, die im Verlauf von „Network“ umgesetzt werden, sie macht klar, dass er ihr nur um ihren Job geht. Selbst beim Sex törnt sie sich mit Gerede über Arbeit an und kommt damit schneller zum Höhepunkt als Max. Diana wurde vom American Film Institute als großartige Schurkenfigur bezeichnet, vielleicht ist sie aber auch nur die perfekte Vertreterin des Systems, das der Film kritisieren will.

Interessant ist bei alldem der Kontrast von Form und Inhalt. Denn „Network“ fängt mit Howards Selbstmordandrohung vor laufender Kamera an und wird danach eigentlich nur noch abstruser. Doku-Soaps über und unter Beteiligung von Terroristen werden gedreht, Howards Show um eine Wahrsagerin und andere Zirkusnummern erweitert usw. Howard darf sogar in die Hand beißen, die ihn füttert, aber bitte nicht zu sehr. So ist das eine Mal, wo er sich nicht nur den Mund fusselig redet, sondern sein Publikum zu einer Protestaktion gegen den eigenen Sender auffordert, die noch dazu Resultate zeigt, der Untergang für ihn. Doch anstatt sich dem pfeilschnellen Over-the-Top-Geschehen im Ton anzupassen, inszeniert Lumet nüchtern dagegen, setzt auf lange Einstellungen, wenige Schnitte und lange Monologe, was dem Ganzen bisweilen an Tempo nimmt. Nur kleine Kabinettstückchen leistet sich die Regie, etwa wenn nach dem dramatischen Finale auf mehrere Fernsehbildschirme geschnitten wird, wo der normale Sendebetrieb trotz einer Bluttat einfach weitergeht. Oder beim Monolog von Konzernboss Arthur Jensen (Ned Beatty), der sich im Redeton dem quasireligiösen Furor Howards anpasst: Nach jedem Zwischenschnitt auf den zuhörenden Howard kommt die Kamera von Owen Roizman dem Sprecher etwas näher, sodass Jensen immer leinwandfüllender wird, je länger er redet.
Dass Ned Beatty trotz gerade einmal sechs Minuten Screentime für einen Nebendarsteller-Oscar nominiert wurde, spricht für die einprägsame Qualität seiner Performance in einem durchweg starken Ensemble. William Holden spielt den meist rechtschaffenen Mann, der in einem Ozean der Niedertracht den Kopf über Wasser halten will, dessen Ehrlichkeit sich selbst dann zeigt, wenn er seiner Frau gesteht, dass er die Affäre mit Diane nicht beenden kann, weil ihn zu viel zu der Karrieristin hinzieht – selbst am Tiefpunkt verleiht er der Figur noch genug Würde und Anstand. Peter Finch dreht ordentlich frei am Nachrichtensprecher am Rande des Nervenzusammenbruchs und ist eher für die lauten, einprägsamen Momente zuständig, während Faye Dunaway beeindruckend als Unterhaltungschefin ist, für die wirklich jedes Format Unterhaltung ist und die selbst die niederträchtigsten Showkonzepte und fiesesten Karriere-Moves mit einem fast ansteckenden Enthusiasmus plant. Nicht zu vergessen Robert Duvall als mafiöser, teilweise geifernder Profitjünger ohne Anstand und Skrupel, die ultimative Verkörperung von Konzerngier. Weitere Akzente setzen Marlene Warfield als Kommunistin mit Profitdenke und Arthur Burghardt als Terroristenführer, während in einer Mini-Rolle Lance Henriksen als Anwalt des Senders zu sehen ist.

Manchmal beißen sich Lumets etwas sehr bodenständige Inszenierung und das pfeilschnelle, mit Sinn für Absurditäten gespickte Script Chayefskys, aber auch fast 50 Jahre nach seinem Erscheinen erweist sich „Network“ als treffsichere Mediensatire, die einerseits das Klima ihrer Zeit im Blick hat, andrerseits aber so universale Themen auf so scharfsinnige Weise anspricht, das sie auch heute noch aktuell wirkt, nachdem manche der hier erdachten Fernsehauswüchse in dieser oder ähnlicher Form bereits Realität geworden sind.

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