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Im Krieg verroht man. Des weiß doch a jeder.“ Krieg. Krieg ist schrecklich. Krieg ist furchtbar. Krieg ist weit weg. Krieg ist irgendwo anders. In Afrika, in Asien, in Osteuropa. Krieg besteht aus den bunten Bildern in der Tagesschau und aus Statistiken gewonnener Schlachten, getöteter Menschen und vergewaltigter Frauen.
Aber was wäre, wenn Krieg nicht irgendwo am Ende der Welt wäre, sondern hier. Vor der Haustür. Zum Beispiel in Niederbayern. Wäre das dann anders? Was unterscheidet ein vergewaltigtes und abgeschlachtetes vietnamesisches Mädchen denn von einem vergewaltigten und abgeschlachteten niederbayerischen Mädchen?

Ein Vorfall aus dem Jahr 1966: Eine Gruppe US-amerikanischer Soldaten vergewaltigen und töten ein 15-jähriges vietnamesisches Mädchen. Einer aus der Gruppe, der an der Tat nicht teilnimmt, meldet dies dem Vorgesetzten, der daraufhin weist, dass hier die Freiheit der westlichen Welt verteidigt wird, und dass die Leiden der Soldaten, jeden Tag in Gefahr und weit weg von Zuhause, gefälligst zu berücksichtigen seien. Erst später, als sich der Soldat dem Feldgeistlichen anvertraut, und der dann zur Kriminalpolizei der Army geht, wird der Fall aufgerollt. Es werden drakonische Strafen ausgesprochen, die allerdings nach und nach alle wieder zurückgenommen und zu leichten Strafen umgemünzt werden. Wie gesagt, Vietnam, am Ende der Welt. Von hier aus gesehen. Da ist Krieg, da kann so was schon mal passieren. Und wen interessiert denn schon irgendein Mädchen aus irgendeinem abgelegenen Bauernland?

Michael Verhoeven versetzt nun die amerikanischen Soldaten, ausgestattet mit amerikanischen Uniformen und amerikanischen Stereotypen, in den Bayerischen Wald. Es ist Osterfrieden, deshalb ist Waffenruhe, und so langweilt man sich, man drischt einen gepflegten Schafkopf (ein bayerisches Kartenspiel) und zieht sich gegenseitig mit seiner Herkunft oder dem Dialekt auf. Bis ein 15-jähriges Mädchen vorbeifährt, Milch holen für ihren kranken Bruder. Eindeutig eine Spionin, denn hier ist ja Sperrgebiet. Der Vater war, das erfährt man im „Verhör“, länger nicht mehr in der Kirche gewesen, also ein Kommunist. Ein kommunistischer Kommunist, der Sauhund! Und dann dieser Name, Phan Ti Mao. Mao! Das muss ja eine Spionin sein. Und was macht man mit Spionen? Richtig, man vergewaltigt und tötet sie im Namen der westlichen Freiheit.

Und was einstmals, vier Jahre vor dem Dreh des Films, irgendwo am Arsch der Welt eine kleine schmutzige Episode in einem großen schmutzigen Krieg war, findet urplötzlich vor der eigenen Haustüre statt. In einem Wald der aussieht wie der bei einem selbst gleich um’s Eck. Mit einer Sprache, die man (so man Süddeutscher ist) jeden Tag hört. Und wenn man aus Norddeutschland ist hört man das zumindest im Fernsehen oft, und da haben die Sprechenden eigentlich immer ganz normale und vertraute Namen. Plötzlich ist das Grauen in der eigenen Welt angelangt, und man kann dem nicht mehr entkommen. Plötzlich geht es nicht um irgendwelche armen Menschen in irgendwelchen Strohhütten, und die werden schon was angestellt haben, das weiß man ja nie so genau; stattdessen ist es der Bauer ein paar Kilometer weiter, und vor dem geistigen Auge entsteht ein deutsches Bauerhaus in einer bekannten ländlichen Umgebung, und die Menschen tragen ganz normale Kleidung. Ein Kleid mit Blumen und einen gestrickten Pullunder …

Etwas, was sonst nur in den Nachrichten geschieht transzendiert zu etwas, was Zuhause passiert. Und in der Rückschau ist das wirklich Bemerkenswerte daran, dass so ein Film heute absolut niemanden außerhalb eines elitären Cineastenkreises mehr interessiert. Und dass O.K. 1970 dazu gereicht hat, die Berlinale zu sprengen! (1) Und dies, obwohl (oder vielleicht deshalb?) der Regisseur bereits in den ersten Szenen die vierte Wand niederreißt und die Schauspieler sich mit dem Gesicht zur Kamera vorstellen lässt. Nicht in ihren Rollennamen, sondern als echte Personen. Name, Religion, ob gedient oder ob nicht, Familienstand, Alter … Es ist also von vornherein klar, dass wir hier einen Film sehen. Dass hier Kunst stattfindet, und dass es jedem freigestellt ist, ob er dies goutiert oder ob nicht. Doch gleichzeitig wird unter dem Mantel der Kunst ein Statement zur politischen Lage der Welt abgegeben, werden Emotionen geschürt, und als Resultat kann sich kein Zuschauer diesen eindrücklichen Bildern entziehen. Auch heute nicht, wo wir wesentlich drastischere Bilder und Geschehnisse gewöhnt sind, aus Filmen, aus den Nachrichten oder gar aus den „sozialen“ Medien, wirken die Ereignisse aus O.K. immer noch wie grauenhafte Splitter eines Krieges, der ganz woanders stattfinden sollte. Überall, aber doch nicht im Bayerischen Wald! Und obwohl man es mittlerweile eigentlich besser wissen sollte, bricht sich Fassungslosigkeit immer noch Bahn. Zuhause kann es doch keinen Krieg haben, da kann doch etwas so Schreckliches nicht stattfinden …

Michael Verhoeven sagt dazu: „Filme wie ‚o.k.‘ haben damals viele zur Weißglut getrieben. Die Weltbilder wurden wesentlich rigider vertreten als heute, und diejenigen, die sich beispielsweise klar für den Vietnamkrieg aussprachen, konnten meinen Film einfach nicht ertragen. Heute ist man wesentlich gleichmütiger, man lässt die Ereignisse an sich vorbeiziehen. Der Irak-Krieg hat vielleicht im Wahlkampf einer Partei einige Sympathien gekostet, aber man prügelt sich deswegen nicht mehr auf der Straße. Zudem wurde dieser Krieg sehr medienwirksam aufbereitet – die Medien sind ja nicht nur Aufklärer, sondern Vertuscher. Deshalb sind die Konsumenten viel korrumpierbarer als früher, als solche Filme noch einen regelrechten Schock auslösten.“ (1) Was zur Frage führt, wie man, nach den Massenvergewaltigungen des Serbienkrieges und denen des Ukraine-Krieges mit einer einzigen Vergewaltigung im einem anderen Krieg umgehen soll. Dient das Grauen am Ende doch der Freiheit der westlichen Welt? Serbien und die Ukraine liegen zwar in Europa, sind aber relativ weit weg. Die Sprache ist eine andere als unsere, und genau das ist es, was O.K. so unerträglich macht, und damit auch immer noch so entsetzlich aktuell. Dass die Gräueltaten plötzlich in der Heimat stattfinden. Und dass für einen Serben oder für einen Ukrainer dieses Dinge in seiner Heimat passieren.

Eigentlich sollte O.K. an Schulen gezeigt werden um junge Menschen frühzeitig dafür zu sensibilisieren, dass so etwas nie wieder geschehen darf. Hier nicht, und woanders auch nicht. Und eigentlich sollte O.K. an Schulen gezeigt werden um jungen Menschen frühzeitig zu zeigen, dass gewaltsamer Tod, das vorsätzliche Auslöschen eines Menschenlebens, nicht so blutarm und künstlich aussieht wie in den Superheldenfilmen, (oder den Statistiken aus der Tagesschau) sondern etwas Widerliches und Krankes ist.

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/O.k._%28Film%29#Der_Berlinale-Skandal


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